100 Jahre politischer Mord

Der Protestantismus als republikfeindliche Kraft

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Reichspräsident Paul von Hindenburg schreitet mit evangelischen Pfarrern im Talar die Treppen zum Berliner Dom hoch.
Nationalistisch, antidemokratisch, antisemitisch: In der Weimarer Republik waren viele protestantische Pfarrer deutschnational eingestellt. © picture-alliance / akg-images
Von Elke Kimmel · 16.03.2022
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"Dunkel hat sich über die deutsche Erde gelagert": Viele Vertreter der protestantischen Kirche empfanden das Ende des Kaiserreichs als Schmach. Der Weimarer Republik standen sie feindselig gegenüber - und nicht wenige von ihnen waren Antisemiten.
 „Im Sonnenlicht eines neuen, frohen Tages haben wir uns das Ende des Krieges gedacht, erwünscht, erbeten. Im Dunkel der Nacht ist es gekommen. Die Fahne der Hohenzollern und der Wittelsbacher und der anderen Fürstengeschlechter ist gesunken. Das deutsche Volk selbst hat Bismarcks Erbe den Feinden ausgeliefert. Im Innern stehen wir vor unbekannten Entwicklungen. Die Trennung von Staat und Kirche ist angekündigt, die konfessionelle Schule sieht ihrem Begräbnis entgegen. Die Gegner des Christentums lenken zurzeit das Schiff des Staates. Dunkel hat sich über die deutsche Erde gelagert.“
Sehr düster sind die Vorahnungen, die der Berliner Pastor Ernst Bunke nach der Abdankung der Monarchie im Dezember 1918 äußert. Die evangelische Kirche steht von Anfang an in einer feindseligen Distanz zur Republik. Mit der Revolution hat sie ihre führende Rolle im Staat verloren.
Besonders in Preußen waren Kirche und Monarchie eng verbunden, jetzt ist der Monarch gestürzt. Einflussreiche Kirchenmänner hängen der Dolchstoßlegende an, nach der die Republik mit einem Verrat an der kämpfenden Truppe und am Vaterland entstanden sei.

Für die Nation, gegen die Demokratie

Während Bekenntnisse zur Republik als „politisch“ abgelehnt werden, sind nationalistische Feiern im kirchlichen Rahmen problemlos möglich. Die Berliner Zeitung „Der Westen“ berichtet von einer Fahnenweihe des deutschnationalen Nachwuchses im August 1921. Pastor Otto Dibelius habe seine Weiherede mit dem Aufruf beendet:
„Klar zum Gefecht! Für Deutschlands Freiheit und Recht! Für ein treues, freies, einiges Geschlecht!“
Auch die Reaktion auf die Weiherede ist protokolliert:
„Jubelnder Beifall dankte den prächtigen, kernigen Worten des beliebten Kanzelredners.“

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe von Deutschlandfunk Kultur in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung
Autorin: Elke Kimmel

Nach Pastor Dibelius spricht Admiral von Trotha, ehemaliger Flügeladjutant von Kaiser Wilhelm II.:
„In der Glaubensstärke und in der vaterländischen Tüchtigkeit der deutschen Jugend liegt die deutsche Zukunft. (...) Bis Gott den Tag schenkt, an dem die Fahne sich senkt als Ehrenbanner vor einem neu erstandenen Kaiserreich!“

Gegen "Schmutz- und Schundliteratur"

Pfarrer Otto Dibelius wie auch sein Amtskollege Reinhard Mumm gehören der republikfeindlichen Deutschnationalen Volkspartei an, der politischen Heimat vieler Protestanten. Pfarrer Mumm setzt sich im Reichstag besonders gegen die „Schmutz- und Schundliteratur“ ein und fordert die Einrichtung „schwarzer Listen“ für solche Publikationen.
In Bremen und andernorts begleiten 1921 evangelische Pastoren Umzüge von Jugendlichen gegen Schundliteratur, die mit der Verbrennung der gefährlichen Bücher enden.
Genauere Definitionen von Schundliteratur fehlen an dieser Stelle. Allgemein verstehen die protestantischen Volkserzieher darunter:
„Bücher und Hefte, die durch ihre wildphantastische Schreibweise die jugendliche Phantasie erregen, irreführen und überreizen“.

In der Tradition von Hofprediger Adolf Stöcker

Was demgegenüber gute Literatur sei, verrät das evangelische Tageblatt „Aufwärts“: Es empfiehlt die Schriften von Paul Althaus, einem Pfarrer und überzeugten Antisemiten, aber auch Bücher, in denen es um die Vermeidung der Weitergabe von Erbkrankheiten geht und Huldigungsschriften über Kriegshelden.
Das Blatt sieht sich in der Tradition des ehemaligen wilhelminischen Hofpredigers Adolf Stöcker und argumentiert im Sinne des Nationalprotestantismus, jener starken politischen Strömung, für die auch Dibelius und Mumm stehen.
Eine Abgrenzung nach rechts gibt es kaum: Nicht wenige Pastoren engagieren sich im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund und treten auf den „Deutschen Tagen“ auf. In Berlin arbeitet das Evangelische Johannesstift zeitweise sehr eng mit dem völkisch-antisemitischen Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband zusammen.

Der "Judas im eigenen Land" als Sündenbock

In der Potsdamer Garnisonkirche finden immer wieder Festgottesdienste für monarchistische Vereinigungen wie den „Stahlhelm“, den Alldeutschen Verband“ oder den „Bund Königin Luise“ statt. Im Januar 1921 feiern Kriegervereine mit Familienangehörigen des ehemaligen Kaisers in der Garnisonkirche den 50. Jahrestag der Reichsgründung, und der Prediger Johannes Vogel wettert gegen die Demokratie:
„Welch ein Armenhaus und Irrenhaus! Welch ein Skandal in der ganzen Welt! Eine wahrhaft welthistorische Pleite!“
Schuld ist für Vogel und andere Prediger in der Garnisonkirche:
„Der Judas ist's im eigenen Lande, der uns verraten hat.“

"Den Talar über der Stahlhelmuniform"

1929 schreibt die Deutsche Zeitung über einen Gottesdienst in der Garnisonkirche:
„Den Talar über der Stahlhelmuniform, das Eiserne Kreuz auf der Brust, so stand Pfarrer Schultze-Stolpe, dieser wehrhafte Verkünder des Wortes Gottes auf der Kanzel über der Gruft Friedrichs des Großen.“
1933 ist Otto Dibelius nicht der einzige evangelische Amtsträger, der den Machtantritt der Nationalsozialisten begrüßt und bekennt, er sei stets Antisemit gewesen.
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