Promille wider Willen

Von Udo Pollmer |
Foodwatch attackiert die Brauereien. Der Vorwurf lautet: Etikettenschwindel. Es geht um alkoholfreies Bier. Denn dieses enthält - anders als sein Name vermuten lässt - meist doch noch etwas Restalkohol. Für viele Verbraucher ein Anlass, sich nach Alternativen umzusehen.
Foodwatch attackiert die Brauereien. Der Vorwurf lautet: Etikettenschwindel. Es geht ums alkoholfreie Bier, das bekanntlich entgegen seinem Namen meist doch noch etwas Restalkohol enthält. Die Gehalte der einzelnen Biermarken schwanken zwischen null und einem halben Prozent. Man sieht, es ginge auch ohne, aber mit ein bisschen Restalkohol schmeckt es halt ein klein wenig besser. Der Vorwurf von Foodwatch ist durchaus nachvollziehbar. Es wäre schließlich keine Kunst, diese Info korrekt aufs Etikett zu drucken. Bei den modernen Brauverfahren wird der Alkoholgehalt ja präzise eingestellt.

Die Brauereiwirtschaft sieht das natürlich anders. Die Gehalte seien zu gering, um einen Effekt zu erzielen. Um sich versehentlich die Alkoholmenge eines Glases echten Bieres zu verabfolgen, müsste man sich ein ganzes Dutzend alkoholfreier reinzwingen. Der Kunde könnte sich das ja auch selbst ausrechnen – sofern gekennzeichnet würde. Doch der Deutsche Brauerbund stellt sich taub. Offenbar hat er Angst, dass so manch ein Freund des Alkoholfreien dann doch lieber zum Apfelsaft greift, weil er glaubt, der sei tatsächlich völlig frei von berauschenden Komponenten.

Doch da täuscht sich der Kunde. Auch Fruchtsäfte enthalten Alkohol, bis zu 0,3 Prozent - so wie die meisten alkoholfreien Biere auch. Dazu kommen noch bis zu 0,2 Prozent Methanol - das ist ein ziemlich übler Fuselalkohol. Bier hingegen enthält viel weniger Methanol als Fruchtsaft.

Wer nun statt Bier oder Saft bewusst alkoholfreie Erfrischungsgetränke zu sich nimmt, muss immer noch mit etwas Alkohol rechnen. Die Mengen sind zwar geringer als im Saft, aber durchaus messbar. Das Methanol beispielsweise gerät über ein geheimnisvolles Konservierungsmittel ins Getränk: über das nicht deklarationspflichtige Dimethyldicarbonat. Und der gewöhnliche Alkohol wird über den Aromamix eingeschleppt. Gerade bei Bioprodukten sind die Aromen gern mit Bio-Ethanol gestreckt, damit der Bioanteil im Produkt stimmt.

Alkohol steckt nicht nur in Getränken, sondern auch in festen Speisen. Unangefochtene Spitzenreiter sind überreife Bananen. Da ist mit fast einem Prozent sogar doppelt bis dreimal soviel Alkohol drin wie in sogenannten alkoholfreien Bieren. Da Alkohol bei Gärungen entsteht, sind auch Brot und Kuchen verdächtig. Allerdings entweicht davon bereits einiges im Gärbottich und im Backofen. Der Alkohol wird dann eben eingeatmet - im Backshop wie in der eigenen Küche. Wer sich da lieber zu einem Waldspaziergang an der frischen Luft entschließt, entkommt dem Stöffchen ebenfalls nicht. Auch in freier Natur gärt es, nämlich dann wenn organische Substanz verrottet.

Doch nicht nur im Unterholz, auch im Unterleib kommt es zu Gärungen, je nach Beschaffenheit der Darmflora und der Speisen. Dabei entsteht nicht nur der übliche Alkohol, sondern auch das giftige Methanol. Gerade bei ausgewiesenen Obstessern haben Gerichtsmediziner schon verdächtig hohe Gehalte im Blut ermittelt. Aber nicht weil sie heimlich trinken, sondern weil Früchte eben etwas Pektin enthalten. Und im Pektin steckt Methanol drin. Das wird dann im Darm freigesetzt - nach dem gleichen Prinzip wie im Fruchtsaft. Oder im Obstler.

Alkohol ist überall, nicht nur im alkoholfreien Bier, in Bananen oder im Brot. Wer dennoch Alkohol meiden will, wer vor allem die körpereigene Produktion verringern will, hat eigentlich nur eine Möglichkeit: Er verzichtet fürderhin auf die meisten pflanzlichen Nahrungsmittel. Aber ehrlich gesagt, wer will sich schon deshalb nur noch von Eiern, Käse und Kaviar ernähren wollen? Mahlzeit!


Literatur
Antoshechkin AG: On intracellular formation of ethanol and ist possible role in energy metabolism. Alcohol & Alcoholism 2001; 36: 608
McManus IR et al: Studies on the identification and origin of ethanol in mammalian tissues. Journal of Biological Chemistry 1966; 241: 349-356
Turner C et al: A longitudinal study of ethanol and acetaldehyde in the exhaled breath of healthy volunteers using selected-ion flow-tube mass spectrometry. Rapid Communications in Mass Spectrometry 2006; 20: 61-68
Braun G, Zur K: Methanol wie sicher sind unsere Getränke? Ein Bericht aus unserem Laboralltag. CVUA Stuttgart 15.12.2009
Grüner O Bilzer N: Zum Methanolgehalt von Fruchtsäften. Blutalkohol 1983; 20: 241-252
Stiller D et al: Fruchtsaft und Obstkonsum als Erklärung hoher Methanolspiegel – Grenze der Begleitstoffanalytik in der Nachtrunkbeurteilung. Kongreßbericht 2007 der Deutschen Gesellschaft für Volksmedizin, Heidelberg 15.-17.3.2007
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