Das Museum der Zukunft
Wie werden Museen fit für das 21. Jahrhundert? Wie können jüngere Besucher in Ausstellungen gelockt werden? Diesen Frage widmen sich sieben ausgewählte Museen, gefördert von Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Jetzt wurde ein Zwischenbericht vorgestellt.
Ein Gemälde ist ein Gemälde ist ein Gemälde – und eine sehr zweidimensionale Angelegenheit, sollte man meinen. Falsch. Das Bild "Der Kaufmann von Gisze" von Hans Holbein dem Jüngeren, eines der Highlights der Berliner Gemäldegalerie, enthüllt, wenn man es durch ein Tablet betrachtet, versteckte Dimensionen. Ein Tippen auf den Bildschirm, und man sieht eine hologrammartige, geisterhafte frühere Fassung des Bildes, die Holbein übermalt hatte.
"Bei diesem Bild handelt es sich um eine Röntgenaufnahme", verrät uns die App. Und weiter: "Hier wird deutlich, dass Holbein einige Korrekturen an seinem Gemälde vorgenommen hat. Beispielsweise hatte er die heute rechts erscheinende Raumecke ursprünglich auf der linken Seite angeordnet. Auch das schräge Regalbrett war am Anfang auf der linken Seite positioniert."
Durch Tippen auf ein Icon etwas über Ikonographie des 14. Jahrhunderts lernen
Ein Wischen zurück, und man ist wieder auf der Original-Oberfläche des Bildes, die sich durch das Tablet wie mit einer Lupe heranholen lässt. Einzelne Details laden zum Drauftippen ein. Zum Beispiel der Blumenstrauß auf dem Tisch, der etwas über die Ikonographie des 14. Jahrhunderts verrät. "Hierbei handelt es sich um Nelken, welche andeuten, dass Gisze verlobt war", weiß die App.
"museum4punkt0" heißt das bundesweite Verbundprojekt, bei dem sieben ausgewählte Museen seit einem Jahr ausprobieren, was sich alles mit digitalen Mitteln im Museum anstellen lässt. Es geht dabei nicht nur um die unbegrenzten Möglichkeiten bei der Vermittlung zusätzlicher Inhalte und Perspektiven. Es geht auch um das Image des verstaubten Museums, das man ablegen möchte, man will sich auch jüngere Zielgruppen erschließen – gerade die, die vielleicht nicht unbedingt in Ausstellungen gehen würden.
Der Zwischenbericht, der jetzt vorgestellt wurde, wirkt wie ein Einblick in ein Versuchslabor des Museums der Zukunft. Das Senckenberg-Museum für Naturkunde in Görlitz etwa hat die Welt der nützlichen Kleinstlebewesen, die in der Humusschicht des Bodens leben, in einer virtuellen Welt auferstehen lassen. Der Besucher setzt eine Cyberbrille auf und erlebt das Leben aus der Perspektive eines Kleinstinsekts, bewegt sich zwischen sonst nur millimetergroßen Springschwänzen oder Hornmilben.
Kellerasseln groß wie Ruderboote
"Hier hat er einen Springschwanz, und den hat er aufgehoben und kann ihn mit dem Controller anheben und von unten betrachten, also zum Beispiel die Springgabel erkennen. Im Hintergrund zieht eine Kellerassel vorbei. Ungefähr so große wie ein Ruderboot. Und er ist in diesen Lebensraum völlig eingetaucht", sagt Willy Xylander, der Direktor des Senckenberg-Museums für Naturkunde.
Natürlich gebe es auch Räuber wie Pseudo-Skorpione oder riesenhafte klauenbewehrte Hundertfüßler, erläutert Xylander. "Wir haben mit verschiedenen Jugendlichen gesprochen, die dann tatsächlich fragen: kann man die abschießen? Aber das soll man eben gar nicht, man soll interagieren, wie man eben respektvoll mit Natur interagiert: Anschauen, unter Umständen beobachten, aber Abschießen ist nicht das, was wir primär intendieren", meint der Direktor.
