Projektion irrationaler Ängste
Der kanadische Journalist Doug Saunders leugnet nicht, dass es ernsthafte Probleme mit der Integration von Einwanderern aus islamischen Ländern gibt. Aber die meisten gängigen Vorurteile kann er durch Fakten widerlegen.
Er hat für sein Buch in Archiven gegraben und ist auf ein Horrorszenario gestoßen, das uns sehr vertraut klingt. Religiöse Extremisten werden verdächtigt, die Demokratie zu bedrohen:
"Wer in den Jahren 1949 und 1950 in den Vereinigten Staaten lebte, konnte Paul Blanshards Buch 'American Freedom and Catholic Power' kaum aus dem Weg gehen. Es hielt sich elf Monate auf der Bestsellerliste der New York Times, […] verkaufte in der ersten Ausgabe 240.000 Exemplare und erlebte in den USA und international 26 Auflagen.
[…] Blanshard schlug Alarm wegen einer Flut katholischer Einwanderer in die Vereinigten Staaten, die er als tiefe Bedrohung für Demokratie, Gleichheit und säkulare Werte bezeichnete. Diese Menschen kamen aus Ländern, die fast ausnahmslos autoritär regiert wurden, in religiösen Fragen fundamentalistisch auftraten und gegen Frauenrechte und Geburtenkontrolle waren.
Katholiken galten als Anhänger eines unveränderlichen, unabänderbaren, vom Klerus verordneteten Dogmas, das eher eine politische Ideologie als ein Glaube war. […] Einen Beleg für die katholische Neigung zur Ausübung extremer sozialer Kontrolle sah er in der Existenz ihrer schwarze Kopfbedeckungen tragenden religiösen Extremisten: den Nonnen."
Was Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Katholiken waren, stellen heute die Moslems dar. Damals unterstellte Paul Blanshard, die Anhänger der römischen Kirche ließen sich aufgrund ihres fundamentalistischen Glaubens unmöglich in die westlichen, protestantischen Gesellschaften integrieren. Heute behaupten Buchautoren wie Thilo Sarazzin in Deutschland, Robert Spencer in den USA und Bat Ye’or in Großbritannien das Gleiche von den Gläubigen des Islam.
Doug Saunders erkennt darin ein Muster: Gesellschaften sähen sich stets von religiös andersartigen Einwanderern bedroht. Sie projizierten ihre irrationalen Ängste auf diese Gruppe. Populisten beuteten wiederum die Ängste aus, weil sie ihre Bücher verkaufen wollen oder weil sie wie der Niederländer Geerts Wilders politisch davon profitierten.
Indem sie alle Anhänger eines Glaubens diffamierten, spielten sie den wirklichen Extremisten in die Hände. Das wird am Beispiel der Islamdebatte deutlich. Sowohl die Islamkritiker als auch die Islamisten sprechen beide von einem "Kampf der Kulturen". Sie erwecken den Eindruck, dass sich westliche Demokratie und Freiheitsrechte nicht mit dem Islam vereinbaren ließen. Aber stimmt das wirklich?
Der kanadische Journalist hat sich bereits in seinem sehr erfolgreichen Buch "Arrival City" mit internationalen Migrationsströmen auseinandergesetzt. In seinem neuen Werk überprüft er die Vorurteile gegenüber muslimischen Einwanderer nüchtern auf ihren Wahrheitsgehalt. Damit hebt er sich von den vielen Gutmeinenden ab, die dem Feindbild Islam nur ein idealisiertes Islambild entgegensetzen.
Er hingegen leugnet nämlich nicht, dass es ernsthafte Probleme mit Einwanderern aus islamischen Ländern gibt. Dazu rechnet er unter anderem die Vorstellung von einer islamischen Nation, die in den Einwanderungsländern Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenschweiße, zugleich aber von der Mehrheitsgesellschaft isoliere. Ebenso wenig leugnet er Schwierigkeiten mit der Integration in den Ghettos der europäischen Großstädte.
Aber die meisten gängigen Vorurteile kann Saunders durch Fakten widerlegen. Zum Beispiel die Angst, muslimische Einwanderer würden immer mehr Kinder in die Welt setzen und damit die fortpflanzungsunwillige einheimische Bevölkerung in wenigen Jahren zur Minderheit im eigenen Land machen.
