Die Ausstellung "Spurensicherung. Die Geschichte(n) hinter den Werken" ist in der Akademie der Künste in Berlin noch bis zum 22. Januar 2023 zu sehen.
Ausstellung zur Provenienzforschung
Die Ausstellung "Spurensicherung" begibt sich auch auf die Spuren der verlorenen Bibliothek des Theaterkritikers Alfred Kerr. © Getty Images / ullstein bild
Verdrängte Geschichten der Kunst
05:33 Minuten
Mit der Ausstellung "Spurensicherung. Die Geschichte(n) hinter den Werken" will die Akademie der Künste in Berlin ein größeres Publikum für die Provenienzforschung interessieren. Es geht dabei um mehr als Detektivarbeit und historische Recherche.
Beim Stichwort Provenienzforschung denkt man an NS-Raubkunst oder Beutekunst aus kolonialem Kontext, man denkt an die Klärung von Eigentumsfragen, an Rückgabe, womöglich an Wiedergutmachung. Das alles gehört auch unbedingt zur Provenienzforschung.
Wie groß das Feld ist, zeigt jetzt die Ausstellung "Spurensicherung. Die Geschichte(n) hinter den Werken" in der Akademie der Künste in Berlin. Dort ist man seit Jahren dabei, die eigenen Bestände kritisch zu untersuchen, vor einem Jahr wurde eine eigene und feste Stelle für die Provenienzforschung geschaffen.
Rundgang beginnt im Schattenkabinett
Mit einem Schattenkabinett beginnt der Rundgang der Ausstellungsarchitektin Hanna Dettner, hinter Stellwänden die Umrisse verschiedener Objekte. Ein „Springender Bock“ zum Beispiel. Er wirft einen sehr großen Schatten, ist aber tatsächlich klein, wird von unten beleuchtet, wie ein Blick hinter die Stellwand zeigt.
Oder ein Schattenbild wie ein großes abstraktes Rund. Das ist ein Männerkopf mit Hut, eine Renoir-Büste von Aristide Maillol, entstanden 1907. Die Provenienz gilt als „bedenklich“, steht daneben zu lesen. Die Witwe des Pädagogen und Malers Friedrich Schult hatte sie 1981 der Akademie der Künste in Ost-Berlin geschenkt. Schult hatte sie laut eigener Aufzeichnungen 1942 vom Kunsthändler Bernhard A. Böhmer als Weihnachtsgeschenk erhalten. Böhmer wiederum hatte sie aus Paris mitgebracht. Wie sie aber im besetzten Frankreich in seinen Besitz gelangte, weiß man bis heute nicht.
Schwierige Spurensuche
Von „detektivischer Arbeit“ spricht die Provenienzforscherin der Akademie, die Kuratorin Doris Kachel. "Viele hören den Begriff Museumsdetektiv nicht so gerne, weil Provenienzforschung wesentlich komplexer ist und auch an ganz anderen Häusern angesiedelt", sagt sie. "Beim Kunsthandel natürlich fest verankert, an Universitäten gibt es mittlerweile Provinenzforschungsstudiengänge." Es gebe viel Archivarbeit, Recherche und eine Spurensuche mit Entschlüsselung.
Mit der Ausstellung will die Akademie der Künste ein größeres Publikum für die Provenienzforschung interessieren. In den vergangenen Jahren hätten sich die Medien meist auf die spektakulären Fälle konzentriert, sagt Archiv-Direktor Werner Heegewaldt. Auf die Sammlung des Kunsthändlers Cornelius Gurlitt etwa oder zuletzt auf die Benin-Bronzen. Diesen Fokus wolle man erweitern. So geht die Ausstellung den Spuren der verlorenen Bibliothek des Theaterkritikers Alfred Kerr nach, des Berliner Nachlasses von Walter Benjamin, eines Skizzenbuchs von Max Liebermann.
"Wir nehmen das Einzelobjekt unter die Lupe, gucken auf die Geschichte hinter den Werken und erzählen so, wie Provenienzforschung funktioniert, wo wie Probleme sind, dass wir oft nur eine Momentaufnahme haben, noch keine Lösung, weil wir keine komplette Besitzerkette haben", sagt dazu Heegewaldt. "Wenn wir sie haben, und das ist ein Fall, der als bedenklich oder belastet eingestuft ist: Was machen wir dann, wie gehen wir dann vor?"
Verlorene Sammlungen
Neben der Identifizierung von NS-Raubkunst geht die Ausstellung auch auf die mühsame Suche nach den im Zweiten Weltkrieg verlorenen Sammlungen der Preußischen Akademie der Künste ein – etwa anhand zweier zurückerworbener Ölskizzen des Malers Carl Blechen.
"Sie wurden während des Krieges in den vermeintlich sichersten Ort in Berlin eingelagert", berichtet Kuratorin Anna Schultz. "Die Reichsmünze, die aber leider doch nicht so sicher war." Es gebe einen erschütternden Bericht des damaligen Präsidialsekretärs Ammersdorfer, wo er beschreibe, wie er den Raum zum ersten Mal nach Kriegsende betreten habe. "Auf dem Boden überall geöffnet die Kisten liegen verstreut, die Werke zerknüllt, die Akten, ein Bild der Zerstörung. Auch der Großteil der Blechen-Sammlung galt dann als verloren."
Blick in die DDR-Geschichte
Ein drittes Themenfeld gilt den bisher nur wenig beachteten Bemühungen der DDR, in den Besitz verwertbarer Kunstgüter zu gelangen. Noch immer sind die Umstände unklar, unter denen die Witwe Erika Schult die schon erwähnte Maillol-Büste 1981 kurz vor ihrer Ausreise in die Bundesrepublik abgab.
Fraglich sei, ob Teile des Schult-Nachlasses der Akademie nicht seinerzeit „unter Wert überlassen werden mussten“. Oder die Kunstsammlung des Malers Otto Nagel, zeitweilig Akademie-Präsident in Ost-Berlin. Seine Witwe wollte den Nachlass der DDR nicht übereignen. Erst nachdem die Behörden Erbschafts- und Vermögenssteuern in Millionenhöhe gefordert hatten, kam es zu einer „Schenkung“. Ein früherer Staatssekretär im DDR-Kulturministerium räumte später ein, dass solche Druckmittel gezielt angewendet wurden.
Mit ihren Beispielen ist die Ausstellung ausgesprochen interessant, zeigt sie doch, dass Provenienzforschung weit mehr ist als die Klärung von Eigentumsverhältnissen. Die Ausstellung erzählt verschüttete, auch verdrängte Geschichten von Kunstwerken und denen, die sie besaßen. Sie zeigt auch, wie komplex derlei Fälle sein können und wie schwer es ist, historisches Unrecht als solches zu erkennen.