Golfspielen auf dem Mond
Im Virtual Reality Lab des Deutschen Museums in München können Besucher seit August letzten Jahres den ersten Flug von Otto Lilienthal miterleben, zusehen, wie die Sulzer Dampfmaschine in einer Spinnerei zum Leben erwacht, oder in realitätsgetreuer Umgebung mit dem Mondmobil über die Mondoberfläche fahren. Und sogar Golfspielen, erzählt Andrea Geipel vom Deutschen Museum: "Weil es tatsächlich mal einen Astronauten gab, der einen Golfschläger mitgeschmuggelt hat auf den Mond, und das ist zum Beispiel eine ganz schöne Sequenz, weil das oft zu Diskussionen führt über die Atmosphäre auf dem Mond, weil man schnell merkt, dass der Ball weiter fliegt."
Braucht es bei so viel technischem Spielspaß überhaupt noch das originale Objekt? Oder stört die reale Ausstellung am Ende vielleicht sogar die Erlebniswelt? Nein, ist Geipel überzeugt. Am Ende wollten die Besucher, nachdem sie miterlebt haben, wie Lilienthal zum ersten Mal vom Boden abhob, auch das Gerät sehen, mit dem er es geschafft hat. Denn nichts befördert das Erkenntnisinteresse mehr, als persönliche Anteilnahme. Am weitesten hat diesen Gedanken das interdisziplinäre Forschungslabor "GameLab" weiterentwickelt, das für das Humboldt-Forum das Projekt "Mein Objekt" fürs Smartphone entwickelt hat.
Tinder im Museum
Wie bei der Dating-App Tinder finden sich Besucher und Objekt durch Rechts- oder Linkswischen. Das Objekt präsentiert nur ein Detail von sich, gibt sich rätselhaft: Wer bin ich? Wenn man sich füreinander interessiert – auch das Objekt kann das Kontaktersuchen ablehnen – entspannt sich ein Chat, indem das Objekt immer mehr von sich preisgibt.
Am Ende muss der Besucher sein Objekt in der Ausstellung finden, erzählt Thomas Lilge von GameLab: "Das ist im Prinzip wie ein Date. Man hat ein bisschen was voneinander gelernt. Man hat irgendwelche Fotos voneinander gesehen, aber am Ende des Tages weiß man nicht viel voneinander. Und dann trifft man sich im Café, und das ist der Ort, wo wir uns dann mit dem Exponat treffen. Das ist spannend, das ist aufregend. Und wenn man sich immer noch mag. Und das ist dann, ich will nicht sagen, die große Liebe, aber das ist dann sozusagen mein Objekt, dann erlauben wir in der App, ein Foto zu schießen und das in die eigene Kollektion noch zu integrieren."
Auf das veränderte Sehvermögen einstellen
Wieviel Aufwand muss man betreiben, um Ausstellungen, die doch eigentlich für sich selber sprechen müssten, attraktiv zu machen? Trauen die Museen ihren Sammlungen und Kuratoren so wenig zu? Für Lilges Kollegen Christian Stein ist das nicht der Punkt. Smartphones und Tablets hätten das Sehvermögen und das Denken der Besucher längst verändert. Darauf müssten sich langfristig auch die Museen einstellen.
"Die Menschen versuchen mit den Objekten zu interagieren, sind aber hilflos darin, und das, was sie tun, ist vielleicht einfach ein Foto (zu) machen. Das sieht man überall auf der Welt. In allen Museen. Und wir versuchen, mit diesen digitalen Ansätzen, diese Verhaltensweisen aufzunehmen und behutsam wieder umzulenken auf eine echte Aufmerksamkeit den Objekten gegenüber. Die vielleicht verlernt wurde, vielleicht schwieriger geworden ist, aber eben nicht die medialen Gewohnheiten abblockt", sagt Stein.