Prozess im Hochsicherheitstrakt

Der Mammut-Prozess gegen die Führungsriege der RAF dauerte fast zwei Jahre. Als einziger Journalist nahm Ulf G. Stuberger an allen der 192 Verhandlungstage teil. 30 Jahre nach dem spektakulären Gerichtsverfahren gegen Baader & Co wirft er in "Die Tage von Stammheim" einen Blick zurück.
Es war das spektakulärste Gerichtsverfahren der Bundesrepublik – die "Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.". Fast zwei Jahre, von 1975 bis 1977, dauerte der erste RAF-Prozess in Stuttgart-Stammheim. Das Interesse der Medien erlahmte mit der Zeit. Aber ein Journalist war an buchstäblich jedem Verhandlungstag dabei: Ulf G. Stuberger (*1949), damals Korrespondent für Reuters und diverse Medien. Dreißig Jahre nach Ende des Prozesses erlaubt er uns tiefe Einblicke in die monströse "Strafsache".

Schon Kulisse und Requisiten waren ungewöhnlich. Etwa der millionenteure Neubau der Justiz, eine wahre "Gerichtsfestung", gleich neben dem Gefängnis. Roher Beton, Panzerglas und Neonlicht, Schleusen und Stahltüren, daneben die Zellen für – so Stuberger – "unwürdige Durchsuchungen". "In Stammheim wurden Bürger und Pressevertreter mit einem Übermaß an Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit bis zur Missachtung ihrer menschlichen Würde überzogen." Im Gerichtssaal gab es Reihen gelber Plastikstühle, auf der Empore saßen Beamte in Zivil, bewaffnet. Draußen sah der Beobachter überall Sperren, Stacheldraht und spanische Reiter, Scheinwerfer und Kameras, Polizisten mit Greifhunden, mit Maschinenpistolen. Er fühlte sich, schreibt der Autor, an Nordirland im Bürgerkrieg erinnert. "Hier zeigte sich der nackte Staat, kalt und unbarmherzig." Orwell ließ grüßen, "1984" war nicht fern.

So hysterisch wie in Stammheim ging es im ganzen Land zu. Eindringlich beschreibt Stuberger das aufgeheizte Klima, die Frontenbildung, Rot oder Schwarz. "Wie viele Menschen der RAF im Untergrund tatsächlich halfen, ist bis heute nicht geklärt." Terroristen versuchten, ihre inhaftierten Führer freizubomben. (Drei Wochen vor Urteilsverkündung wurde Generalbundesanwalt Buback ermordet.) Kritische Journalisten sahen sich in die "linke Ecke" gedrängt; wer wie Stuberger staatliche Härte tadelte, galt schnell als Ost-Spion.

Dann das Verfahren, so gespenstisch wie das Umfeld. Als Musterprozess geplant und von Anfang an eine Katastrophe. Die Beschuldigten schwiegen oder blieben gleich in ihren Zellen. Auch die Bänke der Vertrauensanwälte (unter ihnen Otto Schily und Hans-Christian Ströbele) standen häufig leer. Und mindestens einen Pflichtverteidiger erlebte der Korrespondent regelrecht ehrvergessen: Der Anwalt wechselte kein Wort mit den Angeklagten, in den Sitzungen schlief er, die Akten hatte er nicht gelesen; sein Plädoyer (in Abwesenheit von Schily und Ströbele) bestand aus einem Satz: "Ich schließe mich den Ausführungen meiner Herren Vorredner an."

Stuberger verbrachte tausend Stunden in der Gerichtshalle. Er erlebte Skandale ohne Ende, dutzendfach Misstrauensanträge, verbale Entgleisungen von allen Seiten. "Selten habe ich Ankläger so emotional und persönlich diffamierend reden hören!" Der vorsitzende Richter Theodor Prinzing mischte sich privat in das Verfahren ein, intervenierte bei Zeitungen gegen unliebsame Berichte. Ein Verteidiger, Rupert von Plottnitz (später Justizminister von Hessen), unterbrach den Vorsitzenden schon mal mit einem forschen "Heil Prinzing!". Andere Verteidiger blieben seit Prozessbeginn ausgesperrt, ein Sondergesetz machte es möglich.

