Andreas Isenschmid: „Der Elefant im Raum“

Wie das Jüdische Proust ins Schleudern brachte

11:04 Minuten
Ein gerahmtes Portraitbild des französischen Schriftstellers Marcel Proust hängt in einem Rahmen an einer violetten Wand. Daneben hängt eine Beschriftung des Bildes.
Marcel Proust sei sehr ambivalent mit seinem Jüdischsein umgegangen, sagt der Literaturkritiker Andreas Isenschmid. In seinem Werk sei das Jüdische aber überall präsent. © imago images / VCG
Moderation: Andrea Gerk |
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Dass Marcel Proust Jude war, war lange kaum Thema. Andreas Isenschmid hat nun ein Buch über den berühmten französischen Schriftsteller und das Jüdische geschrieben. Proust sei von diesem Thema regelrecht besessen gewesen, meint der Literaturkritiker.
Marcel Proust, Verfasser des monumentalen Romanwerks „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, wird bis heute – rund hundert Jahre nach seinem Tod – von vielen Leserinnen und Lesern glühend verehrt. Der Proust-Experte Andreas Isenschmid hat für sein neues Buch „Der Elefant im Raum. Proust und das Jüdische“ ein Thema gewählt, das längere Zeit kaum behandelt wurde – auch wenn es vor zwei Jahren eine Tagung dazu gab, auf der Isenschmid gesprochen hat.
Warum dieser Aspekt von Prousts Leben und Werk erst relativ spät in den Fokus geraten ist, sei schwer zu sagen, sagt der Literaturkritiker Isenschmid. Irgendwie sei es manchen Franzosen wohl noch immer „ein kleines bisschen unangenehm“, dass dieser französische, katholisch getaufte Mann, der die französische Literatur in neue Höhen katapultierte, ein Jude war. „Und dass das Jüdische, je genauer man hinsieht, von der ersten bis zur letzten Zeile in seinem Werk sehr stark präsent ist.“
Obwohl Proust sich nicht als Jude empfunden habe, habe er doch Anteilnahme und viel Solidarität mit dem Jüdischen – seine Mutter war Jüdin – in seinen Romanen gezeigt. "Er nannte sich nicht Jude, aber im Werk war es sehr, sehr stark.“ Die Franzosen hätten das aber nicht wissen wollen.

"Von einer Art Textbeben erfasst"

Proust selbst sei „extrem ambivalent“ gewesen. Als Jude habe er sich nicht gesehen – Nichtjude habe er aber auch nicht sein wollen, schreibt Isenschmid in seinem Buch. Das Jüdische sei im Werk überall präsent, doch die Haltung, die Proust als Erzähler zum Judentum vertrete, schlage binnen weniger Seiten mehrmals ins Gegenteil um.
Beispielsweise gebe es in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ eine Restaurant-Szene, in der Juden „sehr abträglich geschildert“ würden. „Bloch, einer seiner Helden, wird als hässlich und sich unangenehm benehmend geschildert. Im übernächsten Satz kommt plötzlich ein ‚Wir‘ – und dann sind der Erzähler und Bloch eine Person, und so geht es weiter hin und her.“
Proust sei immer, wenn er über jüdische Themen schrieb, von einer Art Textbeben erfasst worden, das seine Sätze ins Schleudern gebracht habe. „Es gibt einfach drei, vier Sätze – immer gerade die zentralen übers Jüdische –, wo er die gewohnte Klarheit und letzte Perfektion zum Glück vermissen lässt und uns ein paar Geheimnisse, freiwillig oder unfreiwillig, offenbart.“

Plötzlich als Jude angegriffen

Proust sei im Kreis einer jüdischen Familie aufgewachsen. „Das Bild, dass nur die Mutter jüdisch war, und die anderen katholisch, ist grundverkehrt.“ So habe er sicher ein waches Bewusstsein für seinen jüdischen Status gehabt, betont Isenschmid.
Dennoch habe die Dreyfus-Affäre, die eine große Rolle in Isenschmids Buch spielt, in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts auch Proust beeinflusst. Kern der Affäre ist ein Justizskandal um die Verurteilung des jüdischen Offiziers Dreyfus wegen angeblichen Landesverrats, der die französische Politik und Gesellschaft tief spaltete.
Viele, die gedacht hatten, nur ihre Vorfahren seien Juden gewesen, sie selbst seien es nicht, „wurden plötzlich von den Antisemiten, die links und rechts zum Vorschein kamen, wieder als Juden gelabelt“, so Isenschmid. Proust sei plötzlich in Artikeln als Jude angegriffen worden – zu seinem Erstaunen. „Das hat seine Aufmerksamkeit und seine Solidarität sehr stark angestachelt.“ Er habe aber – wie bei allen Themen – die Distanz bewahrt.

Besessen vom Thema Judentum

„Die Suche nach der verlorenen Zeit“ ist für Isenschmid ein jüdischer Roman. Seine Begründung dafür stützt sich unter anderem darauf, dass das Buch zwei jüdische Helden hat, die vom ersten bis zum letzten Band präsent sind.
Das Jüdischsein sei im Text fast wichtiger als die Homosexualität, eines der anderen großen Themen in Prousts epochalem Roman. “Proust hat seine eigene jüdische Erfahrung und seine eigene homosexuelle Erfahrung abgespalten und anderen Figuren gegeben“, sagt Isenschmid. Proust sei "besessen" von dem Thema gewesen - "auch wenn er es sehr oft versteckt hat".

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