Provokation als Kunst

Von Silke Ballweg |
Mit seiner Arbeit "Terracotta Warriors" schaffte es der Aktionskünstler Pablo Wendel im vergangenen Jahr in die internationale Presse. Denn dass die chinesische Armee die 2200 Jahre alten Terrakotta-Soldaten bewachte, verleitete ihn zu einer provokanten Aktion. Weitere Arbeiten des Schwaben sind derzeit in Greifswald zu sehen.
Die braunen Haare sind halblang, die Augen dunkel, sie blicken offen und verschmitzt in die Welt. Pablo Wendel trägt eine dreiviertel lange Hose und ein T-Shirt, die Füße stecken in grauen Turnschuhen. Er wirkt sympathisch und strahlt aus, dass er mit sich und der Welt derzeit im Reinen ist. Wendel studiert im neunten Semester an der Stuttgarter Akademie der Künste und macht vor allem Installationen: Am Anfang jeder Arbeit steht für ihn dabei meist eine bestimmte Frage. Der will er mit der Kunst nachspüren.

"Es ist ne Ausgangssituation mit bestimmten Voraussetzungen, aber wie sich die Arbeit verhalten wird, wie sie sich verändert, das bleibt offen: Das ist ein stückweit wie eine Forschung oder ein Versuch, den ich mir stelle und es bleibt auch eine Versuchsanordnung, bei der man im Laufe der Zeit die Veränderungen beobachten kann."

Im vergangenen Jahr war es die Beziehung zwischen der Terrakotta-Armee und der heutigen chinesischen Armee, die ihn beschäftigte und zu der Arbeit in Xi`an inspirierte. Mit seiner Aktion, sich als verkleideter Krieger unter die tönernen Figuren zu mischen, wollte er das konkrete Eingreifen der Armee provozieren, wollte herausfinden, was passiert, wenn man ihn entdeckt:

"Diese unterschiedlichen Hierarchien in der Armee, die dann einschreitet, da ist dieser einfache Wächter, der übers Telefon die nächste Instanz anruft, den Offizier ruft, der dann wiederum kommt, diese Ratlosigkeit, da geht’s dann weiter in die Verstärkung und Offensive, es ist unglaublich, diese Hierarchie und das Spiel. Und nebendran diese 2200 Jahre alte Armee, die auch schon ihre Hierarchien damals hatte und sehr streng gegliedert ist, also es wird alles sehr symbolschwanger."

Für das Projekt Drag and Drop wiederum hat der 27-Jährige einen Elektro-Zylinder in einen Computer eingebaut, der per Zufallsgenerator in unregelmäßigen Abständen gegen das Innere des Computers schlägt und diesen allmählich zerstört. Eine Webcam, die normalerweise die Person vor dem Bildschirm aufzeichnet, ist so installiert, dass sie den Prozess der Zerstörung filmt und auf dem Bildschirm zeigt. Der Betrachter kann sehen, was im Inneren des Computers passiert.

Dass aber kaum einer wirklich versteht, was vor sich geht, das interessiert Wendel. Für ihn ist es ein Abbild dessen, was wir tagtäglich erleben:

"Diese Problematik mit Computer und auch die Schnittstelle zum Menschen hin, wo per Drag and Drop-Bewegung irgendwas ausgelöst wird, sei es eine Online-Überweisung oder ganz banale Dinge, wie ne Maschinensteuerung, das ist mittlerweile doch so abstrakt geworden, diese Schnittstelle finde ich sehr spannend."

Pablo Wendel kommt aus einem Dorf von der Schwäbischen Alb, als Kind war er introvertiert und verträumt, meint er heute. Stundenlang habe er damals aus verschiedenen Materialien Dinge gebastelt und sich in eine Fantasiewelt versponnen. Während der Schulzeit beschloss er, sich beruflich mit Kunst zu beschäftigen, fing nach dem Abitur eine Lehre zum Steinbildhauer an. Da lernte er Handwerk, baute Küchenzeilen in Wohnungen, meißelte Grabsteine, restaurierte Skulpturen aus Stein:

"Ich war damals sehr fasziniert von dem Medium und sah darin durchaus Ausdrucksmöglichkeiten und zukünftige Arbeiten, das hat sich dann im Lauf des Studiums aber sehr schnell geändert und ich hab da quasi ne 180-Grad-Wendung erfahren, soweit, dass ich heute eigentlich keinen Zugang mehr habe zu diesem Material Stein oder mich nicht mehr damit ausdrücken könnte."

Statt zum Meißel greift er heute zu Schraubenzieher und Lötkolben. An der Hochschule in Stuttgart und auf der Schwäbischen Alp hat er ein Atelier. Dort übernachtet er auch, denn derzeit lebt er ohne feste Wohnung, ist viel unterwegs. Wendel genießt seine Freiheit, sie lässt ihm Raum für die Kunst, die im Zentrum seines Lebens steht: Verbissen ist er deswegen aber noch lange nicht, wenn ein Projekt mal einen überraschenden Ausgang nimmt, dann lacht er darüber.

Für die Arbeit Cactacea Embraco etwa schloss er vor gut zwei Jahren einen Kaktus an ein Kühlaggregat an. Das kühlte die Pflanze so weit ab, dass an ihrer Oberfläche die in der Luft enthaltene Feuchtigkeit zu gefrieren begann. Anfangs bildete sich eine zentimeterdicke Eisschicht, nach mehreren Monaten hüllte das Eis den gesamten Kaktus ein. Bevor er nach China ging, stellte Wendel den weißen, eingefrorenen Kaktus bei seinen Eltern unter. Wenn er sich daran erinnert, dann blitzen seine dunklen Augen noch heute vergnügt:

"… und mein Vater der geizige Schwabe, der hat dann irgendwann den Strom abstellt, weil ihm die Arbeit zu teuer wurde und so ist die Arbeit damals eingegangen, ohne Strom konnte dieser Kaktus überleben, das hat er mir irgendwann mal gebeichtet, per E-Mail gebeichtet."

Wendels Arbeiten stellen oft Prozesse dar, Fotos und Filme sind deswegen wichtig, um sie festzuhalten. Und so wird in der Greifswalder Ausstellung auch ein Foto zu sehen sein, über dessen Entstehung Wendel jedoch nichts verrät. Im Hintergrund ein orangeroter Abendhimmel. Davor die Gondel eines Sessellifts. Die fährt aber nicht einem Gipfel entgegen, sondern hängt zwischen zwei Masten an einem Stromkabel. Wie Wendel die Arbeit realisiert, wie er die Gondel da hochbekommen hat, das bleibt sein Geheimnis.