Provenienzforschung in Sachsen

Eine Herausforderung für kleine Museen

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Der "König mit Lanze, Schild, rechteckiger Glocke, Leoparden-Gürtelmaske und drei Begleitern sowie zwei Portugiesen-Darstellungen"
Große Museen gehen voran: Diese Benin-Bronze aus Kolonialzeiten hat Deutschland an Nigeria zurückgegeben. Kleine Museen in Sachsen schrecken aber oft noch vor der Provenienzforschung. © picture alliance / dpa / Annette Riedl
Von Alexander Moritz |
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Kann im Museum bleiben, was aus kolonialem Kontext stammt oder durch Enteignung erworben wurde? Sachsens Museen befassen sich seit Längerem mit der Herkunft ihrer Sammlungen. Kleinere Museen stellt das jedoch vor Herausforderungen.
Provenienzforschung ist eine große Aufgabe: Neben Gemälden und Kunstgegenständen, die in der NS-Zeit enteignet oder unter Zwang verkauft wurden, werden auch Objekte aus dem kolonialen Kontext zunehmend kritisch betrachtet. Die Prüfung der Herkunft hat aber oft nicht die höchste Priorität: "Natürlich ist man da, mit wenig Personal in vielen Fällen, nicht so weit wie in großen Gemäldegalerien", sagt der Kunsthistoriker Gilbert Lupfer.
Lupfer leitet das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg, das im Auftrag der Bundesregierung Museen und andere Kultureinrichtungen dabei unterstützt, die Herkunft von Kunstwerken zu klären.
Kleinere Museen seien damit oft überfordert, sagt Gilbert Lupfer im Umfeld der Tagung "Verlust und Zugewinn. Objektgeschichten erforschen und Unrechtskontexte aufdecken. Provenienzforschung in Sachsen" in Leipzig. "Deshalb findet ja heute diese Veranstaltung statt, um auch kleinere Museen zu motivieren – Heimatmuseen, kleine kulturgeschichtliche Museen, die gar nicht dran denken, dass das für sie auch ein Thema ist."

Sorge vor der Rückgabe

In Sachsen gibt es rund 400 private Museen, viele davon mit nur wenigen Mitarbeitern. Ziel sei es, in einem Erst-Check zu prüfen, ob es in den jeweiligen Beständen Probleme geben könnte.
Die Herausforderung ist groß: Bestände sind teilweise schlecht oder gar nicht inventarisiert, Archive unsortiert, es fehlt Personal. Auch die Sorge, Sammlungsstücke zurückgeben zu müssen, spielt eine Rolle.
Thomas Rudert ist Provenienzforscher bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und berät im Rahmen eines Projekts private Museen zu Verdachtsfällen in deren Beständen. Dabei beobachtet er, dass manche Museen einfach nichts täten und abwarteten. "Aber das wird weniger. Eine Sensibilität ist auf jeden Fall vorhanden und nimmt auch zu.“

Vorreiter Brandenburg

Vorreiter ist Brandenburg. Dort gibt es schon seit zehn Jahren ein ähnliches Beratungsangebot wie nun in Sachsen, erklärt Alexander Sachse, vom Museumsverband des Landes Brandenburg. 
„Wir stellen den Antrag für die Fördermittel, suchen Forscherinnen und Forscher, die sich in den Museen die Sammlungen und auch die Hausarchive anschauen." Am Ende, so Sachse, gebe es dann einen Abschlussbericht und im Idealfall auch eine Restitution oder ein Abkommen mit den rechtmäßigen Eigentümern.
In Brandenburg seien inzwischen nahezu alle Museen, die Verdachtsfälle gemeldet haben, stichprobenartig geprüft worden. Fast immer konnten dabei auch Werke als problematisch identifiziert werden.

Skepsis der Museen lässt nach

Die Skepsis bei den Museen habe dennoch nachgelassen. Den Museen sei erklärt worden, "dass Provenienzforschung eine Sammlung nicht ärmer macht, sondern ehrlicher", so Sachse.
Eigentlich sei es eine Grundaufgabe der Museen, sich damit zu beschäftigen, betont Alexander Sachse vom Museumsverband des Landes Brandenburg. Fragen zu stellen – "Wo kommen die Objekte her, die ich in der Ausstellung oder im Depot habe?", "Sind die vielleicht unrechtmäßig erworben worden?" – seien für das Renommee eines Hauses viel besser, als sie unter den Teppich zu kehren, meint Sachse.
Außerdem kämen am Ende meistens spannende Objektgeschichten heraus.

Unter Verdacht: die Zwickauer Gemäldesammlung

So sieht es auch Wiebke Glöckner, die Leiterin von Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau bei Zwickau.
Große Teile der kommunalen Gemäldesammlung gehen auf eine Schenkung des Dresdner Mäzens Paul Geipel zurück. „Wir haben dieses Verdachtsmoment gehabt", erinnert sich Glöcknser, "wir waren uns bewusst, dass Geipel auch nach 1933 im Kunsthandel angekauft hat, waren uns also dieser Verantwortung bewusst.“
Seit zwei Jahren untersucht ein Historiker die Sammlung. Finanziert wird die Forschung größtenteils vom Zentrum Kulturgutverluste, doch auch der Stadtrat musste zustimmen – was nicht ganz einfach war. „Es gab eine gewisse Skepsis", so Glöckner, "aber die Mehrheit steht dahinter. Und ich denke, wir sind da auf einem guten Weg.“
Problembewusstsein schaffen – das ist Ziel einer Leipziger Tagung.

Enteigneter Kunstbesitz von "Republikflüchtlingen"

Weniger bekannt als NS-Raubkunst ist die Enteignung von Kunst in der DDR: Teilweise wurden gezielt Steuerverfahren gegen Kunstsammler eingeleitet, um deren Sammlungen zu beschlagnahmen. Auch Kunstbesitz sogenannter „Republikflüchtlinge“ landete teilweise im Museum.
Dazu kommen Objekte der sogenannten „Schlossbergung“ – der Enteignung von Adelsfamilien unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, erklärt Thomas Rudert. Im Zusammenhang mit der Bodenreform, die eigentlich Immobilien gegolten habe, seien auch tausende Objekte enteignet worden und so an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gekommen.
"Wir haben einen Teil an kleinere Museen ausgeliehen, und da sind die heute noch, so dass auch kleinere Museen solche Bodenreform-Schlossbergungs-Objekte haben“, berichtet Rudert.

Provenienzforschung als Daueraufgabe

Über die staatliche DDR-Kunsthandels-GmbH haben so enteignete Objekte vermutlich auch ihren Weg in den Westen gefunden. "Da fehlt noch ganz viel an Wissen über Akteure", ist der Kunsthistoriker Gilbert Lupfer überzeugt. Noch viel weniger wisse man, wo die Kunstwerke, die in den Westen gegangen sind, gelandet sind – in privaten Sammlungen, möglicherweise in öffentlichen Sammlungen.
"Da ist durchaus noch Forschungsbedarf“, sagt Lupfer und fügt an: "Provenienzforschung ist eine Daueraufgabe – die Museen dauerhaft finanzieren müssten".
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