"Abbild von diesem arroganten Auftreten von G-20"
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Für den Musiker Schorsch Kamerun zeigt sich beim G-20 Gipfel in Hamburg die Arroganz der Macht. Jeder sei in der Stadt inzwischen genervt und fühle sich provoziert. Er findet das Politikertreffen ein "dusseliges Format".
Am Donnerstagnachmittag hatte der Musiker Schorsch Kamerun auf dem Hamburger Fischmarkt noch mit seiner Band "Goldene Zitronen" gespielt, als die Demonstranten starteten. "Ich hatte dort das Gefühl, das man dort eigentlich vor 10.000 Menschen ein sehr, sehr buntes Bild bietet", sagte Kamerun im Deutschlandfunk Kultur. Allerdings habe er in den vergangenen zwei Wochen in Hamburg erlebt, dass sich die Stimmung zunehmend zugespitzt habe und es keine Deseskalation gegeben habe.
Verständnis für die Wut
"Jeder ist da einfach nur genervt und fühlt sich wirklich provoziert", sagte Kamerun. "Wenn man ständige Militärhubschrauber über sich hat und es fahren schon Nachmittags die Wasserwerfer durch die Stadt , dann ist das schon auch ein Abbild von diesem arroganten Auftreten von G-20." Deshalb begreife man die Wut, die es da zum Teil gebe. Mit einem heftigen Bild und manchmal auch mit einem Stein werde manchmal eben auch eine mediale Präsenz erreicht. "Das ist zum Teil eben auch ermüdend." Als Musiker hoffe er aber darauf, dass auch ein Lied zum Nachdenken anregen könne.
Hamburg als falscher Ort
"Es braucht keine G-20", zeigte sich Kamerun überzeugt. "Man kann nicht über Afrika reden, ohne Afrika dabei zu haben, das ist doch Blödsinn." Es sei auch Quatsch, dass das Treffen angesichts des großen Aufwands und der großen Sicherheitsvorkehrungen in einer großen Stadt stattfinde. Angesichts der vielen Hubschrauber, Drohnen und Scharfschütze habe man das Gefühl, das könne es doch nicht sein als "Bild für Kommunikation", sagte der Musiker. "Also G-20 ist ein ausgesprochen dusseliges Format."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es gibt ziemlich viel Kritik heute Morgen am Verhalten der Hamburger Polizei in der vergangenen Nacht. Sie haben es ja in den Nachrichten vermutlich gehört, es gab doch ziemlich viele Ausschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Wasserwerfer wurden eingesetzt. Es wird sicherlich noch viel darüber diskutiert werden, wie angemessen oder eben auch nicht das gewesen ist, aber Tatsache ist und bleibt, dass noch niemals im Umfeld eines G20-Gipfels so viele Demonstrationen und Protestaktionen genehmigt wurden wie dieses Jahr in Hamburg.
Die Aktionen laufen schon seit dem vergangenen Wochenende, auch wenn der Gipfel ja erst heute beginnt, und es wird darüber berichtet, man kann es kaum übersehen, trotzdem stellt sich aber die Frage, ob diese Demonstrationen nicht inzwischen zu solchen Treffen gehören wie die Anzüge der Politiker und die Parkplätze voller TV-Übertragungswagen, was eine gefährliche Tendenz wäre, über die wir jetzt reden wollen mit Schorsch Kamerun, Künstler, Musiker, Autor und Regisseur unter anderem in Hamburg lebend und außerdem auch noch Globalisierungskritiker. Schönen guten Morgen!
Schorsch Kamerun: Guten Morgen!
Kassel: Sie waren ja die vergangene Nacht – nicht die ganze Nacht, aber eine ganze Weile – in Hamburg unterwegs, haben da auch teilgenommen an Protesten. Wir wissen, was da passiert ist, wir wissen, dass es Ausschreitungen gab. Wie beurteilen Sie das? Es war schlimm, aber es war eigentlich ungefähr so wie erwartet, oder?
