"Die Stadt gibt dir nie das Gefühl, ein Ausländer zu sein"
Selten war ein Künstler so präsent in New York wie derzeit Ai Weiwei, aktuell mit seinem Installationsprojekt "Good Fences Make Good Neighbors". Eine Kritik an der Flüchtlings- und Migrationspolitik. An über 300 Orten wurde das Projekt den Bürgern von New York vorgestellt.
Ein großer orange-goldener Käfig steht am Eingang des Central Parks, Fifth Avenue Ecke 60th Street. Er besteht aus einer Doppelreihe von Grenzzäunen, die in einem Kreis angeordnet sind, meterhohe Stahlgitter mit eingebauten Drehkreuzschleusen. Wenn man in den kleinen Raum in der Mitte geht, sieht man die geschäftige Fifth Avenue und den Trump Tower durch die Streben.
"Das Projekt ist für die Menschen dieser Stadt gemacht. Präsident Trump als New Yorker ist auch eingeladen, die Skulptur zu genießen, deswegen habe ich sie golden gemacht, damit sie ihm besser gefällt."
Ai Weiweis Witz kommt bei den versammelten Journalisten gut an, doch er lässt keinen Zweifel daran, dass die nationalistisch motivierte Abschreckungspolitik der amerikanischen Regierung gegen Immigranten und Flüchtlinge - von Reisebann über Ausweisungen, Aufnahmestop von Flüchtlingen bis hin zur Grenzmauer zu Mexiko – einen Verlust an Menschlichkeit bedeutet.
"Wir leben in einer Zeit des Spaltens, man versucht uns aufgrund unserer Rasse, Hautfarbe, Nationalität oder Religion zu trennen. Für mich ist das ein Rückwärtsgehen, weg von Freiheit, Menschlichkeit und Verständnis."
Was genau ist ein Zaun?
Ai Weiweis Beschäftigung mit der Flüchtlingskrise verdichtet sich künstlerisch in "Good Fences Make Good Neighbors" zu einer Neugier auf die Struktur des Zaunes, des Gitters, des Netzes. An mehr als 300 Orten innerhalb der fünf Stadtteile sind seine Installationen angebracht, an Bushaltestellen, an Straßenlampen, auf Dachterrassen, in Spalten zwischen Häusern, in Fensternischen, auf Reklameflächen und an wichtigen öffentlichen Orten seiner eigenen Zeit als Kunststudent im New York der 80er Jahre.
Zum Beispiel an der Markthalle in der Essex Street in der Lower East Side. Uber die Köpfe der Passanten spannen sich Netze, auf denen die Weltgeschichte als Geschichte von Flüchtlingen erzählt wird. Schwer beladene Menschen gehen über den gebogenen Rücken eines chinesischen Drachens, über Berge und Meere: "Exodus" nennt Ai Weiwei diese Arbeit. Wenn die Sonne mittags senkrecht steht, kann man die Schatten der bemalten Netze auf dem Gehweg sehen, in der Nacht sind sie mit dem schwarzen Himmel als Hintergrund besonders gut erkennbar.
An mehr als 200 Straßenlampen hängen gestanzte Banner aus netzartigem Material mit Fotos von Flüchtlingen. Sie kommen vom Smartphone Ai Weiweis aus verschiedenen Flüchtlingslagern oder stammen aus der Zeit, in der Millionen von Auswanderern in New York ankamen. Auch hier dienen Himmel oder New Yorks Häuserfronten als Hintergrund für die Portraits. Die Ausstellung sei auch eine Liebeserklärung an New York, sagt Ai Weiwei:
"Die Stadt gibt dir nie das Gefühl, ein Ausländer zu sein. Jeder hat seine eigene Integrität. Das macht die Stadt großartig."
Die aufsehenerregendste Skulptur ist am Washington Square zu sehen. Im Durchgang des Triumphbogens steht ein zwölf Meter hoher Käfig der Form des Bogens nachempfunden. Durch einen Durchgang aus poliertem Metall in Form zweier menschlicher Silhouetten gelangt man auf die andere Seite. Unter dem Bogen sieht man den eigenen Körper verzerrt, wie in einem Spiegelkabinett. Die Arbeit ist eine Hommage an den Künstler Marcel Duchamp, der mit einer ähnlichen Idee 1937 den Eingang zu André Bretons Galerie Gradiva in Paris gestaltet hatte. Symbolisch stellt Ai Weiwei hier das Versprechen der amerikanischen Demokratie in Frage und drückt doch gleichzeitig die Hoffnung auf das menschliche Potential aus.
Frage nach der eigenen Identiät
Ai Weiweis Projekt "Good Fences Make Good Neighbor" scheint die Mission Bürgermeister Bill de Blasios zu unterstützen, New York in Zeiten der Trump-Regierung für Migranten und Flüchtlinge offen zu halten. Für Ai Weiwei ist die Frage nach Mitgefühl gegenüber Flüchtlingen die Frage nach der eigenen Identität.
"Unser Gebiet einzuzäunen hat immer etwas mit unserer Identität zu tun, wie wir uns sehen und unsere Haltung andern gegenüber."