Provinz-Feminist mit erotischer Ausstrahlungskraft

Von Igal Avidan · 03.08.2009
Der Intendant der Nibelungen-Festspiele in Worms, Regisseur Dieter Wedel, hat den israelischen Dramatiker Joshua Sobol beauftragt, eine neue Fassung von "Jud Süß" für die Spielzeit 2010 zu schreiben. Der sieht in Jud Süß einen der ersten Feministen in der deutschen Provinz.
Der Jude Joseph Süß Oppenheimer war Finanzrat unter Herzog Karl Alexander von Württemberg im 18. Jahrhundert und wurde zu einer der populärsten Figuren in der deutschen Literatur. Der 1925 erschienene Roman des deutschen Juden Lion Feuchtwanger unterscheidet sich zum Beispiel völlig von dem 1940 im Auftrag von Joseph Goebbels gedrehten antisemitischen Film von Veit Harlan. Feuchtwangers Roman von einem machtgierigen und opportunistischen Juden erschien 1929 sogar auf Hebräisch, und Joshua Sobol erinnert sich, dass sein Literaturlehrer in der neunten Klasse daraus vorlas. Was interessierte den Israeli Joshua Sobol an dieser Figur?

"Für mich ist sie einer der Gründe dafür, dass deutschsprachige Juden unbewusst begannen, sich dem Zionismus anzunähren, zum Beispiel Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus. Keiner von ihnen erwähnt zwar 'Jud Süß' in seinen Schriften. Aber die Figur war sehr einflussreich als Prototyp des modernen säkularen Juden. So modern, dass Feuchtwanger sein Jüdischsein in Frage stellte. Für mich ist die Metapher jedenfalls viel wichtiger als die historische Tatsache: Klar ist, Jud Süß war gottlos, ein Atheist. Und wenn er von der deutschen Gesellschaft abgelehnt wurde, dann hat kein Jude dort eine Chance. Ein Jude wird nur so lange geduldet, bis man einen Grund findet, ihn zu erhängen."

So die Kernthese des Zionismus. Und weil die Assimilation in Europa ohne Hoffnung ist, müssen die Juden ihren eigenen Staat gründen.

Veit Harlan und Joseph Goebbels präsentierten in ihrem üblen Propagandafilm einen lustbesessenen und unmoralischen Jud Süß. Er vergewaltigt die blonde Dorothea, gespielt von Harlans Frau Kristina Söderbaum. Der Film schürte die Ängste der Zuschauer vor sexuellen Kontakten mit Juden, um die antisemitischen Nürnberger Rassengesetze zu rechtfertigen. Der Israeli Joshua Sobol sieht im Gegensatz dazu Jud Süß als einen der ersten Feministen in der deutschen Provinz:

"Er war ein sehr liberaler Mensch und hatte viele Frauen, weil er offensichtlich eine enorme Ausstrahlung auf sie hatte. Er liebte Frauen und brachte zugleich ins Fürstentum Württemberg aus Paris und London die neue Botschaft von der Befreiung der Frauen aus den Fesseln der strengen puritanischen Religion. Die ganze moderne Geschichte dreht sich um die Gleichberechtigung der Frauen, die damals begann und bis heute relevant ist. Der Islamismus zum Beispiel ist eine reaktionäre Antwort darauf; die Frauen sollen unter der Burka und dem Hijab versteckt werden."

Joshua Sobol schrieb zwei Fassungen der Geschichte von Jud Süß - eine aktuelle und eine historische, weil die historische Figur sehr bedeutend für unsere Zeit ist und die Globalisierung wiederum Jud Süß in einem neuen Licht erscheinen lässt. Die Israelis, vor allem die Hi-Tech-Unternehmer und die Berater ausländischer Regierungen, erinnern Joshua Sobol sehr stark an Jud Süß, auch die Widerstände gegen sie und gegen Israel insgesamt:

"Mich erinnern die anti-israelischen Einstellungen an die Ablehnung und Verunglimpfung des Jud Süß damals. Nicht der ultraorthodoxe Jude stört die Welt, denn die Welt und er haben kein Interesse aneinander. Aber der säkulare weltoffene Jude, der eine starke erotische Verbindung zur Welt hat, der sich, wie Jud Süß, aufdrängt und den man nur schwer ausschließen kann, erweckt Ängste und Widerstände. So wie Jud Süß hat auch Israel nicht die Absicht, ein Leuchtturm für die Welt zu sein. Es geht nur darum, dem starken Trieb zu folgen. Weder Süß noch Israel verstehen, was sie anderen antun und warum sie abgelehnt werden. Beide brauchen die Liebe der Welt, und beide lernen zugleich, dass sie auch ohne sie existieren können."

Einen Skandal befürchtet Joshua Sobol mit seinem "Jud Süß" nicht. Sein Drama wird aber sicherlich eine neue Diskussion über die deutsch-jüdischen Beziehungen auslösen.