Literaturtipp
Das Buch "Kommen sie da runter!" von Cécile Lecomte ist soeben im Graswurzelverlag erschienen.
Klettern als Revolte
Cécile Lecomte ist eine Art Berufsdemonstrantin. Seit Jahren fordert sie die Polizei heraus, wenn sie Bäume besetzt oder sich von Brücken abseilt. Über ihre Erlebnisse als Protestkletterin hat die junge Französin nun ein Buch geschrieben.
"Ich kann nicht anders, als nur revoltieren. Und das ist einfach, wie ich mich fühle. Also du fühlst dich fremd zu dieser Welt, wo alles so schiefläuft, wo die Lebensgrundlage zerstört wird. Ich kann nicht im Sessel sitzenbleiben und sagen: Och, mir doch egal. Und ich bin der Meinung, ich muss aktiv werden."
Cécile Lecomte ist ein Energiebündel: burschikos, laut und ein wenig pummelig. Sie trägt eine senfgelbe Stretchcordhose und mehrere bunte Fleece-Jacken übereinander. Praktische Berufskleidung für ein Leben in frischer Luft. An Ihrer Hüfte baumelt der Klettergurt mit Schlaufen, Haken und Karabinern.
Scheinbar mühelos erklettert sie Bäume, Masten, Fassaden und entrollt Transparente:
"Mein Ziel ist, die Menschen zum Nachdenken zu bringen, auch aufzurütteln, manchmal auch zu provozieren. Also wenn sie nicht damit einverstanden sind, finde ich das auch gut, weil - also eine Welt, wo alle die gleiche Meinung hätten, wäre auch langweilig. Na?"
"Das bringt Aufmerksamkeit"
Die 32-jährige Französin begreift ihre Kletteraktionen als kreative Kunstform - ihre Botschaften in unvermuteten Räumen zu platzieren, zu denen man aufschauen muss, irgendwo in der Höhe:
"Das ist eine Kunst, den richtigen Zeitpunkt zu treffen, die richtige Aktion, die muss auch verstanden werden können, und ich finde, dass Klettern diesen Ätsch-Faktor hat und die Leute fragen sich, ja warum hängen die da? Und vielleicht auch eine gewisse Bewunderung für die sportliche Leistung. Also das bringt Aufmerksamkeit."
Geboren ist Cécile Lecomte in den Vogesen, auf den Schultern ihrer Mutter erlebte sie als Kind ihre erste Demo, einen Lehrerstreik. Die Mutter nimmt sie mit in die Berge und Felswände der französischen Alpen. Cécile hat Talent und Ehrgeiz, sie wird französische Jugendmeisterin im alpinen Klettern, nimmt an Europa- und Weltmeisterschaften teil, bis sie Wettkämpfe satt hat:
"Diese Erfahrung bringe ich auch mit im Aktionsklettern, aber ich find´s viel schöner für eine andere Welt zu klettern, als gegen Menschen zu klettern. Also mich für bestimmte politische Themen zu engagieren, finde ich viel schöner."
"Diese Erfahrung bringe ich auch mit im Aktionsklettern, aber ich find´s viel schöner für eine andere Welt zu klettern, als gegen Menschen zu klettern. Also mich für bestimmte politische Themen zu engagieren, finde ich viel schöner."
Schon früh kämpft sie gegen Atomkraft, und gegen eine Wirtschaft, die sich auf Wachstum stützt und dabei die Ressourcen ausbeutet:
"Weil ich eigentlich Kapitalismus nicht so doll fand, und überhaupt um zu wissen, warum ich das nicht so schön finde, hab ich das erst mal studiert, so."
"Weil ich eigentlich Kapitalismus nicht so doll fand, und überhaupt um zu wissen, warum ich das nicht so schön finde, hab ich das erst mal studiert, so."
Utopie mit Kompostklo
Als Erasmusstudentin kommt Cécile Lecomte nach Erlangen und Bayreuth. Studiert Fremdsprache und internationale Wirtschaft. Ihren Abschluss macht sie in Frankreich. Seit 2005 lebt sie in Lüneburg mit ihrem Freund in einer Bauwagenkolonie. Eine gelebte Utopie mit Kompostklo und Solarstrom:
"Also im Sommer habe ich ganz viel, kann ich auch einen Kühlschrank betreiben und im Winter ist der Kühlschrank draußen. Ich mein, das ist draußen kalt genug. Das heißt, dass du dich anders organisierst, aber das heißt nicht schlecht leben."
In Lüneburg ist ihre Basis. Ihr zweites Zuhause ist ein Netzwerk aus Aktivisten. Ein Patenschaftsmodell sorgt für ihren Lebensunterhalt und die Behandlung gegen ihre Rheumaerkrankung. Dafür macht Cécile Lecomte Übersetzungen, recherchiert, schreibt und plant ihre spektakulären und kräftezehrenden Kletter-Aktionen: Monatelang besetzt sie Bäume mitten im Winter, hängt Transparente an Frankfurter Bankentürme oder seilt sich von Brücken über der Castorstrecke ab. Demonstranten und Polizei nennen sie respektvoll "Das Eichhörnchen". Die meisten Aktionen enden vor Gericht.
Cécile Lecomte verteidigt sich mittlerweile selbst, nutzt auch die Verhandlung für ihren Protest:
"Für mich ist das die Fortsetzung von Aktionen und politischen Prozessen, und dann gibt´s manchmal 30 Beweisanträge zur Atomkraft und, warum das alles gefährlich ist. Und ja es geht darum: Ja, ich weiß, wofür ich stehe und das verteidige ich dann auch."
Lehrvideos über das Eichhörnchen
In ihrem Buch beschreibt Cécile Lecomte auch die komischen Seiten ihrer Kämpfe gegen die Staatsmacht: Polizisten, die das Eichhörnchen aus Lehrvideos kennen und sich freuen, Madame Lecomte mal persönlich zu treffen.
Aber es gibt auch dunkle Kapitel: Der Tod eines befreundeten Aktivisten an der Castorstrecke, überharte Polizeigriffe oder die vier demütigenden Tage in Vorbeugehaft, gegen die sie immer noch klagt:
"Das ist überhaupt nicht menschlich und das ist natürlich eine krasse Belastung, die mich natürlich krass mitgenommen hat. Und in dem Fall hab ich das Bedürfnis gehabt, bis zum Ende, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu kämpfen, weil alle Menschen, denen ich die Bilder zeige aus diesem Gewahrsam. Die Leute sind schockiert."
Erholung von aufreibenden Protesten findet Cécile Lecomte nur in der Natur. Mit einem Schlafsack, einem dicken Buch und Klettergurten geht sie in den Wald und klettert auf einen Baum. Dann bleibt sie ein, zwei Nächte in der Baumkrone, entspannt und sammelt Kraft, um weiter gegen die Absurdität der Welt zu revoltieren:
"Natur ist unsere Lebensgrundlage. Für mich ist es nicht kriminell, mich für diese Lebensgrundlage zu engagieren, für mich ist es absurd, ich find´ viel krimineller, die, die diese Lebensgrundlagen zerstören. Die das organisieren, die das möglich machen."