"Der Herbst der Repression hat begonnen"
06:55 Minuten
Es ist nicht so einfach, sich aus der Ferne ein Bild von der Lage in Belarus zu machen. Der Historiker Felix Ackermann hat deshalb eine Facebook-Seite ins Leben gerufen, die Stimmen und Stimmungen aus dem Land präsentiert.
Die Lage in Belarus spitzt sich zu. Während Präsident Lukaschenko fast die gesamte oppositionelle Spitze verhaften oder aus dem Land hat werfen lassen (Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch ist noch in Freiheit), ist es hierzulande schwierig, sich ein authentisches Bild von der Lage und der Stimmung im Land zu machen.
Felix Ackermann, Historiker am Deutschen Historischen Institut in Warschau, hat eine Facebook-Seite ins Leben gerufen, um Einblick in das verschlossene Land zu ermöglichen. Er zeigt sich sehr beunruhigt über die gegenwärtige Lage:
"Der Herbst der Repression hat begonnen, und ich blicke mit großer Sorge nach Belarus, weil die Verhaftungen zugenommen haben, der Druck auf diejenigen, die sich offen engagieren, stärker geworden ist und auch inzwischen Frauen und Studierende systematisch verhaftet werden. All das dient einem Ziel, nämlich Angst zu verbreiten."
Die Opposition braucht Aufmerksamkeit und Solidarität
Man müsse jetzt unbedingt Solidarität mit der Opposition zeigen, sagt Ackermann. Er ruft Studierende in Deutschland auf, sich bei Partneruniversitäten zu melden, um sich zu informieren, wie sie den dortigen Studierenden helfen können. Auch die Gewerkschaften in Deutschland sollten ihre Partner in Belarus kontaktieren. Das seien wichtige Schritte.
"Allein diese Aufmerksamkeit in ganz Europa, die hilft den Menschen in Belarus auch jetzt für die kommenden Wochen, wenn es immer schwieriger werden wird, jeden Sonntag auf die Straße zu gehen und dieses Niveau von friedvollem Protest aufrechtzuerhalten."
Die Facebook-Seite sei als spontane Reaktion auf die Entwicklungen in Minsk entstanden. Als man nicht nur von Historikern und Schriftstellern, sondern auch von in Streik getretenen Arbeitern, orthodoxen Priestern und von Lehrkräften Stimmen sammeln konnte, habe man sich für das Weitermachen entschieden. "Damit haben wir ein breiteres Bild, als man sonst abbilden kann."
Telegram als wichtiges Kommunikationsmittel
Der Kontakt laufe teilweise über den Facebook-Messenger, aber viel wichtiger sei Telegram. "Das lässt sich schlecht blockieren. Aber es gab immer wieder Versuche, vor allem Nachrichtenseiten zu sperren. Das heißt, wir haben zum Teil auch auf andere Nachrichten Zugriff als unsere Freunde, Bekannten und Kollegen in Belarus. Was aber doch funktioniert, ist einfach mal anzurufen und nachzufragen."
"Wir können nicht tagesaktuell berichten", sagt Ackermann. "Aber man kann sich bei uns einen ganz guten Überblick verschaffen, was sich in den letzten Tagen entwickelt hat. Eine Besonderheit ist, dass die zwei wichtigsten Belarussisch-Übersetzer, Tina Wünschmann und Thomas Weiler, mit im Team sind und auch Susanna Koltun angefangen hat, belarussische Poesie zu übersetzen und dass wir damit auch Stimmen direkt aus dem Belarussischen ins Deutsche bringen können, was bisher eher ungewöhnlich und randständig war."
(rja)