In Wirklichkeit werden nach seriösen Berechnungen die Muslime in keinem Land Europas in den kommenden Jahrzehnten mehr als ein Zehntel der Einwohner ausmachen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lag 2010 in Europa bei rund sechs Prozent. Er könnte bis 2030 auf acht Prozent steigen.
Und noch nicht einmal das ist sicher. Denn dabei wird unterstellt, dass die Geburtenrate der Muslime weiterhin deutlich höher liegen wird als die der Einheimischen. In Wirklichkeit nähern sich die Geburtenraten an. Das gilt übrigens genauso für die Katholiken. Polen, das katholischste Land Europas, hat mit 1,3 Kindern pro Familie eine der niedrigsten des Kontinents.
Nun könnte es natürlich sein, dass die Muslime zwar nicht zahlenmäßig überlegen sind, aber aufgrund ihrer Glaubensfestigkeit die liberalen Gesellschaftssysteme des Westens unterminieren. Auch hier kann Saunders mit Fakten gegenhalten. So halten nach einer Gallup-Umfrage 47 Prozent der Muslime in Deutschland Homosexualität für moralisch akzeptabel. Das sind immer noch deutlich weniger als die 67 Prozent in der Gesamtbevölkerung. Aber es sind entschieden mehr als in den islamischen Heimatländern.
"Einwanderer aus muslimischen Ländern entwickeln sich im Allgemeinen eindeutig und in hohem Tempo in Richtung Integration, auch wenn ihr Wertesystem nach wie vor einen gewissen Abstand zu den einheimischen Nachbarn aufweist und diese Diskrepanz Anlass für erhebliche Spannungen wird.
Das Tempo der Integration ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der größte Teil dieser Einwanderer in den letzten 20 Jahren eingetroffen ist.
Europäer und Nordamerikaner brauchten Jahrzehnte, um einen Einstieg in den rechtlichen und sozialen Konsens bei den Themen Frauenrechte, Gleichstellung der Homosexuellen und Abtreibung zu finden."
Thilo Sarazzins "Deutschland schafft sich ab" hat sich bislang fast zwei Millionen Mal verkauft. Man kann nur wünschen, dass Doug Saunders nüchternes, faktenorientiertes Buch seinen Weg in mindestens ebenso viele Haushalte findet. Es würde der politischen Debatte außerordentlich gut tun.
Doug Saunders: Mythos Überfremdung. Eine Abrechnung
Aus dem Amerikanischen von Werner Roller
Karl Blessing Verlag, München 2012
"Wer in den Jahren 1949 und 1950 in den Vereinigten Staaten lebte, konnte Paul Blanshards Buch 'American Freedom and Catholic Power' kaum aus dem Weg gehen. Es hielt sich elf Monate auf der Bestsellerliste der New York Times, […] verkaufte in der ersten Ausgabe 240.000 Exemplare und erlebte in den USA und international 26 Auflagen.
[…] Blanshard schlug Alarm wegen einer Flut katholischer Einwanderer in die Vereinigten Staaten, die er als tiefe Bedrohung für Demokratie, Gleichheit und säkulare Werte bezeichnete. Diese Menschen kamen aus Ländern, die fast ausnahmslos autoritär regiert wurden, in religiösen Fragen fundamentalistisch auftraten und gegen Frauenrechte und Geburtenkontrolle waren.
Katholiken galten als Anhänger eines unveränderlichen, unabänderbaren, vom Klerus verordneteten Dogmas, das eher eine politische Ideologie als ein Glaube war. […] Einen Beleg für die katholische Neigung zur Ausübung extremer sozialer Kontrolle sah er in der Existenz ihrer schwarze Kopfbedeckungen tragenden religiösen Extremisten: den Nonnen."
Was Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Katholiken waren, stellen heute die Moslems dar. Damals unterstellte Paul Blanshard, die Anhänger der römischen Kirche ließen sich aufgrund ihres fundamentalistischen Glaubens unmöglich in die westlichen, protestantischen Gesellschaften integrieren. Heute behaupten Buchautoren wie Thilo Sarazzin in Deutschland, Robert Spencer in den USA und Bat Ye’or in Großbritannien das Gleiche von den Gläubigen des Islam.
Doug Saunders erkennt darin ein Muster: Gesellschaften sähen sich stets von religiös andersartigen Einwanderern bedroht. Sie projizierten ihre irrationalen Ängste auf diese Gruppe. Populisten beuteten wiederum die Ängste aus, weil sie ihre Bücher verkaufen wollen oder weil sie wie der Niederländer Geerts Wilders politisch davon profitierten.
