Pseudonyme

Schreiben mit Tarnnamen

06:31 Minuten
Ein Man und eine Frau verstecken sich hinter einem Stapel Bücher. Von den Gesichtern sind nur die großen offenen Augen und der Haaransatz zu sehen.
Versteckspiel: In der Gegenwartsliteratur wimmelt es von Autoren, die unter falschem Namen schreiben, aus den unterschiedlichsten Motiven. © imageBROKER
Von Sigrid Löffler |
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Mal ist es Spielerei, mal gibt es ernste Gründe, warum Autoren unter Pseudonym veröffentlichen. Doch nur die wenigsten können ihren wahren Namen auf Dauer verbergen. Denn die falsche Identität macht das Publikum erst richtig neugierig.
Seit einem Vierteljahrhundert publiziert eine italienisch schreibende Person Bücher und Essays unter dem Pseudonym Elena Ferrante. Das hat die längste Zeit niemanden weiter aufgeregt – bis Elena Ferrante mit ihrer vierteiligen Roman-Saga über zwei ungleiche Freundinnen in Neapel einen Welterfolg landete, zur Millionärin wurde und zum internationalen Superstar aufstieg.
Das weckte die Neugierde und den Fahndungseifer literarischer Schnüffler. Erst recht, als Ferrante vor zwei Jahren ein Buch über "Mein geschriebenes Leben" veröffentlichte – einen pseudo-autobiografischen Werkstattbericht, der den Anschein erweckte, als würde hier die Autorin in Briefen und Interviews selbst biografische Spuren und Hinweise auf ihre wahre Identität streuen.
Dieser Band ist naturgemäß nichts als eine raffinierte literarische Spiegelfechterei rund um die Konstruktion einer fiktiven Autor-Figur, wie jedem gewieften Leser klar sein dürfte. Das hinderte einen italienischen Enthüllungsreporter nicht daran, diesen irrlichternden Hinweisen in der Realität nachzugehen und schließlich hinauszuposaunen, wer seiner Meinung nach hinter dem Pseudonym "Elena Ferrante" steckt.
(Auf Deutsch erscheint "Mein geschriebenes Leben" übrigens im kommenden April, denn Ferrantes deutscher Verlag nutzt den ungebrochenen Boom und wirft jetzt im Drei-Monats-Abstand frühere Ferrante-Bücher auf den Markt.)

Meisterhaft getarnt: "Totenschiff"-Autor B. Traven

Der Name, den der Enthüllungsreporter nannte (und der nie bestätigt wurde), ist zwar völlig gleichgültig, der ganze Vorgang aber zeigt, dass wir da offenbar etwas übersehen haben – nämlich die paradoxe Wirkung von Pseudonymen in der Literatur.
Pseudonyme sind immer eine paradoxe Intervention, und das ist das Dilemma von Autoren, die sich hinter Pseudonymen verbergen: Pseudonyme wecken erst genau die Neugier, der sich die Autoren entziehen wollen. Je berühmter sie werden, desto größer die Neugier des Publikums auf ihre wahre Identität.
Man kann als Autor nicht gleichzeitig bekannt werden und unbekannt bleiben wollen – außer man entzieht sich dem literarischen Vermarktungsgeschäft so radikal wie Thomas Pynchon. Oder man löscht alle Spuren so radikal wie B. Traven. Über die wahre Identität des Autors des Romans "Das Totenschiff" wird bis heute gerätselt.
Der Autor hat also nur die Wahl, entweder als er selbst in eigener Person öffentlich aufzutreten oder ein Mysterium zu bleiben. Elena Ferrante hingegen will beides: Sie will mit ihren Werken die öffentliche Aufmerksamkeit erregen, aber gleichzeitig verhindern, dass die Öffentlichkeit auch auf sie selbst aufmerksam wird. Sie will mit persönlichen Interviews und Zeitungskolumnen am Literatur-Trubel teilnehmen und sich ständig mit Kommentaren zu allen möglichen Themen zu Wort melden – und doch eine entrückte, mythische große Unbekannte bleiben.
Elena Ferrante ist keineswegs die einzige Schriftsteller-Person, die heutzutage das Autoren-Versteckspiel mit Pseudonymen betreibt. In der Gegenwartsliteratur wimmelt es von Autoren, die unter falschem Namen schreiben, aus den unterschiedlichsten Motiven.

