Angriff auf das Erbe der Menschheit
In Den Haag steht jetzt ein Islamist aus Mali vor Gericht, dem die Zerstörung von Weltkulturerbe in Timbuktu zur Last gelegt wird. Der Ethnologe Georg Klute erhofft sich von dem Prozess ein deutliches Zeichen gegen Gewalt als Mittel zur Durchsetzung religiöser Überzeugungen.
Ahmad al-Faqi al-Mahdi heißt der Angeklagte, der sich nun vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten muss. Er soll als ehemaliger Chef der Religionspolizei 2012 die Zerstörung von neun Mausoleen und eines Teils der Sidi-Yahia-Moschee angeordnet haben. Die heiligen Stätten waren Teil des Weltkulturerbes der Unesco.
Den Zerstörern sei klar gewesen, was ihr Handeln bedeutet, sagte der Ethnologe Georg Klute von der Universität Bayreuth im Deutschlandradio Kultur. Sie hätten sich dabei als "Reiniger und Modernisierer" des Islam gesehen.
Der Angeklagte selbst war laut Klute vor der zeitweiligen Übernahme Timbuktus durch islamistische Gruppen Lehrer und besonders gläubig. "Ein ganz normaler Bürger Malis" – vor der Tat. Nun ist er wegen eines Kriegsverbrechens angeklagt.
Zerstört wurden vor allem Gräber von lokalen Heiligen, zu denen Gläubige pilgerten. Diese Heiligenverehrung wollten die Islamisten "ausmerzen", so Klute.
Die Bevölkerung Malis ist offenbar in dieser Frage gespalten: Viele im Land teilten die religiösen Auffassungen von Ahmad al-Faqi al-Mahdi, berichtete Klute. Der Ethnologe erhofft sich vom Prozeß ein deutliches Zeichen gegen Gewalt in der Religion.
Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag muss sich ab heute ein Mann verantworten, dem vorgeworfen wird, persönlich an den Zerstörungen von Kulturgütern in der Stadt Timbuktu in Mali mitgewirkt zu haben. Islamistische Milizen zerstörten dort vor rund vier Jahren Jahrhunderte alte Gebäude, darunter mehrere UNESCO-Welterbestätten. Für die Juristen in Den Haag handelt es sich dabei um Kriegsverbrechen wegen der großen Bedeutung dieser Kulturstätten, nicht nur für Mali. Mehr zu diesem für viele Forscher und früher, als Mali noch ein friedlicheres Land war, auch zahlreiche Touristen magischen Ort Timbuktu jetzt von Georg Klute. Er ist Professor für Ethnologie Afrikas an der Universität Bayreuth. Schönen guten Morgen, Herr Klute!
Georg Klute: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Wie sieht es denn in Timbuktu eigentlich heute aus? Haben die Terrormilizen überhaupt noch was übrig gelassen?
Klute: Ja, doch, sie haben noch einiges übrig gelassen. Zum Beispiel wurden keine Moscheen zerstört, sondern im Wesentlichen wurden zerstört Grabmäler auch von lokalen Heiligen. Und der Hintergrund dafür ist, dass der islamische Volksglaube, bevor die Islamisten eben kamen, auch Pilgerfahrten kannte zu diesen Gräbern und die Leute sozusagen von der Aura oder der besonderen … ja, von der Aura dieser Heiligen profitieren wollten.
Kassel: Das Gericht in Den Haag sagt ja, diese Anklage sei auch deshalb gerechtfertigt, weil dort in Timbuktu das Erbe Afrikas, ein Teil des kulturellen Erbes der Menschheit zerstört wurde. Das sind ja starke Worte. Sind die in diesem Fall angemessen?
