Protest in Jeans und Pulli

"Sexismus"-Vorwurf auf einer Dessous-Werbung in Berlin.
"Sexismus"-Vorwurf auf einer Dessous-Werbung in Berlin. © imago / Steinach
Von Gaby Mayr |
Sie lächeln zuhauf von Plakaten und Litfasssäulen: Superdünne gephotoshoppte Mädchen. An dieser Rolle, die Frauen zu hübschen, aber unterwürfigen Objekten degradiert, stört sich Stevie Schmiedel. Die Wissenschaftlerin engagiert sich deshalb in einer Kampagne dagegen und meint: "Pinkstinks!".
Stevie Schmiedel: "Nein, nein, nein, die geben wir Ihnen umsonst. Da freuen wir uns immer sehr, wenn Leute Flyer für uns verteilen..."

Stevie Schmiedel bei der Arbeit. Seit einem Jahr wirbelt die 41-jährige Hamburger Wissenschaftlerin für "Pinkstinks", eine Initiative "Gegen sexuelle Verfügbarkeit in der Außenwerbung".

Die Kritik richtet sich gegen superdünne, unterwürfige Frauen auf Litfasssäulen, Leuchttableaus und Plakaten an Haltestellen.

"Was uns wirklich stört ist, dass Werbung Frauen oft eine Rolle zuweist, dass sie ständig zeigen: Wir müssen verfügbar sein, wir müssen schön sein, sehr schlank, sehr jung und ein Bild ausstrahlen, das sagt: Bin ich schön genug?"

Eine befreundete Schauspielerin kommt vorbei. Stevie Schmiedel lebt mit Mann und zwei Töchtern in einer geräumigen Altbauwohnung in Hamburg-Eimsbüttel. Lissy Staud hat für Pinkstinks in einigen Städten Straßentheater gemacht - und gibt auf der Stelle eine Kostprobe:

"Mein Gesicht ist zu eckig, zu rund, zu schmal. Meine Nase zu krumm, zu dick. Ich bin zu klein originell, zu klug. Zu lustig. Zu charakterstark."

Veranstaltungen verabreden, Flyer verschicken, Absprachen mit anderen Aktiven von Pinkstinks treffen, Vorträge halten, Protest per Internet organisieren - das ist jetzt Stevie Schmiedels Alltag. Ihr Arbeitsplatz ist ein kleines Zimmer in der Wohnung, dort hält die schmale Frau die Fäden in der Hand - gerne in Jeans und Pulli. Abends hilft ihr Mann manchmal.

Bis vor einem Jahr hat die Wissenschaftlerin ihren Lebensunterhalt mit Seminaren zu Genderthemen an Uni und Hochschule verdient. Jetzt bekommt sie von der Bewegungsstiftung ein Honorar.

Der Jobwechsel hatte Gründe. Der eine Grund: Im Frühjahr 2012 war Stevie Schmiedel mit ihren beiden Töchtern in der Stadt unterwegs.

"Und meine Kleine, die gerade eben lesen konnte, sagte: 'Mami, was ist eine Wanderhure?' Weil an jeder Leuchtlitfasssäule die Werbung zu der Serie hing 'Die Rückkehr der Wanderhure'. Mit einer Frau, das Kleid zerfetzt über der Schulter, sehr lasziv, sehr hübsch trotzdem in dieser gefährlichen Situation anzusehen."

Der zweite Grund für Stevie Schmiedels Wechsel von der Wissenschaft zur Organisation gegen die Bilderflut magerer, unterwürfiger Models war ihr Seminar über Populärkultur und Essstörungen an der Hochschule für Angewandete Wissenschaften in Hamburg. Zur Vorbereitung wollte Schmiedel wissen: Wie geht es Jugendlichen mit ihrem Körper?

"Nun ist es so, dass 2006 sich 70 Prozent der Mädchen wohl in ihrer Haut fühlten. Die fühlten sich attraktiv. 2012 waren es nur noch 47 Prozent."

Grund für die wachsende Unzufriedenheit, sagt eine Studie der Universität Bielefeld, ist das Schlankheitsideal für Mädchen und Frauen.

Die Idee zu Pinkstinks stammt aus Großbritannien. Auf der Insel wehrt sich Pinkstinks gegen die gnadenlose Einschränkung der Spielzeugwelt für Mädchen auf die dauerniedliche, rosafarbene Prinzessin Lillifee und ihre superschlanken Kolleginnen wie Barbie, die immer lieb sind und sich vor allem um ihr Aussehen kümmern.

"Stop! There is more than one way to be a girl."

Dass Stevie Schmiedel ihre Kampagne gegen sexualisierte Werbung nach britischem Vorbild "Pinkstinks" nannte, ist kein Zufall. Schmiedel ist Hamburgerin, aber ihre Mutter stammt aus England. Nach dem Abitur ging Stevie Schmiedel nach London, um Kommunikationswissenschaften zu studieren.

"Obwohl ich aus einer sehr traditionellen Familie komme und für mich damals, genau wie heute für junge Mädchen, 'Feministin' ein Schimpfwort war, war ich überall 'the German feminist'. Das lag aber einfach daran, weil mit meiner kritischen Art und mit meinem Hinterfragen ich einfach als Feministin gesehen wurde. Und da das so gegen mein Gefühl sprach - Feministin sein ist doch was ganz Schlimmes -, habe ich da selber ein solches Interesse entwickelt, dass ich dran geblieben bin und mich immer weiter spezialisiert habe in Genderfragen."

Stevie Schmiedel geht zwischendurch zurück an ihr wichtigstes Werkzeug, den Computer. Er macht es möglich, zu Aktiven und Interessierten über weite Entfernungen Kontakt zu halten.

"Guck mal, hier ist gerade ein Kommentar reingekommen: Mut machen sollte uns auch, dass viele Männer die Petition unterzeichnen, weil sie eine solche Werbung nicht wollen."

"Mmmmh, das ist toll."

Übers Internet sammelt Pinkstinks gerade Unterschriften an den Deutschen Werberat. Die Forderung: Öffentliche Werbung soll so aussehen, dass sie auch für Kinder auf dem Weg in die Grundschule geeignet ist.

Pinkstinks hat erste Erfolge: Nach Protesten ließ zum Beispiel eine Bekleidungskette eine Werbung mit aufreizenden weiblichen Models nach wenigen Tagen abhängen.

Als Genderforscherin kennt Stevie Schmiedel aber auch die Kehrseite der Medaille:

"Genauso sind Jungs heutzutage unglaublich unter einem Druck, immer aggressiv zu sein, Starwars, Spiderman, Darth Vader, auf jeder Socke, die man im Laden kauft, ist heutzutage irgendetwas gedruckt, was mit Action und Lautstärke zu tun hat. ADHS steigt unter Jungs sehr stark an. Eigentlich müssten wir noch eine Kampagne Bluestinks machen."

Die Trennung der Kinderwelt in eine für Mädchen und eine für Jungen wird so radikal inszeniert, obwohl die Wissenschaft immer neue Belege dafür findet, dass diese Aufteilung der Geschlechter nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.

"Die neuesten Erkenntnisse zeigen ganz klar, dass wir mit sehr ähnlichen, also fast gleichen Gehirnen auf die Welt kommen. Dass die Unterschiede innerhalb eines Geschlechts größer sind als zwischen den Geschlechtern."

Die Wissenschaftlerin und Mutter zweier Töchter organisiert mit Begeisterung und Energie den Widerstand gegen sexualisierte Werbung. Aber, sagt sie, es koste auch viel Kraft:

"Ich gehe mit Pinkstinks ins Bett und stehe mit Pinkstinks morgens auf."