Kreuzberg wehrt sich gegen explodierende Mietpreise
Share Deals, mit denen der Fiskus ausgetrickst wird, und eine kaum wirksame Mietpreisbremse: In Berlin-Kreuzberg stehen die Behörden den explodierenden Immobilienpreisen oft machtlos gegenüber. Jetzt wollen Kiez-Initiativen die Bürger mobilisieren.
"Heute Abend werde ich sehr viel Geld unter die Leute bringen (lacht dreckig) – ja es wird wunderbar." Magnus Hengge zieht ein Bündel schwarzer 10.000er-Scheine aus seiner Sakko-Tasche, wedelt damit, wirft sie den Passanten zu, die an diesem Abend durch die Wrangelstraße in Berlin Kreuzberg flanieren. Manche bücken sich nach dem Spielgeld, andere gehen irritiert dreinblickend vorbei.
"Und habt ihr Geld? Oder wollt ihr umziehen? Ach, was ist das für ein trauriger Anblick! Aber wir können euch helfen, wir haben nämlich Geld für euch. Ihr könnt Häuser kaufen von den Share-Dealern. Ihr braucht doch Wohnungen, hab ich gehört."
Hengge hat mit seinen Nachbarn vor knapp zwei Jahren "Bizim – unser Kiez" gegründet. Eine von vielen Initiativen, die in Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln mit kreativen Protestaktionen gegen die Ansiedlung von Großkonzernen wie Zalando oder Google kämpfen, gegen Luxussanierung, Verdrängung – und besonders perfide Immobiliendeals. Der 48-jährige Kommunikationsdesigner Hengge ist so nebenbei zum Immobilien- und Aktien-Experten geworden:
"Plötzlich lese ich Koalitionsverträge und alle möglichen Gesetze und alles, was mit Immobilien zu tun hat."
Hauskauf steuerfrei - ein Paradies für Investoren
An diesem warmen Sommerabend haben sie eine überdimensionierte "Geld-Waschmaschine" auf die Wrangelstraße gestellt. Daneben Papp-Transparente: "Haus-GmbH im Angebot" steht da drauf. Oder "Maximaler Profit – Mieter müssen immer zahlen". "Share Dealer Salon" nennen sie ihre Performance. Die soll auf ein Geschäftsmodell aufmerksam machen, das sich unter Rentenfonds und Immobilienspekulanten in Berlin seit ein paar Jahren größter Beliebtheit erfreut - den Share-Deal.
"Sie funktionieren, indem vor allem GmbHs gegründet werden, die wirklich dazu da sind, nur Häuser zu besitzen. Und die Leute können jetzt einfach Häuser kaufen, brauchen keine Steuern zahlen und der Milieuschutz kann nicht zugreifen, weil es ganz offiziell kein Hausverkauf ist, sondern der Verkauf von Anteilen einer Gesellschaft. Dann ist das Haus an einen anderen Menschen gegangen oder eine andere Firma, die Eigentümerin im Grundbuchamt ist aber immer die gleiche geblieben, nämlich die GmbH."
In Milieuschutzgebiet wie hier im Wrangelkiez ist der Share-Deal mittlerweile zum Standard-Immobilienverkaufsmodell geworden.
"Weil der Bezirk bei einem ganz normalen Hausverkauf – also wenn es eine Änderung im Grundbuch gibt, die Möglichkeit hat, da einzugreifen und zu sagen: Da machen wir nicht mit und greifen mit unserem kommunalen Vorkaufsrecht zu."
Mehr als 100 Millionen Euro an Steuern sind Berlin im vergangenen Jahr durch solche Deals durch die Lappen gegangen. Der Bund müsste Share Deals bei Immobiliengeschäften deshalb schlicht und einfach verbieten, fordert Hengge.
Auch der Baustadtrat von Neukölln macht mit
"Schönen guten Tag auch von mir…"
Fünf Kilometer weiter südlich, am Alfred-Scholz-Platz in Neukölln haben die Grünen aus dem Bezirk zwei Boxen aufgestellt und ein paar leere Umzugskartons aufeinander getürmt. "5 Euro pro Quadratmeter 2008" steht auf dem untersten Karton, "10 Euro pro Quadratmeter 2017" auf dem höchsten.
"Im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Wir erleben, dass viele, die in Neukölln in den letzten Jahren Immobilien erworben haben, sich um eine Verantwortung für das Allgemeinwohl überhaupt nicht mehr kümmern."
Jochen Biedermann ist Baustadtrat in Neukölln, gemeinsam mit seiner Partei startet er an diesem Nachmittag die Kampagne "Rette deinen Kiez". Schließlich sind in Biedermanns Kiez Neukölln die Mieten so stark angestiegen wie in keinem anderen Bezirk Berlins. Biedermann will Mieter informieren, wie sie gemeinsam mit ihren Nachbarn gegen Mietsteigerungen vorgehen können – und wie das Bezirksamt dabei helfen kann.
"Als Baustadtrat nutze ich alle Mittel, die uns auf bezirklicher Ebene zur Verfügung stehen. Wir haben inzwischen sieben Milieuschutzgebiete, wo wir Luxusmodernisierung, die Umstellung in Eigentumswohnungen verhindern können und das Vorkaufsrecht konkret prüfen – aber dazu brauchen wir die Mithilfe von den Bewohnern, weil wir nicht bei jeder Baumaßnahme nebendran stehen können und gucken können, was passiert da wirklich."
Elf Prozent Modernisierungsumlage - eine Rendite wie sonst nirgendwo
Doch Biedermann konnte in den vergangenen eineinhalb Jahren erst sechs Mal das Vorkaufsrecht des Bezirks geltend machen. Gegen Share Deals und eine nicht funktionierende Mietpreisbremse kann der Bezirkspolitiker auch nicht viel anrichten. Da müsste der Bund ran, sagt Biedermann.
"Erstens brauchen wir eine Mietpreisbremse, die wirklich wirkt, im Moment ist das ein Mietpreistempomat, bei Verstößen müssen wir das aus meiner Sicht bußgeldbewehrt machen können, nur dann tut es den Vermietern weh. Dann brauchen wir eine Änderung bei der Modernisierungsumlage, diese elf Prozent sind völlig aus der Zeit gefallen, eine Rendite, die sie sonst nirgendwo bekommen."
Vor dem "Share Dealer Salon" in der Wrangelstraße stehen jetzt fast 100 Leute, mit Club Mate und Bierchen in der Hand lassen sie sich von den Performern der Nachbarschaftsinitiative erzählen, welchen Schaden Share Deals im Kiez, in ganz Berlin anrichten.
"Bei uns, den Menschen, geht es um unser Leben, unsere Wohnung, ein Dach über dem Kopf, unser Zuhause…" Hengge hat das Mikro an Gabriela Stangenberg gegeben, die pensionierte Ärztin wohnt zwei Häuser weiter. Viele ihrer Freunde nicht mehr. Sie konnten ihre Mieten im Milieuschutzgebiet in der Wrangelstraße nicht mehr bezahlen.
"Ich will ein Verbot von Share-Deals. Ich will ein gleiches Recht, Grunderwerbssteuer zu bezahlen – und mein persönlicher Wunsch ist – die Menschlichkeit stärken." Die Anwesenden jubeln.