Nur ein paar Schritte trennten Ulf G. Stuberger damals von den Angeklagten. Ausgiebig porträtiert er sie nun im Buch. Ulrike Meinhof: "Grauer weiter Pullover, lange bieder geflochtene Zöpfe, aschfahles Gesicht." Gudrun Ensslin: "fettiges Strähnenhaar, graues knochiges Gesicht", eine aggressive, Zoten reißende junge Frau. Andreas Baader, angeblich ein Herzensbrecher: zynisch grinsend, fahrig lispelnd; regelmäßig explodierte er und begann "sichtbar schwitzend mit Fäkalausdrücken um sich zu werfen wie ein kleines Kind".

Stammheim und kein Ende, 192 Verhandlungstage lang. Im April 1977 fiel das erwartete Urteil. Lebenslänglich für Baader, Raspe, Ensslin, wegen mehrerer Morde, dutzendfacher Mordversuche, wegen Bombenanschlägen und Bankraub. Im Herbst 1977 töteten sich Baader, Ensslin und Raspe. (Ulrike Meinhof hatte sich im Jahr zuvor das Leben genommen.) Zu einer Urteilsrevision, von der Verteidigung beantragt, kam es deshalb nicht. Stuberger glaubt: Der Bundesgerichtshof hätte die Sache wieder aufgerollt. So viele Verfahrensfehler. Stuberger war empört und ist es noch immer. Er polemisiert. Weil er den Rechtsstaat bedroht sieht. Die Politik habe massiv in den Prozess eingegriffen, die Unschuldsvermutung nicht mehr gegolten. Das Prinzip der Gewaltenteilung sei verletzt worden – und damit das Grundgesetz. "Aber was galt schon die Verfassung in jener Zeit." Stubergers Fazit, kürzlich in einem Zeitungsbeitrag: Es habe vor dreißig Jahren zwei Tätergruppen gegeben – "die Terroristen auf der einen, Politiker und Juristen auf der anderen Seite". Empört ist der Autor auch über Politiker und Juristen von heute, über das Motto "Gnade vor Gewissen", nach dem RAF-Mörder gleich "reihenweise" vorzeitig aus der Haft entlassen werden, obgleich sie nie Einsicht, gar Reue zeigten.

Der Prozess veränderte das Land. Und das Leben seines Beobachters: "Zunächst galt ich bei Staatsschutzbehörden als ‚Sympathisant’ der Terroristen und wurde deswegen abgehört. Später setzte mich die RAF auf eine ‚Abschussliste’. Das brachte mir eineinhalb Jahre Personen- und Objektschutz ein." Observation rund um die Uhr, bewaffnete Begleiter bei jedem Gang zur Post – Stuberger verließ das Land. Er züchtete Esel in Frankreich, führte in Namibia eine Besucherfarm. 2003 ist er zurückgekehrt, um Zeugnis ablegen, frei nach André Gide: "Eine grenzenlose Klage wohnt in mir. Ich weiß Dinge, mit denen ich mich nicht abfinden kann."

Studien über die RAF gibt es schon zu Dutzenden. Lohnt die Lektüre von Stubergers Buch? Ja – mit starker Einschränkung. Der Erzähler macht es uns schwer; das "Ich" der Reportage drängt beständig in den Vordergrund, es stellt sich vor den Gegenstand. Ungeachtet seiner Nähe zu den Protagonisten der "Strafsache" hat der Korrespondent damals offenbar nicht gut beobachtet; denn er liefert eher blasse Bilder von den Angeklagten. Er schreibt blumig-gefühlig, verliert sich in labyrinthischen Sätzen, in Klischees und Wiederholungen. Eine nüchterne Analyse wäre angemessen gewesen. Stuberger aber wird moralisch, angestrengt betont er seine Distanz zu den Tätern – als verdächtige man ihn noch immer gewisser Sympathien mit den "Serienmördern". Trotz seiner Schwächen ist das Buch ein Gewinn. Denn kein Autor schrieb bislang aus dieser Perspektive. Keiner war so lange so dicht dran an Baader & Co. Die düstere Stimmung in Stammheim, die Pleiten und Pannen, die Belege für die Brüchigkeit unseres so stabil geglaubten Systems, all das verdichtet sich am Ende zu einem Text mit Thriller-Qualität.

Rezensiert von Uwe Stolzmann

Ulf G. Stuberger: Die Tage von Stammheim. Als Augenzeuge beim RAF-Prozess
Herbig Verlag, München 2007
317 Seiten, 19,90 Euro