Prozess gegen Kirill Serebrennikow

Eine Warnung an alle

Porträt von Kirill Serebrennikow.
Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow inszeniert trotz Hausarrest weiter. © picture alliance / dpa / RIA Nowosti / Vladimir Astapkovich
Von Sabine Adler · 25.10.2018
Seit 2017 steht der Regisseur Serebrennikow unter Hausarrest. Nach dem Verfahrensauftakt vergangene Woche steht für viele Kritiker fest: Das ist ein Schauprozess, der kritische Künstler in Russland einschüchtern soll. Doch Serebrennikow gibt nicht auf.
Wie führt ein Regisseur Regie, wenn er nicht im Theater, nicht am Drehort sein kann, kein Telefon, kein Internet, wohl aber einen Computer nutzen darf? Kirill Serebrennikow, der seit Sommer 2017 unter Hausarrest steht, ist so produktiv wie erfinderisch. Der britische Guardian lüftete das Geheimnis, wie etliche Inszenierungen Serebrennikows auch ohne dessen Anwesenheit Bühnenreife erlangen.

Regieanweisungen via USB-Stick

Die Così-fan-tutte-Proben für die Zürcher Oper beispielsweise werden jeweils gefilmt, auf einen USB-Stick kopiert und dem Moskauer Star-Regisseur übergeben. Der wiederum speichert seine Kommentare und Anmerkungen auf selbigem Datenträger, gibt ihn dem Anwalt, der die Files nach Zürich losschicken darf. Mühsam, praktikabel und höchst lästig. Serebrennikow fühlt sich mit der Isolation über Gebühr abgestraft, doch das Basmani-Bezirksgericht in Moskau befindet darüber, ob der Regisseur wieder auf freien Fuß gesetzt wird.
Der 49-Jährige wird im Westen gefeiert, in Russland aber polarisiert er. Zum Beispiel sein Ballett über den sowjetischen homosexuellen Tänzer Nurejew, der während eines Gastspiel hinter den Eisernen Vorhang floh. Die freizügige Inszenierung brachte russische Kulturgrößen auf, aber schließlich wurde das Ballett als Ereignis des Jahres 2017 gefeiert. Derweil der Regisseur weiter in seiner Wohnung gefangen blieb.

Schwammig formulierte Gesetze

Der Prozessauftakt vorige Woche verlief hinter verschlossenen Türen, unklar ist, ob sich die Angeklagten jetzt endlich selbst zum Vorwurf der Veruntreuung von umgerechnet zwei Millionen Euro äußern können. Maria Stepanova, die Chefredakteurin der Kultur-Internet-Plattform colta.ru erklärt, dass die Sache nicht so einfach ist, denn russische Gesetze würden absichtlich unscharf formuliert.
"Sobald man Geld aus dem Staatshaushalt bekommt, kann das geschehen. Meist muss man es erst einmal selbst vorstrecken und dann lässt man es sich zurückzahlen. Aber dafür gibt es keine exakt festgeschriebenen Mechanismen. Deswegen ist jeder so angreifbar. Wenn man will, kann man das gegen jeden verwenden, so wie bei Serebrennikow geschehen."

"Es geht um reine Willkür"

Erschwerend kommt hinzu, dass eine Buchhalterin des Gogol-Zentrums, also aus Serebrennikows eigenem Haus, für ihre Freilassung aus dem Gefängnis ein Geständnis ablegte, das die künstlerische Leitung belastete. Die Poetin und Autorin Stepanova von Colta.ru hat ihre eigene Theorie, warum es Serebrennikow getroffen hat.
"Er ist ein glänzender Regisseur, aber keiner, der sich sonderlich politisch äußert. Das ist nicht zuerst als Strafaktion gedacht, sondern als Warnung an alle. Du musst dich entscheiden: loyal zu sein, dich an die Regeln halten, wenngleich es gar keine Regeln gibt, dich vorsichtig verhalten, obwohl du gar nicht weißt, wovor du dich in Acht nehmen sollst. Und das ist auch nicht nur an die Adresse der Kultur gerichtet. Damit soll Angst verbreitet werden, es geht um reine Willkür. Deswegen sollte man solchen Drohungen keine zu große Beachtung schenken."

Journalisten werden umgebracht

Für Dennis Korotkow von der Nowaja Gaseta, wie für deren Chefredakteur Dmitri Muratow dürfte das leichter gesagt als getan sein, denn erst lagen vor ihrer Redaktion Grabblumen dann vorigen Donnerstag ein abgetrennter Schafskopf. Vielleicht wegen einer Korruptionsgeschichte über den Oligarchen und Präsidenten-Freund Jewegeni Prigoschin, dem auch die Söldnerfirma Wagner zugeschrieben wird. Vier Journalisten, die über sie berichteten sind jetzt tot, die Nowaja Gaseta hat bereits sechs Kollegen verloren.
Der Vorwurf gegen Serebrennikow, seinen Produzenten Malobrodskij, den Direktor Itin und die Beamtin Apfelbaum aus dem Kulturministerium, sie hätten Geld in eigene Taschen gesteckt, ist in einem Fall besonders absurd. Angeblich wurde die Shakespeare-Komödie "Ein Sommernachtstraum" nie inszeniert, dabei wird sie seit sechs Jahren und bis jetzt regelmäßig aufgeführt.
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