Schriftkultur in vorkolonialer Zeit
Klute: Sie sind in zweierlei Hinsicht angemessen, aber eben dann auch wieder nicht angemessen. In der einen Hinsicht sind sie angemessen, als in Timbuktu schriftliche Dokumente aus der vorkolonialen Zeit entstanden sind, die wir in anderen Teilen des subsaharischen Afrika überhaupt nicht finden. Timbuktu hat einen Schriftkultur, während es in anderen Teilen des subsaharischen Afrikas – vielleicht mit Ausnahme Äthiopiens oder sicher mit Ausnahme Äthiopiens – keine schriftlichen Überlieferungen gibt.
Und zum anderen sind sie natürlich insofern angemessen, als – wie Sie ja schon gesagt haben – einige Stätten in Timbuktu zum Weltkulturerbe erklärt worden sind.
Auf der anderen Seite sind natürlich auch viele andere Orte … oder gehört eigentlich die ganze Welt zum Weltkulturerbe, ist aber noch nicht als solches deklariert worden. Also überall dort, wo wir noch nichts gefunden haben, oder überall dort, wo es eben keine schriftlichen Überlieferungen gibt, hat es auch Menschen gegeben, und die haben da sozusagen auch Geschichte gemacht.
Kassel: Aber ist denn das, was dort geschehen ist, aus Ihrer Sicht, in Timbuktu vor vier Jahren, war das wahllos, also waren es einfach Milizen, die gesagt haben, wir sind jetzt hier und wir können es machen, also machen wir das, zerstören diese Dinge, die aus unserer Sicht mit unserer Vorstellung des Islam nichts zu tun haben, oder glauben Sie, das ging darüber hinaus? Glauben Sie, denen, die das da zerstört haben, war genau klar, was sie zerstören und was das der Welt bedeutet?
Klute: Ja, natürlich, ihnen war ganz genau klar, was das bedeutet, und zwar ist ein sehr guter Vergleich, wenn wir das Vorgehen dieser Leute und auch die Motive dieser Leute vergleichen mit der Zeit der Reformation bei uns. Damals sind auch die Reformer – an erster Stelle Luther, aber eben auch Jan Hus oder Calvin – angetreten, um sozusagen die christliche Religion von Aberglauben zu reinigen.
Zum Aberglauben gehört das Anbeten von Fetischen
Und zu diesem Aberglauben gehört eben auch das Anbeten von Fetischen, wie zum Beispiel die Knochen von Heiligen oder die Splitter oder vermeintlichen Splitter vom Kreuz, an dem Jesus angenagelt gewesen ist.
Und in ähnlicher Weise sehen das diese Reformer. Sie sehen nämlich die Heiligenverehrung, die in Timbuktu oder an anderen Stellen stattgefunden hat und wo Leute zu den Grabmälern dieser Volksheiligen pilgern und da eben glauben, durch Berühren oder Küssen dieser Gräber die Gnade Gottes zu bekommen – das sollte eben symbolisch oder auch tatsächlich ausgemerzt werden aus der Kirche. Also insofern haben die sich genau wie unsere Reformer in der christlichen Kirche oder in der christlichen Religion als Reiniger und als Modernisierer dieser Religion gesehen.
Kassel: Was die Schriftstücke angeht, ist die Antwort klar, da geht das nicht, aber was diese Grabstätten angeht, die zerstört wurden: Gibt es eigentlich irgendeine Möglichkeit, die zu rekonstruieren, die wiederaufzubauen?
Klute: Ich glaube, das geschieht schon. Es sind Gelder zur Verfügung gestellt worden und an lokale Maurermeister und Handwerker gegeben worden, und die sind dabei, diese Grabmäler zu rekonstruieren. Die Leute liegen ja in ihren Gräbern, aber über diese Gräber sind oder über einige dieser Gräber, eben bei den Heiligen, sind Kuppeln oder Mausoleen gebaut worden, und die kann man ebennatürlich auch rekonstruieren.
Kassel: Was mich jetzt insofern doch ein bisschen überrascht, da doch Mali immer noch eines der gefährlichsten Länder der Welt ist und dort verschiedene Gruppen weiter gegeneinander kämpfen, das heißt, die Lage in Timbuktu ist inzwischen immerhin so stabil, dass solche Rekonstruktionen möglich sind und dass die noch erhaltenen Kulturgüter auch nicht weiter in Gefahr sind?