Pseudonym aus geschäftlichen Gründen

Etwa aus literatur-strategischer Cleverness wie der litauisch-französische Autor, der eigentlich Roman Katsev hieß. Weil dieser außer seinem berühmtesten Pseudonym Romain Gary auch andere Decknamen benutzte, gelang es ihm, den Prix Goncourt, den ein Autor eigentlich nur einmal im Leben erhalten kann, zweimal zu bekommen.
Ein anderes Motiv für Versteckspiel könnte die Rücksicht auf den exponierten Hauptberuf des Autors sein. So schreibt ein bekannter deutscher Verleger unter dem Pseudonym Jean Luc Bannalec höchst erfolgreiche und auch verfilmte Bretagne-Krimis.
Und aus Konkurrenzgründen veröffentlichte ein deutscher Geschäftsmann kürzlich seinen Debütroman "Blasse Helden" unter dem Pseudonym . Er fand nicht zu Unrecht, dass sich bereits zu viele Autoren aus der Familie derer von Schirach in der Literaturszene tummeln.
Wie Arthur Isarin soeben enthüllte, heißt er in Wahrheit Norris von Schirach. Sein jüngerer Bruder ist der Erfolgsautor Ferdinand von Schirach. Sein Onkel ist der Autor Richard von Schirach, sein Großvater der NS-Reichsjugendführer Baldur von Schirach, seine Cousine die Autorin Ariadne von Schirach.

Trivialroman unter dem Namen der Nobelpreisträgerin

Nicht alle Autoren haben derart triftige Gründe für ein Versteckspiel hinter Decknamen. Weshalb sich etwa ein gewisser John Henderson als Autor lieber "John Wray" nennt, ist nicht recht nachzuvollziehen.
Manchmal allerdings sehen sich Autoren genötigt, die Reißleine zu ziehen und ihr Pseudonym selbst zu lüften. Beispielsweise die Nobelpreisträgerin Doris Lessing. Sie machte den Fehler, einen Trivialroman unter dem falschen Namen "Jane Somers" zu veröffentlichen. Als das Machwerkchen auf dem Markt durchzufallen drohte, gab sie sich rasch als die weltberühmte Doris Lessing zu erkennen, um dem Buchverkauf doch noch aufzuhelfen.
Aus dieser Beinahe-Pleite haben der irische Autor John Banville und die "Harry-Potter"-Autorin Joanne K. Rowling gelernt: Sie haben dafür gesorgt, dass bei ihren Krimis, die sie unter den falschen Namen und Robert Galbraith herausbringen, das Pseudonym bereits auf dem Umschlag oder im Klappentext verkaufsfördernd gelüftet wird.

Nicht selten der Autoren-Eitelkeit geschuldet

Ist uns eigentlich bewusst, dass wir viele weltberühmte Autoren nur unter ihren erfundenen Künstlernamen und nicht unter ihren echten Namen kennen? Keiner kennt Knud Pedersen, aber jeder kennt Knut Hamsun. Keiner kennt Eric Blair, aber jeder kennt George Orwell. Keiner kennt Samuel Clemens. Aber jeder kennt Mark Twain.
Das Gleiche gilt auch für Voltaire, Molière, Lenau, Novalis, Stendhal, George Eliot, Joseph Conrad oder Hans Fallada.
Pseudonyme sind nicht selten der Eitelkeit von Autoren geschuldet. Und das ist nur allzu verständlich, wenn jemand beispielsweise als Konrad Kiehtreiber geboren wurde. Klar, dass der sich als Schriftsteller dann doch lieber "Albert Paris von Gütersloh" nennt.
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