Der Kulturbetrieb im Zeichen des Kapitalismus
Bundesweit haben Künstler gegen das Freihandelsabkommen TTIP protestiert. Sie fürchten, dass Kultur durch TTIP zur Ware degradiert wird. In Hamburg vsiualisierten sie ihre Sorge: ein Kulturbetrieb, der von Google und Sony übernommen wird.
Alfred Stephan Mattes rollt das rot-weiße Absperrband ab. Fast ganz vermummt – dunkle Sonnenbrille, schwarzer Regenmantel, schwarzer Südwester – wickelt er das Flatterband um die Fahrradständer und Laternenpfähle vor den Hamburger Bücherhallen. Hoch genug, um den Besuchern den Zugang nicht wirklich zu verwehren:
Mattes: "Wir machen eine Aktion gegen TTIP. Weil wir Sorge haben, dass TTIP auch den Kulturbereich betrifft, überhaupt: unsere Demokratie kaputtmacht. Und deswegen müssen wir irgendetwas tun als Künstler. Und deshalb haben wir uns zusammengetan mit anderen kulturellen Einrichtungen. Aber wichtig ist, dass der Berufsverband auch Initiator war."
"Dieses Haus macht dicht!"
Alfred Stephan Mattes sitzt im Vorstand des Hamburger BBKs, dem Bund Bildender Künstler. Neben ihm halten seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter das Transparent mit ihrer Botschaft. In fetten, roten Lettern auf weißem Grund steht dort: "Dieses Haus macht dicht!" Zwei Dutzend Hamburger Künstler präsentierten heute, am Aktionstag gegen das Freihandelsabkommen TTIP, ihre Vision für das Jahr 2025: Das Abkommen ist – allen Mahnungen zum Trotz – schon lange von der EU-Kommission und dem US-Senat ratifiziert worden. Die ersten Klagen US-amerikanischer Entertainmentkonzerne gegen deutsche Subventionen für Kulturbetriebe waren erfolgreich. Und die Hamburger Bücherhallen, erklärt die Hamburger Kulturwissenschaftlerin Barbara Lang, heißen nun ganz schnöde: "Amazon Halls".
Lang: "Die Hamburger Kunsthalle ist das 'Google-Erlebnis-Forum'. Und die Elbphilharmonie, das Wahrzeichen von Hamburg, firmiert unter 'Sony BMG Entertainment Hall'. Die öffentlichen Theater, Schauspielhaus und Thalia haben eine Klage auf Gleichbehandlung durch den Musicalkonzern 'Stage Entertainment' verloren und mussten leider schließen."
Klagen gegen Theater, Opernhäuser und Museen befürchtet
Und damit es soweit erst gar nicht kommt, müssten noch viel mehr Autoren, Künstler und Kreative gegen TTIP aufbegehren, fordert Barbara Lang. Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats kritisiert, dass die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen hinter verschlossenen Türen geführt werden. Kaum etwas dringe nach außen. Und das, was man darüber wisse, müsste alle Kulturschafenden alarmieren.
Zimmermanns Sorge: Großkonzerne könnten mit TTIP vor internationalen Schiedsgerichten gegen die öffentliche Förderung von allen erdenklichen Kultureinrichtungen klagen. Gegen öffentliche Bücherhallen, gegen Theater und Opernhäuser. Oder gegen die Idee eines öffentlichen-rechtlichen Rundfunks. In Gefahr sei auch das Instrument der schon seit Jahren immer wieder diskutierten deutschen Buchpreisbindung, fürchtet Alfred Stephan Mattes vom Hamburger BBK. Die Dimension, in der TTIP unser Zusammenleben verändern könnte, sei den meisten Menschen noch gar nicht bewusst. Obwohl schon heute klar sei, wohin die Reise gehe.
"Das Ende der Demokratie eingeläutet"
Mattes: "Da müssen selbst die verstocktesten Freihandelsbefürworter einsehen, dass gerade das Ende der Demokratie eingeläutet wird und wir auf eine Diktatur des Kapitals zusteuern."
Der Deutsche Kulturrat formuliert seine Kritik nicht ganz so scharf. Dass aber beispielsweise "audiovisuelle Medien" vom TTIP-Abkommen ausgenommen werden sollen, beruhigt den Geschäftsführer des Kulturrats Olaf Zimmerman nicht. Die französische Regierung hatte die Ausnahmeregelung in den TTIP-Verhandlungen durchgesetzt. Nach wie vor sei aber unklar, was genau unter "audiovisuellen Medien" zu verstehen ist. Fraglich ist zum Beispiel, ob ein E-Book unter diese Kategorie fällt oder nicht. Dass die protestierenden Künstler heute in Hamburg die zentrale Bücher- und die Kunsthalle schon mal symbolisch abgesperrt haben, kam bei den meisten Passanten gut an. Mit TTIP, so scheint es, verbinden viele Menschen eher Negatives. Mit und ohne Wissen über die Details des Abkommens. Nur wenige schüttelten den Kopf über die Aktion der TTIP-kritischen Künstler:
"Ich halte das für paranoid"
Eine Hamburgerin sagt: "Es ist doch so, dass die Amerikaner auch nicht ganz kulturlos sind. Auch wenn wir uns so anstellen, als ob wir die Einzigen sind, die die Kultur gepachtet hätten. Sondern es ist etwas albern, anzunehmen, dass den Amerikanern nun an der Vernichtung unserer Kultur gelegen sein wird. Ich halte das für paranoid!"
Wie paranoid oder wie weitsichtig der Protest gegen TTIP ist, steht noch nicht fest. Ändern könnte sich das, wenn tatsächlich ein Verhandlungsergebnis vorliegt. Wenn die für den Kulturbetrieb relevanten Passagen endlich öffentlich sind.