Mit der Maske kann man spielen
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Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter dürfen wieder arbeiten. Für Salomé Balthus ist das eine sehr gute Nachricht. Die Gründerin eines Escort-Service will, dass ihre Branche genauso behandelt wird wie andere mit viel Körperkontakt.
Dieter Kassel: In einigen Bundesländern wurden die Auflagen schon entsprechend gelockert, und ab heute ist auch in Hamburg, in Schleswig-Holstein und in weiteren Ländern Prostitution wieder möglich, wenn dabei strenge und sehr konkrete Hygienevorschriften eingehalten werden. Über diese Regeln und auch über die Lage ihrer Branche sprechen wir jetzt mit Salomé Balthus. Sie ist Sexarbeiterin und Gründerin des Escort-Services Hetaera in Berlin.
Diese Hygienevorschriften, ein Teil davon sollte eigentlich auch sonst gelten, sind recht einfach – Desinfektionsmittel, regelmäßig Handtücher, Bettwäsche wechseln. Aber diese Vorschriften sehen ja auch vor, dass Sexarbeiter und die Kunden eine Maske tragen müssen beim Geschlechtsverkehr, dass bestimmte Stellungen, bei denen sich die Gesichter zu nahe kommen, verboten sind. Halten Sie das wirklich für im Alltag umsetzbar?
Balthus: Das Konzept klingt natürlich erst mal erschreckend, aber es ist gemacht für Bordelle, und es ist gemacht für die Situation, dass man da wirklich mehrere Kontakte hat. Ich bin kein Mediziner, ich habe das Konzept ja nicht erarbeitet, aber ich weiß, dass viele Kollegen sehr dankbar sind dafür, überhaupt wieder arbeiten zu dürfen. Sie wollen sich auch alle nicht anstecken.
In den letzten sechs Monaten sah es so aus, dass sie die Wahl hatten zwischen pleitegehen oder illegal arbeiten, und ich glaube, dieses Konzept lässt sich vielleicht auch anpassen, je nach der gesundheitlichen, epidemiologischen Lage. Ich denke, dass für viele Männer oder auch Kundinnen allein schon der Körperkontakt ganz wertvoll ist, oder sich zu berühren.
An das Masketragen kann man sich gewöhnen, es ist ja auch nicht für immer. Es geht darum, dass Menschen wieder in ihrer Tätigkeit arbeiten, ohne sich und andere zu gefährden, und man kann kreativ sein, ich denke, man kann die Maske auch in interessante Spiele einbauen. Es kommt doch letztendlich darauf an, dass man merkt, wie es gemeint ist, und dass die menschliche Nähe möglich ist. Es ist sogar entspannter für einige, wenn sie wissen: Hier bin ich sicher.
Warten auf die Schnelltests
Kassel: Das kann ich mir vorstellen, aber gerade, wenn wir über menschliche Nähe reden und nicht nur über puren Sex, ist das nicht doch komisch? Bei purem Sex – jetzt sprechen wir es mal aus, was jeder denkt – unter diesen Umständen ist Oralverkehr nicht möglich, okay, das ist die Ausnahme, das geht nicht. Vieles andere geht ja technisch gesehen, aber wenn es um mehr als puren Sex geht, mit jemandem intimen Kontakt haben, während man nicht sein ganzes Gesicht sieht, das finde ich psychologisch ein bisschen schwierig.
Balthus: Das mag sein, es muss ja auch nicht jeder in Anspruch nehmen. Das wird sicherlich für viele auch bedeuten, dass sie das erst mal nicht machen. Ich finde es auch schwierig, zum Friseur zu gehen, wenn meine untere Gesichtshälfte von einer Maske bedeckt ist und man dann gar nicht sieht, wie der Schnitt aussieht.
Aber wir müssen ja auch der Situation Rechnung tragen, dass wir nicht wissen, wie gefährlich die Lage ist und das nicht einschätzen können. Ich bin sicher, dass das Konzept vielleicht irgendwann überarbeitet wird und, sobald es Schnelltests gibt, sowieso verändert wird. Aber im Moment sind alle glücklich in Bordellen, dass sie das wieder machen können.