Indem sie alle Anhänger eines Glaubens diffamierten, spielten sie den wirklichen Extremisten in die Hände. Das wird am Beispiel der Islamdebatte deutlich. Sowohl die Islamkritiker als auch die Islamisten sprechen beide von einem "Kampf der Kulturen". Sie erwecken den Eindruck, dass sich westliche Demokratie und Freiheitsrechte nicht mit dem Islam vereinbaren ließen. Aber stimmt das wirklich?
Der kanadische Journalist hat sich bereits in seinem sehr erfolgreichen Buch "Arrival City" mit internationalen Migrationsströmen auseinandergesetzt. In seinem neuen Werk überprüft er die Vorurteile gegenüber muslimischen Einwanderer nüchtern auf ihren Wahrheitsgehalt. Damit hebt er sich von den vielen Gutmeinenden ab, die dem Feindbild Islam nur ein idealisiertes Islambild entgegensetzen.
Er hingegen leugnet nämlich nicht, dass es ernsthafte Probleme mit Einwanderern aus islamischen Ländern gibt. Dazu rechnet er unter anderem die Vorstellung von einer islamischen Nation, die in den Einwanderungsländern Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenschweiße, zugleich aber von der Mehrheitsgesellschaft isoliere. Ebenso wenig leugnet er Schwierigkeiten mit der Integration in den Ghettos der europäischen Großstädte.
Aber die meisten gängigen Vorurteile kann Saunders durch Fakten widerlegen. Zum Beispiel die Angst, muslimische Einwanderer würden immer mehr Kinder in die Welt setzen und damit die fortpflanzungsunwillige einheimische Bevölkerung in wenigen Jahren zur Minderheit im eigenen Land machen.
In Wirklichkeit werden nach seriösen Berechnungen die Muslime in keinem Land Europas in den kommenden Jahrzehnten mehr als ein Zehntel der Einwohner ausmachen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lag 2010 in Europa bei rund sechs Prozent. Er könnte bis 2030 auf acht Prozent steigen.
Und noch nicht einmal das ist sicher. Denn dabei wird unterstellt, dass die Geburtenrate der Muslime weiterhin deutlich höher liegen wird als die der Einheimischen. In Wirklichkeit nähern sich die Geburtenraten an. Das gilt übrigens genauso für die Katholiken. Polen, das katholischste Land Europas, hat mit 1,3 Kindern pro Familie eine der niedrigsten des Kontinents.
Nun könnte es natürlich sein, dass die Muslime zwar nicht zahlenmäßig überlegen sind, aber aufgrund ihrer Glaubensfestigkeit die liberalen Gesellschaftssysteme des Westens unterminieren. Auch hier kann Saunders mit Fakten gegenhalten. So halten nach einer Gallup-Umfrage 47 Prozent der Muslime in Deutschland Homosexualität für moralisch akzeptabel. Das sind immer noch deutlich weniger als die 67 Prozent in der Gesamtbevölkerung. Aber es sind entschieden mehr als in den islamischen Heimatländern.
"Einwanderer aus muslimischen Ländern entwickeln sich im Allgemeinen eindeutig und in hohem Tempo in Richtung Integration, auch wenn ihr Wertesystem nach wie vor einen gewissen Abstand zu den einheimischen Nachbarn aufweist und diese Diskrepanz Anlass für erhebliche Spannungen wird.
Das Tempo der Integration ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der größte Teil dieser Einwanderer in den letzten 20 Jahren eingetroffen ist.
Europäer und Nordamerikaner brauchten Jahrzehnte, um einen Einstieg in den rechtlichen und sozialen Konsens bei den Themen Frauenrechte, Gleichstellung der Homosexuellen und Abtreibung zu finden."
Thilo Sarazzins "Deutschland schafft sich ab" hat sich bislang fast zwei Millionen Mal verkauft. Man kann nur wünschen, dass Doug Saunders nüchternes, faktenorientiertes Buch seinen Weg in mindestens ebenso viele Haushalte findet. Es würde der politischen Debatte außerordentlich gut tun.
Doug Saunders: Mythos Überfremdung. Eine Abrechnung
Aus dem Amerikanischen von Werner Roller
Karl Blessing Verlag, München 2012