Protestanten im Kölner Karneval

Wenn Kamelle von der Kanzel fliegt

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Illustration eines Mannes, der in ein Partytröte bläst.
"Dass man in der Kirche feiern, lachen und tanzen darf, da sind wir bei den Protestanten weiter als die Katholiken", sagt der Pfarrer der Kölner Lutherkirche, Hans Mörtter. © imago / f Stop Images / Malte Müller
Von Michael Hollenbach |
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Karneval und Fasching werden traditionell in katholischen Gegenden gefeiert. Vor der Fastenzeit über die Stränge zu schlagen, passt nicht so zum Protestantismus. Im Köln ist das anders: Für die Party werden manchmal sogar die Kirchenbänke weggerückt.
Im Epizentrum des Kölner Karnevals, in der Südstadt, liegt die Lutherkirche. Früher, so Pfarrer Hans Mörtter, sei an den tollen Tagen in der Gemeinde tote Hose gewesen. Doch vor 30 Jahren habe man sich entschieden, das Karnevalswochenende selbst mit einem Gottesdienst am Samstag einzuläuten.

Volles Haus beim Tanz vor dem Altar

"Nach dem Karnevalsgottesdienst werden die Bänke ausgeräumt", erzählt Mörtter, "und dann wird eine Party mit zwei Diskjockeys abgefahren – aber volle Dröhnung bis fünf Uhr morgens. Manche Leute, die zum ersten Mal da sind, sagen: 'Ich glaube es nicht: Der Pfarrer in Netzstrümpfen statt Talar! Dass in der Kirche getanzt wird, es ist rappelvoll.'"
Die Kanzel wird für die Tontechnik genutzt, auf dem Altar hat der DJ sein Equipment stehen. An der Theke gibt es Kölsch und Wein.
"Bei uns gibt es keine Betrunkenen, es gibt gut Angeschickerte" versichert Hans Mörtter sichtlich stolz: "Dass man in der Kirche feiern, lachen und tanzen darf, da sind wir bei den Protestanten weiter als die Katholiken."
Porträt des protestantischen Pfarrers Hans Mörtter aus Köln.
In Köln feiert Pfarrer Hans Mörtter die tollen Tage quasi durch. An seiner Brust prangt die so genannte Prinzenspange – verliehen vom Kölner Dreigestirn.© Deutschlandradio / Michael Hollenbach
Damit man im Gotteshaus ordentlich abtanzen kann, werden die Kirchenbänke entfernt, erklärt der Pfarrer: "Die waren ursprünglich fünf Meter lang und festgedübelt, wir haben sie rausgedübelt und in der Mitte zersägt, und die räumen wir jetzt rein und raus."
Die Kirchenbänke waren auch für Dorothee Schaper ein gewisses Problem. Die Pfarrerin gehört zum Präsidium der Prot's-Sitzungen, eine Art protestantischer Karneval. Die evangelischen Jecken feiern in der altehrwürdigen Kölner Kartäuserkirche – dort bleiben die Kirchenbänke aber drin.
"Auf die Gesangbuchablagen haben wir mit einem Arbeitslosenprojekt sehr schöne Holzleisten aufmontiert", sagt Schaper, "so dass man zu der Sitzung nicht sein Gesangbuch hinlegt, sondern sein Kölschglas hinstellt."