Kamerun: Ja, also das hat sich alles schon ein Stück weit hochgeschaukelt. Also wir erleben das seit zwei Wochen, und natürlich gibt es dann auch immer so ein Stück weit die Frage nach irgendeinem großen Knall, und damit meint man natürlich auch ein physisches Zusammentreffen, und das ist ja dann eben etwas, was Sie eben schon auch angesprochen haben. Also was ist davon lohnend insgesamt, was jetzt Protest angeht, und was ist einfach nur auch wieder ein Frame, ein krasses, kräftiges Bild.
Wir haben da gestern erst mal mit unserer Band gespielt, nachmittags auf dem Fischmarkt, wo dann eben die Demonstration danach auch starten wollte, und ich hatte dort das Gefühl, dass man da eigentlich vor dann ja zehntausend Menschen ein sehr, sehr buntes Bild bietet, und auch irgendwie ein sinnvolles Gemeinsames betreibt, und das ist immer so die Frage: Was muss da dann her, und wer hat da die Meinungshoheit, und dann stellt sich immer die Frage nach der Gewalt und so weiter, und ganz interessant natürlich, wen erreicht man eigentlich. Natürlich erreicht man mit einem heftigen Bild und manchmal auch mit einem Stein anscheinend irgendwie auch eine mediale Präsenz, und das ist zum Teil eben auch ein bisschen ermüdend. Das stimmt schon.
Die Stadt ist sauer
Kassel: Es gibt im Prinzip, wenn man das mal ganz, ganz grob zusammenfasst, im Moment in Hamburg und auch darüber hinaus drei Formen von Protesten: die Gewalt, die natürlich nicht geht – auf beiden Seiten eigentlich nicht, weder von den Protestierenden noch von der Polizei –, die friedlichen Proteste, die im weitesten Sinne noch so ein bisschen alternativ stattfinden – dazu gehört auch das Konzert, das Sie gerade beschrieben haben –, und es gibt ja auch so eine Art Mainstream-Großprotest.
Es gab gestern Abend bezeichnenderweise in der Barclaycard Arena, die nach einer großen Bank und einem Finanzunternehmen benannt ist, das Global Citizens Festival mit ganz großen Stars: Coldplay, Grönemeyer und Co. Drei verschiedene Dinge, die das gleiche versuchen: die Globalisierung so zu beeinflussen, dass sie nicht mehr so läuft wie die G20 sie bisher haben laufen lassen, aber eigentlich funktionieren doch alle drei Dinge nicht, oder?
Kamerun: Ich würde das nicht sagen. Also es gibt ja dann doch … Also was ja funktioniert, ist – und das ist ja auch das, was so das große Problem darstellt –, ich glaube schon, dass die Stadt, in der wir dort leben und auch die Viertel, in denen wir leben, schon ein, wie soll ich sagen, breites Gemeinsames erfährt, eben auch in seiner Diversität, und deswegen ist ja die Stadt auch so sauer, also nicht nur wir dort in unserem kleinen Dörfchen, sondern insgesamt, dass man eben spürt, es ist möglich.
Es gab zum Beispiel eine Form von sogenanntem Protest auf dem Arrivati Park, also eben auch, wo man eben hinkommen kann, wo jetzt erst mal testweise die Urban Citizen Card verteilt wurde, wo die alten Stadtrechte eigentlich eingefordert werden, dass man einfach in einer Stadt einen gewissen Schutzraum erlebt und auch einen bestimmten Zugang zur Stadt. Das fand ich zum Beispiel eine recht gute Möglichkeit, und solche Dinge verteilen sich ja zum Teil schon. Was wir einfach erlebt haben, und das muss man so sagen, ist schon etwas, was man eben nicht mehr deeskalierend nennen kann.