Im Bereich von einzelnen Kunden Escort-Dates, wo man vielleicht nur alle 14 Tage jemanden trifft und dann mit dem erst essen geht – es ist ja nichts anderes, als man in seinem Privatleben tut, wenn man wieder ins Restaurant gehen kann mit jemandem, um sich dort einen Abend lang zu unterhalten.
Es ist eine Atemwegsinfektion und keine Geschlechtskrankheit. Dann ist es ein bisschen absurd, hinterher beim Sex eine Maske aufzuziehen, das gebe ich zu, und das kann auch keiner kontrollieren in einem Hotelzimmer.
Keiner kann die Einhaltung der Regeln kontrollieren
Kassel: Das ist das Problem. Ich würde gerne auch gleich darauf kommen, auf die letzten sechs, sieben Monate, was die für Sie persönlich und für die ganze Branche bedeutet haben, aber wo Sie es gerade selber erwähnen mit Hotelzimmern: Es gibt Ihren Bereich, den Escort-Bereich, sagen wir mal die obere Etage, was Preise und auch Niveau angeht, es gibt Bordelle unterschiedlicher Größe, und es gibt eine Menge Frauen und auch Männer, die von zu Hause aus arbeiten, ihre Dienste einfach im Internet anbieten, und dann ist das Treffen bei ihnen, beim Kunden oder im Hotelzimmer. Da können wir uns doch, glaube ich, alle nicht drauf verlassen, dass da immer alle Regeln eingehalten werden.
Balthus: Wo kann man das schon, das kann man auch im Straßenverkehr nicht. Auf jeden Fall besteht die Möglichkeit, dass man sicher arbeiten kann, so wie in anderen Branchen auch, wo auch nicht immer kontrollierbar ist, hat der Kellner jetzt die Maske richtig über der Nase? Das kann man nicht. Es geht darum, dass wir genauso behandelt werden wie vergleichbare Branchen. Wenn zum Beispiel körpernaher Kontaktsport wie Boxen erlaubt ist, oder wenn es erlaubt ist, in größeren Gruppen zu feiern – es geht ja um die Verhältnismäßigkeit.
Kassel: Wie war es nun aber eigentlich – mir geht das jetzt durch den Kopf, weil ich glaube, Ihre Branche war ja mit am härtesten und am längsten betroffen von den Corona-Einschränkungen –, wie war es denn eigentlich für Ihre Firma und für Sie persönlich? Haben Sie jetzt sechs, sieben Monate lang keinen einzigen Cent verdient?
Balthus: Fast, aber ich hatte das Glück, ein paar Rücklagen zu haben. Ich würde sagen, es gab zwei Phasen: Die erste war während des Lockdowns, wo wirklich nichts ging, wo aber auch eine große Solidarität herrschte, wo wir als kleine Soloselbstständige auch – zumindest im Land Berlin, da habe ich wie alle anderen Soloselbstständigen dieses Geld bekommen und konnte damit über die Runden kommen.
Da fühlten wir uns auch sehr gehalten, das war ein ganz neues Gefühl von Zugehörigkeit, das wir nicht kannten. Aber dann später, als die Lockerungen kamen und immer mehr Lockerungen kamen für immer mehr Branchen, die uns aber alle nicht betrafen, und wir merkten, da stimmt irgendwas nicht, das hat Methode. Wir mussten es ja auch mit Verwaltungsgerichten am Ende durchklagen.
Für mich persönlich war es so, ich konnte kreativ sein, ich habe mich mit meinen Kolleginnen beraten, wollen wir es am Telefon machen, und zwar keinen normalen Telefonsex mit einer Standleitung und irgendwas, sondern im Voraus bezahlte, lange Telefongespräche, wo wir die Kunden anrufen und dann einfach zwei Stunden am Telefon eine schöne Zeit verbringen, im Prinzip nichts anderes als bei einem Date, nur ohne Körperkontakt, wo man sich unterhält und redet, alles sehr authentisch.
