Protest gegen die Anti-Corona-Maßnahmen

"Die wissen, auf welche Knöpfe man drücken muss"

07:10 Minuten
Porträt von Armin Nassehi.
"Das ist alles andere als eine irrationale Bewegung", sagt der Soziologe Armin Nassehi über die Anti-Corona-Maßnahmen-Protestierer. © Picture Alliance / Ulrich Baumgarten
Armin Nassehi im Gespräch mit Ute Welty |
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Für den Soziologen Armin Nassehi haben die Proteste gegen die Anti-Corona-Maßnahmen das Potenzial, eine Bewegung zu werden. Das rechte Spektrum nutze den Aufstand für eine Systemkritik, die zum Ziel habe, demokratische Verfahren zu zersetzen, warnt er.
Anhänger von Verschwörungsmythen, Friedensaktivisten, schwäbische Hausfrauen, Rechtsradikale: Es ist ein bunter Haufen, der derzeit gegen die Anti-Corona-Maßnahmen auf die Straße geht und dessen Protest immer radikaler wird.
Wie groß diese Bewegung sei oder noch werde, könne man derzeit nicht sagen, meint Armin Nassehi: "Aber man muss sagen, der Atem ist länger, als ich erwartet habe."
Der Soziologe sieht den Protest gespeist durch die Verunsicherung und den Stress, den die Coronakrise für viele Menschen mit sich bringt. "Und auf diese Verunsicherung setzen sich dann die üblichen Verdächtigen drauf, die vor allen Dingen aus dem rechtspopulistischen Spektrum kommen, und kochen ein ganz anderes Süppchen."

Corona ist Anlass, nicht Ursache der Proteste

Diesen Protestierern gehe es eigentlich gar nicht um Corona, sondern um eine radikale Systemkritik an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, warnt er. Corona sei hier der Anlass für eine Kritik, die zum Ziel habe, demokratische Verfahren zu zersetzen. "Und die Leute, die das auch unter anderem mitbetreiben, sitzen ja inzwischen mit im Parlament", sagt Nassehi. Hier müsse man "sehr vorsichtig und hellhörig sein".
"Da entsteht womöglich eine Bewegung", so der Soziologe. Zwar müsse man mit historischen Vergleichen vorsichtig sein: "Aber auch so etwas wie der Linksterrorismus in den 1970er-Jahren brauchte eine Vorfeldbewegung, die übrigens auch Begriffe aus der Nazizeit verwendet hat. Auch damals sagte man schon, die Bundesrepublik sei ein faschistischer Staat, deshalb müsse man grundlegenden Protest machen."

Eine Gruppe, die weiß, wie man sich Gehör verschafft

Dass bei den Demonstrationen gegen die Anti-Corona-Maßnahmen "das Volk" gegen "den Staat" steht, wie es die Organisatoren der Proteste gern für sich Anspruch nehmen, bezweifelt Nassehi jedoch. "Demonstrationen und Proteste sind fast nie ein repräsentatives Abbild der Gesellschaft", sagt er. Es komme vielmehr zu Protesten, "weil Minderheiten denken, dass sie sich sichtbarer machen müssen, als sie im Hinblick auf die Zahlenverhältnisse eigentlich sind."
Nassehis Einschätzung nach handelt es sich momentan um eine "relativ kleiner Gruppe", die aber durchaus in der Lage sei, sich Gehör zu verschaffen. "Das ist alles andere als eine irrationale Bewegung, die wissen schon ungefähr, auf welche Knöpfe man drücken muss, damit öffentliche Aufmerksamkeit funktioniert."
(uko)
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