"Deutsche, integriert Euch!"
Mit einem provokanten Slogan und Lust an der Konfrontation testet das Wiener Performance-Kollektiv God's Entertainment den Integrationsbedarf der Deutschen. Hamburger Passanten müssen sich dabei psychologischen Tests unterziehen.
"Deutsche, integriert Euch!" – das steht in großen weißen Lettern auf den schwarz-rot-goldenen Außenmauern, den Außenwänden der kleinen Festung in der Großen Bergstraße. Einfach reinspazieren ins abgezäunte, so genannte "Integrationslager", dürfen die potentiellen Insassen, die neugierigen Passanten aber nicht. Erstmal wird mit seitenlangen Fragebögen ihr Integrationsstatus abgeprüft:
"Können Sie einen kurzen Moment warten. Wir sind beschäftigt. Aber dann können wir nachschauen, ob bei ihnen Integrationsbedarf besteht."
"Bei mir?"
"Sind Sie überhaupt Deutsche?"
"Halb."
"Ja, wie? Was heißt halb?"
"Ich war mal österreichisch und bin dann eingebürgert worden."
"Ah so, also eine Deutsch-Österreicherin!"
"Bei mir?"
"Sind Sie überhaupt Deutsche?"
"Halb."
"Ja, wie? Was heißt halb?"
"Ich war mal österreichisch und bin dann eingebürgert worden."
"Ah so, also eine Deutsch-Österreicherin!"
Maja Degirmendzic gehört zum Wiener Performance Kollektiv "God's Entertainment" und fragt ab, wer von den neugierigen Hamburgern Türken, Syrer oder Italiener zum Nachbarn hat, wer Homosexuelle oder Punker kennt oder wem allzu viele Flüchtlinge Angst machen. Auf 80 Quadratmetern Grundfläche haben die Wiener Künstler einen Teil der Fußgängerzone abgesperrt. Hinein kommen, nach Feststellung des Integrationsbedarfs, aber alle. Dann dürfen sie den Parcours im Innenraum durchlaufen. Im besten Wortsinn: Auf zwei Laufbändern, die sich Stirn an Stirn gegenüberstehen, geht man aufeinander zu, langsam, unendlich, ohne anzukommen.
"Hier, die Installation: man geht. Man kommt sich aber auch nie näher. Aber es soll anregen, durch dieses Gehen, durch das Nachvornegehen: Wohin entwickeln wir uns in Europa? Die Menschen sind auch gegangen. Und wie gehen wir jetzt auch weiter? Es gibt so unterschiedliche Denkweisen, die dahinter stehen."
Die Künstler wollen die Richtung unseres Denkens verändern
"God's Entertainment" wollen die Richtung unseres Denkens, unsere Perspektive auf die Welt und die Herausforderungen der Gegenwart verändern. Und bei vielen der Besucher gelingt das mühelos. Da, wo andere die Gefahr heraufbeschwören, den Deutschen werde durch die ankommenden Flüchtlinge ein Teil ihrer Kultur beraubt, ihrer Leitkultur, erinnert ein älterer Herr an die doch sehr kurzen Halbwertzeiten deutscher Leitkulturen.
"In den Dreißigerjahren gab es bekanntlich ganz andere Leitkulturen. Und 1919, am Beginn der Weimarer Zeit, da hatten die Frauen immer noch kein Wahlrecht, mussten bei Heim und Herd bleiben – das waren auch mal alles deutsche Leitkulturen. Das kann man endlos fortsetzen!"
Neben dem Herrn nickt Amelie Deuflhard, die künstlerische Leiterin von Kampnagel. Ihr merkt man an, dass ihr das Integrationslager mitten in einer deutschen Innenstadt, mitten im Strom der Einkaufstaschen schleppenden Konsumenten gut gefällt. Gerade in Zeiten, in denen Wahlforscher die in weiten Teilen latent fremdenfeindliche AfD im Aufwind sehen. Eine Partei, die sich einfach nicht integrieren will, die auf bundesrepublikanische Grundwerte einfach pfeift:
AfD und Konsorten "drehen sich weg von unserer Demokratie"
"Sie selbst sind rassistisch! Sie drehen sich weg von unserer Demokratie, mit vielem, was sie sagen. Die Pressefreiheit wird angegriffen, das Asylrecht wird angegriffen – das ist Teil unserer Gesetzeslage! Und sie drehen es um, indem sie dann andere Menschen angreifen, die aber auf der Basis unserer Demokratie stehen."
... und genau diesen Diskurs kann die Installation des Wiener Kollektivs tatsächlich fördern. In einem Blechverschlag, die Türen lassen sich aufschieben, wettert in einem Video ein junger Mann gegen Türken. Daneben drehen sich in einer Rotunde die Schriften, die den Verlauf der Schützengräben in den öffentlichen Debatten bestimmen: die Bibel, der Koran, Voltaires "Über die Toleranz", Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" oder Judith Butlers "Psyche der Macht".
Das Integrationslager in der Fußgängerzone, es funktioniert. Die Leute bleiben stehen, Leute, die – ein Vorurteil, natürlich – niemals eine Theateraufführung auf Kampnagel besuchen würden. Und sie diskutieren, tauschen Argumente aus, überraschen sich gegenseitig. Zum Beispiel Eren Öztürk: Rentner, seit 1969 lebt er in Deutschland:
"Ich liebe Deutschland! Ich liebe die deutsche Fahne! Verstehen Sie, was ich meine? Ich lebe hier, ich habe Arbeit bekommen, ich bin Deutschland dankbar. Ich liebe Deutschland!"
Und eines noch, sagt Eren Öztürk im Weggehen: "Danke. Danke, Frau Merkel!" Deutsche, Integriert Euch!