Es hat sich einfach derartig zugespitzt in den letzten zwei Wochen, und ich glaube, jeder ist da einfach nur genervt und fühlt sich auch wirklich provoziert. Also wenn man ständige Militärhubschrauber über sich hat, und es fahren schon nachmittags die Wasserwerfer durch die Stadt, dann ist das einfach, wie soll ich sagen, schon auch ein Abbild von diesem arroganten Auftreten von G20, also was da landet in der Stadt, und von daher begreift man natürlich auch diese Wut, die es dann zum Teil gibt, aber was die Protestformen angeht, ist das natürlich schwierig. Keine Ahnung, also wir glauben schon daran, dass auch ein Lied zum Denken, zum Nachdenken anregen kann.
Es geht um Wirtschaftsinteressen
Kassel: Daran glaube ich ja auch. Die Frage ist nur, wen es zum Nachdenken anregt. Ich will jetzt nicht gleich mit Donald Trump kommen, aber selbst Angela Merkel, Emmanuel Macron und die anderen: Glauben Sie, dass die großartig bei ihrem Treffen darüber nachdenken, was an Protesten stattgefunden hat in Hamburg?
Kamerun: Ich glaube es nicht wirklich. Also da hat man eben schon das Gefühl, dass das auch ein Stück weit wurscht zu sein scheint, also wo da hingegangen wird. Da trifft man sich dann doch, und letzten Endes, und das ist ja das, was man auch so scharf daran kritisiert, geht es irgendwie doch um ökonomische Interessen und Blöcke, die sich möglicherweise zusammenbringen. Ob man den Herrn Putin ein Stück weit mehr reizt oder weniger, am Ende scheint es darum zu gehen, ob man irgendwie in weiteren, für sich gewinnbringenden Handel tritt, und genauso fühlt sich das an.
Ich habe eine Diskussion gehabt mit einem Grünen-Fraktionsvorsitzenden in Hamburg, der irgendwie China als glühendes Beispiel mittlerweile bringt, und China ist auch, wie soll man sagen … China benutzt Afrika als Hinterraum, um weitere ökonomische Vorteile zu haben. Also ich glaube auch, da kommt erst mal so viel nicht an, und eben: Man hat das Gefühl, es landet dieses Handelsraumschiff irgendwo, und das kann es auch woanders machen, und dann am Ende muss man noch hören, ach ja, schade, das scheint ja doch nicht so klug gewesen zu sein, sollten wir doch eigentlich in der UNO abhalten. Also wenn die Leute so reden, dann würde man eigentlich denken, Herr Scholz, bitte abtreten. Also Sie haben da wirklich keinen guten Job gemacht, wie Herr Trump sagen würde.
Kassel: Aber die Frage ist trotzdem: Ist es sinnvoll, es, so wie man es jetzt macht, mitten in einer Millionenstadt zu machen oder halt wie man es sonst meistens gemacht hat bei G20, irgendwo abgelegen? Ich meine, dann haben Sie nicht mehr die Hubschrauber und die Wasserwerfer in der Stadt, aber irgendwie soll entschieden werden, möglichst weit weg von da, wo alle wohnen?
Kamerun: Es braucht keine G20. Das ist ja der Irrtum. Also man kann nicht über Afrika reden, ohne Afrika dabei zu haben. Das ist einfach Blödsinn. Und ob das dann in einer großen Stadt stattfindet, hält man eben auch für Quatsch bei dem Aufwand, der betrieben wird, bei dem, was da eben an Sicherheitsveränderung, die angeblich sein muss, da ist, und bei dem, was ausprobiert wird vorher mit Hubschraubern, Drohnen, Scharfschützen und so weiter, hat man eh das Gefühl, das kann es ja wohl nicht sein als Bild für Kommunikation. Also G20 ist wirklich ein ausgesprochen dusseliges Format.
Kassel: Sagt der Hamburger Künstler und Globalisierungskritiker Schorsch Kamerun. Herr Kamerun, danke fürs Gespräch und trotz allem einen möglichst unangestrengten Tag in Hamburg! Wird nicht leicht!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.