Projekt "Provenance"

Le Corbusiers Möbel als Hauptdarsteller im Film

Von Sonja Beeker |
In den 50er-Jahren baute Le Corbusier die indische Reißbrettstadt Chandigarh. Vom Stuhl bis zur Stadtplanung stammt alles aus seiner Hand. Mittlerweile wird das Mobiliar aus den Häusern teuer versteigert - der Film "Provenance" von Amie Siegel dokumentiert die Geschichte dieser Möbelstücke.
London, Paris, eine Luxusyacht im Meer, New York. Dort stehen sie heute, die indischen Stühle, Bänke, Sofas und Hocker des Architekten Le Corbusier. Als exotische i-Tüpfelchen in stylischen Küchen, Wohn- und Schlafzimmern, die allesamt einem Wohnart-Magazin entsprungen sein könnten.
In meditativ langsam bewegten Bildern wandert die Kamera durch die Räume. Aufgabe des Zuschauers ist es, in den exquisiten Inneneinrichtigungen die teuren Chandigarh-Möbelstücke zu erspähen, erkennbar an ihrer Schlichtheit, den graden Linien und einer handschriftlich aufgemalten Seriennummer auf der Rückseite. Hier beginnt Amie Siegels Film Provenance.
Amie Siegel: "Ein Provenance-Dokument ist eine Art Herkunftsnachweis für Kunst oder Objekte, die einen kulturellen Wert haben. Es beginnt mit den gegenwärtigen Besitzern des Gegenstands und geht dann Schritt für Schritt zurück bis zu den ursprünglichen Besitzern. Es zeigt also die Herkunftsgeschichte, aber nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern umgekehrt."
Stühle, Tische und Lampen im Auktionshaus
So geschieht es auch im Film, der das Le Corbusier-Mobilar erst in den Häusern und Wohnungen seiner wohlhabenden Besitzer zeigt und anschließend im Studio einer Fotografin, die Katalogbilder für Auktionshäuser anfertigt, wo Stühle, Tische und Lampen des Architekten für Unsummen versteigert werden.
Am Ende wechseln zwei Klubsessel für umgerechnete 54.000 Euro und ein von Le Corbusier entworfener Gullideckel für 9.000 Euro ihre Besitzer. Möbel aus dem 20. Jahrhundert sind schwer gefragt, erklärt Amie Siegel. Der Markt ist noch recht jung und dennoch bereits erschöpft, weshalb sich Händler mittlerweile auf die Auslandsprojekte der Architekten und Designer stürzen. Und obschon es zehntausende Le Corbusier-Möbel in Chandigarh gibt, sind Menschen in den USA und Europa bereit, Höchstpreise dafür zu zahlen.
"Die Stücke sind von einer Aura der Seltenheit umgeben, und dass sie das gar nicht sind, das wissen ihre Besitzer vielleicht gar nicht. Sie sind zu überwältigt davon, dass sie einen Stuhl eines Künstlers besitzen, der zum Kanon dazugehört, einen Stuhl mit orientalischer Patina."
Provenance macht Le Corbusiers Mobilar zum Hauptdarsteller, was zwischen Stuhl und Zuschauer ein eigenartiges Verhältnis erzeugt: aus einem leblosen Objekt wird ein emotionales Subjekt. Als ein Restaurateur in einer Szene die Polsterung eines alten Chandigarh-Sofas herausreist, empfindet man fast so etwas wie Mitleid für das Möbelstück, ein Effekt, der durchaus gewollt ist.
Amie Empathie: "Als Hauptdarsteller meines Kunstwerks müssen die Möbel auch als solche behandelt werden. Du sollst Dich mit ihnen identifizieren können, ihnen auf Augenhöhe begegnen, um Empathie für die Möbel zu entwickeln."
Film über die Möbel wird selbst zum Kunstobjekt
Der letzte Teil der Herkunftsreise führt nach Chandigarh selbst, in von Le Corbusier entworfene Regierungsgebäude, in Hörsäle und Klassenzimmer der Universität, wo die 60 Jahre alten Stühle, Tische und Bänke als bloße Alltagsgegenstände noch immer im Einsatz sind. Unzählige Stühle hingegen wurden schon vor Jahren ausgesondert und stehen hochgestapelt in staubigen Lagerhallen oder verrotten achtlos und ineinander verkeilt unter freiem Himmel.
Amie Unesco: "Die Möbel von Le Corbusier und Pierre Jeunneret werden inzwischen als eingetragenes kulturelles Erbe geschützt und dürfen nicht mehr außer Landes gebracht werden. Das ist schon seit einigen Jahren der Fall. Aber ich hab in Europa Container voll mit importierten Möbeln gesehen."
Um zu zeigen, dass auch Amie Siegel und ihr Werk Teil des Kunstmarkts sind und wie andere Objekte gekauft und weiterverkauft werden, ließ sie ihren Film später bei einer Christies-Auktion in London versteigern. Der Film Lot 248 zeigt die Versteigerung und ist Teil des Gesamtwerks Provenance.
Amie Siegel: "Die Versteigerung meines eigenen Werks mitzuverfolgen und gleichzeitig zu filmen, das war kaum auszuhalten! Wenn die Versteigerung 30 Sekunden überschreitet, so heißt es, läuft es ziemlich gut und schaffst Du eine Minute, dann läuft es richtig gut!"
Die Versteigerung dauerte insgesamt über zwei Minuten und Provenance erzielte umgerechnet knapp 60.000 Euro, in etwa so viel wie zwei Le Corbusier Klubsessel .
"Als der Hammer fiel, war ich immer noch so damit beschäftigt, ob wir alle Aufnahmen im Kasten hatten, dass ich gar nicht gemerkt hab, wie der Preis eskaliert ist."
Im kommenden Jahr soll Provenance in Chandigarh ausgestellt werden und damit die Herkunftsgeschichte der Le Corbusier-Möbel zu einem Ende bringen.

Alle Informationen zum Thementag auf Deutschlandradio Kultur zum Architekten Le Corbusier im Multimedia-Special.

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