Kein Schweigegelübde für Jecken und Narren

Dort, wo einst fromme Mönche schwiegen und später barmherzige Beginen Kranke pflegten, wird nun alle zwei Jahre gefeiert.
"Wir hatten große Bedenken, ob das aufgeht mit starrer Kirchenbankbestuhlung", sagt Schaper. "Aber der Kölsche ist ja vor nix fies, der schafft das auch in fester Kirchenbankbestuhlung zu schunkeln – auch wenn er Protestant ist."
Und die protestantischen Jecken haben sogar ihr eigenes Lied. Dorothee Schaper stimmt es an. Die ursprünglich aus Preußen stammenden Protestanten hatten es im Rheinland nicht so leicht.
"In dem Lied kommt der Blaukopp vor, so wie wir hier im katholischen Köln schon mal gern beschimpft werden nach den blauen Preußen, mit denen die Protestanten in die Stadt kamen", sagt Schaper. "Seitdem sind wir die Pimocken oder Blauköpp, denen hinterher gesagt wird, dass sie nicht lachen können oder dafür in den Keller gehen."
Den Preußen sei das Karnevalstreiben der Rheinländer zu anarchistisch gewesen, erklärt Pastor Hans Mörtter. Deshalb hätten sie Anfang des 19. Jahrhunderts den Karneval in eben den festen Strukturen organisiert, in denen er bis heute noch gefeiert wird:
"Die Preußen, das sind ja Ordnungsleute, Protestanten. Die haben gesagt, okay, wir haben ein Problem – ganz einfach: Wir gründen ein Komitee. Und dann haben sie den Kölnern erlaubt, das Festkomitee zu gründen und haben Garnisonspferde zur Verfügung gestellt für den ersten Umzug mit dem Prinz Karnevale, das war dann in bürgerliche Bahnen gelenkt."

Der Organist spielt auf zum Schunkeln

Dass Karneval bis heute vor allem in katholischen Gegenden gefeiert werde, habe auch mit der Reformation zu tun, weiß Pfarrer Mörtter:
"Luther und die Reformatoren, die waren schon unlustig, kann man sagen, sehr puritanisch. Die Bilder rausschmeißen aus den Kirchen, das hatte ja einen Grund, aber trotzdem haben sie das massiv übertrieben. Das war schon fast fundamentalistisch, wie die da vorgegangen sind. Und der Karneval passte da überhaupt nicht, weil das einfach Ekstase war."
Doch immerhin: Selbst im traditionell lutherisch geprägten Braunschweig hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten eine Karnevalskultur etabliert. Heute, am Sonntag vor Rosenmontag feiern hier rund 300.000 Jecken Schoduvel, wie man den Karneval in Braunschweig nennt. Und morgen, am Rosenmontag, kommen die Narren zum Gottesdienst in die Martinikirche.
"Ich predige auf rheinisch, es wird geklatscht und es gibt einen Narrhalla-Marsch bei Gags in der Predigt", verrät Pastor Friedhelm Meiners. "Und was auch immer noch ganz lustig ist: Wir heizen in dieser Zeit unsere Kirche nicht. Wir fahren da ein Modell, das heißt Martini eiskalt, und am Ende spielt der Organist immer ein Stück, bei dem man mitschunkeln und mitklatschen kann. Ich sage dann immer: Das ist, damit bei der Kollekte die Finger nicht zu klamm sind."
Narrhalla-Marsch in der Kirche? Pastor Meiners weiß, dass das nicht alle lustig finden. Manche seiner Konfessionsgeschwister tun sich schwer mit dem Humor. Meiners beklagt "eine gewisse Ernsthaftigkeit, die ein bisschen zu ernst ist"; das merke man daran, "dass es in dieser Stadt viele gibt, die den Kopf schütteln und sagen: Das gehört gar nicht her."

Am Aschermittwoch bleibt der Pfarrer im Bett

Friedhelm Meiners ist dagegen mittlerweile zum richtigen Karnevalisten geworden: "Letztes Mal habe ich Kamelle geworfen von der Kanzel, zum ersten Mal. Für die Karnevalisten, die sonst immer schmeißen, damit sie auch mal welche kriegen."
In Köln feiert Pfarrer Hans Mörtter die tollen Tage quasi durch. An seiner Brust prangt die so genannte Prinzenspange – verliehen vom Kölner Dreigestirn. Mörtter ist einer der Organisatoren des Karnevalszuges am Rosenmontag. Und am Dienstag wird weitergefeiert – mit der so genannten Nubbelverbrennung. Da werden auf den Nubbel, eine Strohpuppe, die ganzen Sünden der Karnevalszeit geladen und anschließend verbrannt. Und dann?
"Der Aschermittwoch ist bei mir ein Null-Tag", gesteht Mörtter. "Da liege ich im Bett. Und sage: Endlich ist es vorbei. Die Ekstase ist vorbei, die hält man auf Dauer nicht durch."
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