Protestantismus

Seelenheil sprengt nationale Grenzen

Der tschechische Reformator Jan Hus vor dem Konstanzer Konzil
Der tschechische Reformator Jan Hus vor dem Konstanzer Konzil © dpa / picture alliance
Von Thomas Klatt |
Fünf Jahre lang tagte das Konzil von Konstanz, von 1414-1418, denn Europa war aus den Fugen geraten. Drei deutsche Könige stritten um die Macht, drei Päpste machten sich gegenseitig den Glauben und ihre Kirche streitig, Jan Hus aus Böhmen forderte der eine neue bibelnahe Theologie. Hus landete dafür auf dem Scheiterhaufen – und vielleicht wäre er eine historische Randnotiz geblieben, wäre nicht 100 Jahre später auch aus seinen Ideen eine noch viel größere religiöse Bewegung entstanden, der weltumspannende Protestantismus.
Mittelalterliche Kirchengesänge aus der Zeit des Jan Hus. Vielleicht hat der böhmische Reformator ähnliche Klänge gehört, als er 1414 beim gerade beginnenden Konzil in Konstanz eintraf. In Europa konkurrierten seit fast nun schon 30 Jahren drei Päpste miteinander. Johannes der XXIII., Gregor der XII. und Benedikt XIII. Das so genannte Abendländische Schisma. Damit sollte nun endlich Schluss sein, ein gemeinsamer neuer Papst musste her. Aber dann gab es noch diesen Jan Hus, der unter wachsendem Beifall nicht nur seiner böhmischen Landsleute verkündete, dass der christliche Glaube überhaupt kein Papstamt benötige. Harald Siebenmorgen, Direktor des Badischen Landesmuseums Karlsruhe.
"In seinen Predigten und in der Messe verwendete er die tschechische Landessprache. Beeinflusst von dem englischen Reformator John Wicliff verurteilte er nicht nur den Reichtum und die weltliche Macht der Amtskirche, sondern wetterte gegen den Zeitgeist, gegen Luxus und Mode, womit er sich schon in Prag die Feindschaft der Prager Goldschmiede, Schuh- und Hutmacher, der Wirte und der Weinhändler zuzog, aber auch zahlreiche Anhänger in der tschechischen Bevölkerung und auch im niederen deutschen Adel, der in Böhmen ansässig war, gefunden hatte."
Jan Hus, etwa 1370 in Böhmen geboren, studierte in Prag Theologie, wurde zum Priester geweiht und schließlich zum Professor und Dekan der Universität Prag ernannt. Nun sollte er auf dem Konzil widerrufen. Dafür sagte ihm König Sigismund freies Geleit zu. Doch Hus geriet zwischen die kirchlichen Mühlen und landete schließlich zusammen mit seinem Glaubensbruder Hieronymus von Prag auf dem Scheiterhaufen.
"Die causa fidei. Drei Wochen nach seinem Eintreffen in Konstanz wurde Hus vor allem auf Betreiben des einen der drei konkurrierenden Päpste, Johannes XXIII. auf dessen Betreiben verhaftet. 45, später 30 seiner vorgeblichen Irrlehren wurden ihm vorgelegt, und er wurde schließlich wegen der - Zitat - Verführung des christlichen Volkes am 6. Juli 1415 von der Kirche, die sich die Finger nicht schmutzig und kein Blut an ihren Händen haben wollte, an die weltliche Obrigkeit zur Hinrichtung übergeben."
"Bei Luther ist doch die Theologie etwas anders verankert"
Alle seine sterblichen Überreste und Habseligkeiten wurden in den Rhein gekippt. Es sollten keine Reliquien des Märtyrers erhalten bleiben. Das nun ein acht mal acht Zentimeter großes Textilfragment aufgetaucht ist, das aller Wahrscheinlichkeit vom Mantel des böhmischen Reformators stammt, darf als kleine Sensation vermeldet werden. Das spektakuläre Textilfragment ist derzeit als kostbare Leihgabe nebst anderen Exponaten in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin zu bewundern. Hus wollte die Gleichheit aller Kleriker ohne Hierarchie. Er vertrat die so genannte Prädestinationslehre, die göttliche Vorherbestimmtheit aller Menschen. Er stand für Gewissensfreiheit eines jeden einzelnen ein. Und er wollte, anders als die katholische Kirche, die Kommunion für alle in beiderlei Gestalt, Brot und Wein. Und Hus setzte sich entschieden für die tschechische Sprache und Bildung ein. Rudolf Jindrak, amtierender tschechischer Botschafter in Berlin.
"Im böhmischen Königreich verbesserte sich die allgemeine Kenntnis der liturgischen Texte auch bei den Ärmsten. Der Papst damals beklagte sich sogar, dass jede Hussiten-Frau die Bibel besser kennt als viele Priester."
Bis heute ist Hus einer der tschechischen Nationalhelden. An seiner Person macht sich so etwas wie die nationale Identität fest.
"Seit der ersten tschechischen Republik stehen Worte von Johannes Hus auf der Präsidentenstandarte, die über der Burg Prags, dem Hradschin, wehen: Wahrheit siegt."
Hus selbst soll noch kurz vor seinem Tode verkündet haben, dass er nur eine Gans sei, nach ihm aber käme ein viel schönerer Schwan. Eine prophetische Vision, die die Protestanten 100 Jahre später auf den Wittenberger Reformator Martin Luther übertrugen. Die evangelische Theologin Margot Käßmann.
"Die Gedanken von Jan Hus sind ganz stark die, die später dann Martin Luther angetrieben haben. Gewissensfreiheit, Rückbesinnung auf die Bibel, Volkssprache, Kritik an der eigenen Kirche, wie er sie vorgefunden hat. Hätte Jan Hus das freie Geleit bekommen, das ihm versprochen war, wie es Luther dann auch versprochen wurde, und hätte er einen Friedrich den Weisen gehabt, der die Hand über ihn hält, hätte er Fürsten gehabt, die ihn schützen, vielleicht wäre das dann die Reformation gewesen. Hus und Luther können theologisch auf eine Stufe gesetzt werden, aber die politischen Bedingungen waren für Luther 100 Jahre später andere."
Nur Hus und Luthers Theologie in eins zu setzen, wenn auch mit 100 Jahren Abstand, hält der Historiker Heinz Schilling dann doch für zu kurz gegriffen. Denn Luther wollte niemals so etwas wie eine sächsische Nationalkirche gründen.
"Es ist ein Unterschied in der Theologie. Das Zentrum bei Hus ist die Ekklesiologie in Richtung auf eine tschechische Nationalkirche. Der Aufbruch im kirchlichen Bereich wie im weltlichen. Bei Luther ist doch die Theologie etwas anders verankert. Die Rechtfertigungslehre, die finden Sie bei Hus in derselben Weise nicht. Und das ist ein Grund dafür, dass Luther eine universalistische Reformation möglich macht, die weit über nationale Grenzen hinaus geht. Die Frage nach dem persönlichen Seelenheil war eine, die jede nationale Grenze sprengte."