Die Madonna mit dem Regenbogen
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Weil sie die Madonna von Tschenstochau auf Plakaten umgestaltet haben, stehen in Polen drei Aktivistinnen vor Gericht. Stein des Anstoßes: Der Heiligenschein der Madonna wurde in Regenbogenfarben dargestellt. Das verletze die Gefühle der Gläubigen.
Anna steht heute vor Gericht. Über das anstehende Verfahren spricht Polen seit inzwischen fast zwei Jahren. Und trotzdem wissen viele in Annas Familie noch nicht, dass sie eine der drei Angeklagten ist.
"Ich habe es meiner Familie nicht erzählt", sagt Anna. "Nur meine Mutter weiß es und mindestens eine ihrer Schwestern. Aber auch mit ihnen spreche ich darüber nicht. Meine Großeltern sind sehr gläubig. Und für sie ist es auch sehr wichtig, was andere Leute über uns denken. Deshalb bemühe ich mich, dass mein Foto nirgends veröffentlicht wird."
Das, was die 29-jährige Büroangestellte gemacht hat, wühlt das Land auf. Im April 2019 hat sie mit zwei Gleichgesinnten in der Stadt Plock an der Weichsel Plakate aufgehängt:
"Wir haben im Internet nicht lange suchen müssen, bis wir auf das Bild der Gottesmutter von Tschenstochau gestoßen sind, das sich dort auf dem Hellen Berg befindet, dem Wallfahrtsort. Technisch war das nicht schwer, den Heiligenschein mit einem Grafikprogramm zu bearbeiten."
Für Polens katholische Kirche ist LGBT ein Feindbild
Der Heiligenschein der Madonna, der beim Original golden glänzt, bekam die Regenbogenfarben der LGBT-Bewegung. Auch Maria sei auf ihrer Seite, wollten die Angeklagten damit sagen.
Das Bild der Heiligen Mutter von Tschenstochau wird so verehrt wie wohl kein anderes Bild in Polen.
Trotzdem empfinden die drei Frauen ihre Aktion auch heute als berechtigt. Die katholische Kirche habe gemeinsam mit der rechtskonservativen Regierung die LGBT-Bewegung zum Feind erklärt, die Bewegung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Menschen.
"In sozialen Netzwerken wurden Bilder aus einer Kirche in Plock veröffentlicht. Dort gab es ein sogenanntes ‚Grab des Herren‘, wie es vor Ostern in vielen polnischen Kirchen aufgebaut wird, ein kleines Modell der Gruft mit dem Leichnam Jesu", sagt Joanna, die 32-jährige Mitstreiterin von Anna, die ebenfalls angeklagt ist.
"In Plock bestanden die Wände des Grabs aus Kartons, beschriftet mit Begriffen für verschiedene Sünden. Da war zu lesen: Egoismus, Hass, Verrat, aber auch LGBT und Gender. Das heißt, die Kirche hat eine psychosexuelle Orientierung mit Sünden gleichgestellt."
Für die drei Frauen ist die Haltung der katholischen Kirche in diesen Fragen deshalb so schlimm, weil sie Jugendliche in die Isolation treibe, sagt Anna:
"Zwei Wochen vor unserer Aktion hat sich ein transsexueller Junge, Wiktor hieß er, vor den Zug geworfen. Er wurde von seinen Mitschülern drangsaliert, mehrere Male musste er in die Psychiatrie. Dort schlug ihm auch vom medizinischen Personal nur Verachtung entgegen. Das ist eine Geschichte von systematischer Gewalt."
"Das heiligste Madonnenbild in Polen wurde entehrt"
Joanna und Anna selbst sind beide nicht homosexuell und beide katholisch erzogen. Aber schon in der Schule machten sich bei ihnen Zweifel darüber breit, ob die katholische Kirche nicht zu viel Einfluss auf die Gesellschaft hat. Später lernten sie sich in einer Gruppe kennen, die sich für die Rechte von Frauen einsetzt. Die Probleme der LGBT-Community hätten sie erst in den vergangenen Jahren nach und nach verstanden.
Plock wurde im Frühling 2019 plötzlich zum Brennpunkt der ideologischen Auseinandersetzung in Polen.
Aus dem ganzen Land gingen bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeigen gegen die drei Frauen ein. Der Vorwurf: Sie hätten die religiösen Gefühle von Gläubigen verletzt. Das ist in Polen eine Straftat und kann mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Der damalige Innenminister Joachim Brudzinski von der rechtsliberalen Partei PiS stellte sich auf die Seite der Gläubigen:
"Das heiligste Madonnenbild in Polen wurde entehrt, seit vielen Generationen gilt es als heilig. Auch für diejenigen, denen die Gnade des Glaubens nicht geschenkt wurde. Juden darf man nicht beleidigen, Muslime auch nicht, auf keinen Fall. Aber Katholiken schon. Bitte sehr. Da frage ich: Warum sollte das so sein?"