Das kam auch gut an, das einzige Problem war, dass die Kunden oft nicht allein zu Hause waren. Das hatten wir nicht bedacht, das war ein bisschen absurd. Und dann haben wir ja auch Gutscheine verkauft, was immer ein Risiko ist, selbst wenn man den Gutschein hat, kommt der Kunde ja nicht zweimal nach Berlin oder bucht jemanden zweimal, aber es hat zumindest erst mal geholfen. Ja, es war eine verdammt schwierige Zeit, sechs Monate. Wir haben auch das Gefühl gehabt, das war unverhältnismäßig, und deswegen haben die Verwaltungsgerichte den Klagen ja auch stattgegeben.
Abgeordnete wollen ein Sexkaufverbot
Kassel: Aber interessant war ja, dass im Frühsommer dann mehrere Bundestagsabgeordnete versucht haben, etwas, was Sie wahrscheinlich für die Gunst der Stunde gehalten haben damals, zu nutzen, nämlich zu sagen: Jetzt, wo Prostitution ohnehin aufgrund der Pandemie verboten ist, ist das doch eine super Gelegenheit, sie ganz zu verbieten und sie gar nicht erst wieder einzuführen. Das heißt, abgesehen von der Grunddebatte, auf die wir auch noch kurz kommen können, aber diese Kombination aus Pandemie und absoluter Ausnahmesituation und Moral, wie kam das bei Ihnen an?
Balthus: Wir haben es fast erwartet. Wir kennen ja diese Abgeordneten – der parlamentarische Arbeitskreis "Prostitution wohin?" – die eigentlich mehr oder weniger klargemacht haben, dass sie das Sexkaufverbot in Deutschland wollen, also die Bestrafung von Bezahlung von Sex, und uns das auch noch als etwas verkaufen wollen, wofür wir dankbar sein müssen als Sexarbeiterinnen, dass wir nicht auch noch dafür bestraft werden können, dass wir diese Arbeit ausüben.
Churchill hat gesagt "Never miss a good crisis", aber es ist eine Sache, so eine Meinung zu haben als Privatmensch – man muss ja nicht Prostitution gut finden – oder das in Gesetzesform gießen zu wollen. Es war selbstverständlich für uns insofern ein Schock, weil wir gedacht hätten, wenn wir jetzt eine andere Verfassung hätten, die die Grundrechte des Einzelnen nicht so stärkt, dann könnte das ganz schnell passieren.
Das Erschreckende ist, die Bevölkerung ist ja eigentlich tolerant in Deutschland gegenüber Sexarbeitern, und die allermeisten Deutschen finden Prostituierte irgendwie sogar sympathisch oder haben zumindest nichts dagegen, auch wenn sie es nicht konsumieren. Aber wenn dann so eine Stimmung gemacht wird, dann geht das ganz schnell, dass das kippt und dass man sagt, wenn man sich als Prostituierte beschwert, dass man nicht arbeiten darf: Na ja, kein Wunder, warum macht ihr das auch.
Dieses "es ist ja nicht ganz normal, und es ist ja kein normaler Job, und ihr seid ja auch ein bisschen komisch", das ist etwas, wogegen ich kämpfe. Für mich ist das eine Tätigkeit, die ich gerne mache. Ich glaube, jede Sexarbeiterin – ich rede jetzt nicht von Menschenhandelsopfern, die für mich keine Prostituierten sind, sondern vergewaltigte Frauen –, aber jede hat dafür irgendwelche Gründe, und sei es, dass es das kleinere Übel ist. Ihr diese Wahlmöglichkeit zu nehmen, ist nichts, was besonders befreiend wirkt.
Ich glaube, es ist wichtig, der Bevölkerung zu zeigen, dass Sexarbeiterinnen diesen Job gern machen und freiwillig und dass wir uns sogar diesem Hygienekonzept beugen, nur damit wir wieder arbeiten dürfen. Wir sind Hygieneprofis, wir kriegen das hin, wir schützen uns auch so ständig vor Infektionskrankheiten, gegen die sich normale One-Night-Stand-Partygänger oder Privatmenschen nie schützen würden. Unsere Kunden merken das oft gar nicht, weil wir es sehr diskret machen und sehr routiniert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.