Klute: Ja, man muss sich ja vorstellen, es gibt zwei große oder drei sogar, drei große internationale Missionen in Mali – einmal ist das die UNO-Mission, die wird dort Minusma genannt – und diese Mission umfasst etwa 13.000 bewaffnete Kräfte aus allen möglichen Ländern.
Die zweite Mission ist eine bilaterale Mission, nämlich gegründet auf einem Vertrag zwischen Frankreich und Mali, und da sind in Mali selbst einige Tausend französische Soldaten stationiert und die operieren da.
Und die dritte Mission ist eine Mission der Europäischen Union, die aber ausschließlich sich kümmert um die Ausbildung oder Weiterbildung der bewaffneten Kräfte in Mali, also Polizei und Militär. Dazu kommt dann noch die malische Armee.
In Timbuktu selbst ist jetzt die malische Armee stationiert plus auch Einheiten dieser UNO-Mission, also insofern ist die militärische Präsenz sehr, sehr stark. Und diese islamistischen Gruppen, die eben diese Zerstörung vor einigen Jahren durchgeführt haben, sind stark unter Druck geraten, was aber nicht heißt, dass sie noch hier und da Anschläge machen können.
Kassel: Nun beginnt ja heute dieser Prozess in Den Haag gegen einer der Täter, der die Taten nicht mal bestreitet, man geht sogar davon aus, dass dieser Prozess wahrscheinlich in dieser Woche auch wieder zu Ende geht. Eine solche – jetzt ja erstmalig in dieser Form – eine solche juristische Aufarbeitung der Zerstörung von Kulturgütern, glauben Sie, dass das irgendwas bewirken wird?
Klute: Also, ich wollte noch mal ganz kurz was zum Angeklagten sagen: Dieser Angeklagte, von dem man ja auch ein Bild in der Presse sehen kann, ist sozusagen, bevor dieses alles gewesen ist, hätte man ihn für einen ganz normalen Bürger Malis halten müssen. Er war Lehrer, Beamter des malischen Staates, und eben aber auch besonders gläubig und hat ganz offensichtlich in diesen Zerstörungen nichts Unrechtes gesehen, sondern hat ganz offenbar gedacht, er tut das Gute. Ich glaube auch, dass viele Malier seine Meinung teilen würden, obwohl sie anders als die Dschihadisten nicht mit Gewalt vorgehen würden.
Nun, was das bewirken kann, ist einmal, es wird natürlich bestätigen, dass man seine religiösen Überzeugungen nicht mit Gewalt durchsetzen darf. Der Mann war ja darüber hinaus auch noch Chef der Religionspolizei in Timbuktu und hat eben auch noch andere Dinge getan, die, glaube ich, aber jetzt zurzeit nicht verhandelt werden.
Kassel: In diesem Prozess nicht, nein.
Deutliches Zeichen gegen Gewalt
Klute: Und ich hoffe, dass insbesondere die Frage, wie man seine Überzeugung – also die Frage nach dem Wie – wie man seine Überzeugung durchsetzen kann, in Den Haag eine Rolle spielen wird. Und dann würde ich denken, um das abschließend zu beurteilen, dass eine Verurteilung vor allen Dingen darauf abzielen wird oder die Wirkung haben wird, dass es ein deutliches Zeichen setzt gegen Gewalt in der Religion.
Kassel: Herzlichen Dank! Georg Klute war das, Professor für die Ethnologie Afrikas an der Universität Bayreuth. Mit ihm haben wir über die Bedeutung Timbuktus und dem, was da passiert ist, geredet. Über das, worüber wir jetzt am Schluss auch sprachen, über wirklich Sinn und Unsinn einer solchen juristischen Aufarbeitung der Zerstörung von Kulturgütern, darüber werden wir uns heute Mittag noch einmal unterhalten, ab 12:07 Uhr in unserer Sendung "Studio 9 am Mittag".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.