Provozierende Grabpatenschaft

Neonazi im Grab eines Juden bestattet

04:32 Minuten
Das Grab von Max Friedlaender.
"Ein Versagen" sei es, dass ein Neonazi in der Grabstätte des jüdischen Wissenschaftlers Max Friedlaender beigesetzt wurde, sagt Bischof Christian Stäblein. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Miron Tenenberg |
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Am 8. Oktober 2021 wurde ein verurteilter Holocaust-Leugner im Grab eines Juden bestattet. Zur Beisetzung kamen rechtsextreme Szenegrößen. Der zuständige Bischof unterbrach daraufhin seinen Urlaub. Ein Eklat, der weltweit für Aufsehen sorgte.
Wie kann das passieren? Das ist die Frage, die gerade im Raum steht. Wie kann es passieren, dass ein toter Neonazi, glühender Antisemit und Holocaust-Leugner in einem jüdischen Grab landet? Im Brandenburgischen Stahnsdorf bei Berlin versucht man darauf eine Antwort zu finden, denn genau das ist am vergangenen Freitag auf dem dortigen Südwestkirchhof geschehen.
Dort können historische Grabstätten mittels sogenannter Grabpatenschaften neu belegt werden. Das heißt: man erhält eine meist schöne alte Grabstätte und übernimmt die Kosten für Instandhaltung und Pflege. Im Gegenzug kann man dort eine Beisetzung arrangieren. Der eigene Stein zum Beispiel könnte als Liegestein oder Platte am Fuß des Patensteins hinzugefügt werden.

Dann kamen die Neonazis

In Stahnsdorf gab es nun aber eine Grabpatenschaft, die für Aufsehen sorgt. Es geht um das Grab von Max Friedlaender. Der Musikwissenschaftler gehörte dem preußischen Bildungsbürgertum an und war trotz seiner jüdischen Abstammung Protestant – was ihn aber nicht vor den nationalsozialistischen Pogromen rettete. Mit der Machtübergabe an Hitler 1933 wurde Friedlaender aus allen Ämtern gedrängt, er starb nur ein Jahr später.
Seine letzte Ruhe fand er auf dem evangelischen Südwestkirchhof in Stahnsdorf. Bis jetzt, denn dann kamen die Neonazis. Über eine solche Grabpatenschaft haben sie es geschafft die letzte Ruhe Max Friedlaenders zu stören. Sie steckten die Urne eines radikalen Judenhassers und Holocaust-Leugners zu Max Friedlaender in die Erde.

"Ein Versagen der Kirche"

Für den zuständigen Bischof Christian Stäblein der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, ist die Sache klar, wie er im RBB sagte:
"Das ist – man muss das ganz deutlich sagen – ein Fehler, ein Versagen unserer Kirche und wir müssen alles prüfen, was davon rückgängig gemacht werden kann, rechtlich. Wir müssen alles prüfen! Und dann müssen wir dafür sorgen, dass wir Max Friedlaender ein ehrendes Gedenken auf diesem Friedhof bewahren."
Etwa 50 – durchaus bekannte – Rechtsextreme reisten für das Begräbnis an. Der Stein von Max Friedlaender wurde schwarz abgehängt und Kränze mit Reichsfarben, Eisernen Kreuzen und Frakturschrift für den Rechtsextremisten auf die Stelle gelegt. Von diesem Benehmen auf seinem Friedhof ist Bischof Stäblein regelrecht angewidert.
"Der Staatsschutz hat die ganze Sache, soweit ich es im Nachhinein höre, intensiv begleitet. Es ist auch alles überprüft worden, was an verfassungsfeindlichen Symbolen, Texten, Liedern oder Ähnlichem hätte sein können. Auf das Verbot ist strengstens geachtet worden, aber wir wissen auch alle, wie Neonazis an dieser Stelle agieren. Sie gehen immer bis an die Grenze und spielen damit, über diese Grenze der Verfassungsfeindlichkeit hinaus zu gehen. Ich finde das furchtbar, schrecklich und widerwärtig und wir können an dieser Stelle nur sagen: Wir tun alles zur kritischen Aufarbeitung und zur Vorsorge, dass sich das nicht wiederholt."
Der Antisemitismusbeauftragte von Berlin, Samuel Salzborn, hat mittlerweile Anzeige wegen Volksverhetzung und Störung der Totenruhe gestellt. Von einem Zufall möchte er gegenüber dem RBB nicht sprechen:
"Es ist eine Provokation, bei der man auch sehen muss, dass das ein Erfolg ist, der von rechtsextremer Seite natürlich gefeiert wird und der auch, wenn dieser Vorgang nicht rückgängig gemacht wird, dann dazu führen wird, dass hier ein Symbol, ein rechtsextremes, ein antisemitisches Symbol geschaffen worden ist, bei dem man sich auch darauf wird einstellen müssen, dass mutmaßliche Rechtsextremisten dann immer wieder an diesen Ort pilgern."

Umdenken im Anrecht auf letzte Ruhestätte

Als erste Reaktion auf diesen Vorfall verwies die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz auf den Grundsatz, dass jeder Mensch ein Anrecht auf eine letzte Ruhestätte habe. Dazu findet der zuständige Bischof Christian Stäblein klare Worte:
"Der erste Grundsatz, dass natürlich selbstverständlich jeder Mensch ein Anrecht auf eine Bestattung und ein angemessenes Abschiednehmen hat, beinhaltet eben nicht, dass ein Nazi, ein Holocaustleugner auf einer jüdischen Grabstätte liegt. Das ist so schrecklich und erschütternd. Nein, darauf gibt es überhaupt – also, das lässt sich nicht in irgendeiner Weise entschuldigen, sondern das können wir nur versuchen, rückgängig zu machen."
Wie es mit den Strafanzeigen des Antisemitismusbeauftragten weitergeht und was mit der Neonazi-Urne in Max Friedlaenders Grab geschieht, darüber werden wir Sie im Deutschlandfunk Kultur auf dem Laufenden halten.
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