LSD-ähnliches Psilocybin

Mit Magic Mushrooms gegen die Alkoholsucht

06:32 Minuten
Psilocybe Semilanceata, besser begannt als sogenannte Magic Mushrooms in einer Makro-Aufnahme.
Der Magic Mushroom-Wirkstoff regt ein Gen an, das den Rezeptor wiederherstellt – über diesen Mechanismus kann er möglicherweise verhindern, dass es zu Rückfällen in die Alkoholsucht kommt. . © imago / YAY Images
Von Carina Schroeder |
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Er gehört für viele zur Party, zum Essen oder auch zum Feierabend dazu: Alkohol. Die Grenzen vom harmlosen Genuss bis hin zur Sucht sind fließend. Einmal süchtig, ist es oft schwer davon wegzukommen. Dabei könnten sogenannte Magic Mushrooms helfen.
Nico ist 13 Jahre alt, als er das erste Mal Alkohol trinkt.

“Dass ich übertrieben habe, war mir direkt am ersten Tag klar, weil die Auswirkungen dann eben so waren. Also ich hatte einen ziemlichen Absturz an dem Abend.“

Nico wächst auf dem Land auf.

“Da ist es eigentlich normal, dass man so früh anfängt.”

Aus dem einen Mal trinken wird eine Routine - wie die Schule, Essen und Schlafen gehört der Alkohol bald in Nicos Alltag. Er wird süchtig. Immer wieder nimmt er sich vor aufzuhören, spricht mit Freunden darüber. Doch die tun es ab. Auch eine Alkoholvergiftung ändert sein Verhalten nicht.

Wenn Trinken zur Routine wird

Noch schlimmer wird sein Alkoholkonsum, als Nico nach dem Abitur eine Ausbildung zum Koch besteht. Alkohol und Gastronomie gehören zusammen, erzählt der heute 24-Jährige, nicht nur beim Essen werde getrunken, sondern auch hinter den Kulissen. Gegen Stress, bei Problemen, nach langen Schichten. Auch Nico trinkt bei der Arbeit.

“Bis zu einem Wochenende, an dem ich mit ein paar Jungs feiern war und das ist so dermaßen eskaliert, dass ich dann am übernächsten Tag, als ich wieder nüchtern war, für mich beschlossen habe: Ok, jetzt ist wirklich der Cut. Jetzt muss ich wirklich aufhören.”
Fast zwei Millionen Alkoholabhängige
Nico bekommt einen Platz in der Rehabilitationseinrichtung Median Klinik Münchwies im Saarland. Dort arbeitet Suchttherapeut Wolfgang Bensel. 
“Wenn man von außen drauf schaut, sind es die Folgeschäden eigentlich, die man als erstes sieht. Klassische Folgeschäden wären auf der körperlichen Ebene die Veränderungen der Leberwerte.”

Laut ICD 11 müssen für Alkoholsucht unter anderem folgende Kriterien erfüllt sein: körperliche Abhängigkeit, Kontrollverlust, Toleranzsteigerung dem Alkohol gegenüber und ein starkes Suchtverlangen, auch wenn das Trinken dem Ansehen der Person schadet. Fast 1,8 Millionen Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren sind alkoholabhängig - Stand 2021 in Deutschland. 

Eine Frage des Willens?

Aus der Sucht heraus gibt es Wolfgang Bensel zufolge nur einen Weg: 

“Wir werden der Sucht nur begegnen können, wenn wir auf der körperlichen Ebene vor allem die Folgeschäden behandeln, wenn wir den Menschen helfen, dass sie einen gelingenden Entzug, das heißt eine Entgiftung von dem Suchtmittel, erreichen und wenn es von der Person eine tiefgründige Entscheidung zur Abstinenz gibt. Das sind die Wege, wie wir mit Suchterkrankungen umzugehen haben.”  

Andere Ansätze dagegen setzen auf Medikamente. Marcus Meinhardt vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim etwa erforscht, wie das Verlangen nach Alkohol mit Psilocybin gedämpft werden kann. Also mit einem Stoff, der in den sogenannten Magic Mushrooms enthalten ist und ähnlich wie LSD wirkt.

Psilocybin gegen Alkoholsucht

“Also eigentlich ist es nicht unsere Idee gewesen. Wenn man in die Geschichte zurückgeht, gab es vor rund 80 Jahren schon sehr viel Forschung darüber. Ja, als diese Substanzen entdeckt wurden und als auch LSD zum ersten Mal synthetisiert wurde. Da gab es schon Forschung in dem Bereich Sucht, und die war auch damals relativ vielversprechend.”

Allerdings waren die Studien oft zu klein, später erschwerte das Verbot von LSD weitere Forschung. Heute weiß man: Psilocybin wirkt auf das sogenannte Glutamatsystem im Gehirn.

“Man weiß, wenn verschiedene Reize, die assoziiert sind mit der Drogenaufnahme – sei es jetzt der Geruch von Alkohol oder Bilder davon oder von verschiedenen Kontexten, also, wenn man zum Beispiel an einer Kneipe vorbeigeht –, dass die zu einer Glutamat-Ausschüttung führen, die das Verlangen nach der Substanz dann triggern.”

Glutamatrezeptor beeinflusst Verlangen nach Alkohol

In Untersuchungen hat sich gezeigt, dass der Glutamatrezeptor “mGluR2” eine wichtige Rolle spielt, wenn es um die Kontrolle von Verlangen geht. Dieser Rezeptor ist eine Art biochemische Empfangsantenne für den Botenstoff Glutamat. Er reguliert, wie viel Glutamat in einzelnen Hirnregionen ausgeschüttet wird.
Bei alkoholsüchtigen Menschen ist dieser Rezeptor allerdings kaum noch vorhanden. Darauf deuten Proben aus Australien hin. Auch Marcus Meinhardts Forschungen mit alkoholabhängigen Ratten verweisen auf die Bedeutung des Rezeptors bei der Entstehung von Alkoholsucht.

“Also deren Verlangen nach Alkohol ist größer, wenn dieser Rezeptor nicht da ist. Und wenn man diesen Rezeptor wiederherstellt, konnten wir diese Verhaltensmuster wieder rückgängig machen.”

Bei den Ratten war es das Psilocybin, das zur Reparatur des Glutamat-Rezeptors beitrug.

Der Magic Mushroom-Wirkstoff regte ein Gen an, das den Rezeptor wiederherstellt – über diesen Mechanismus kann er möglicherweise verhindern, dass es zu Rückfällen in die Alkoholsucht kommt.

Alkoholsucht als Krankheit anerkennen

Wie langanhaltend dieser Effekt ist, ist zwar noch unklar, so Marcus Meinhardt. Aber die Forschungsergebnisse sind ein Hinweis auf physiologische Vorgänge, die bei der Entstehung von Alkoholsucht eine Rolle spielen könnten.
Markus Backmund, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, fordert daher ein Umdenken: In Deutschland sei Alkoholkonsum noch zu wenig als Krankheit anerkannt.

“Ähnlich ist es eben auch in der Ärzteschaft, dass eben die Vorstellung ist: ‚Naja, es muss ja nur einer wollen oder eben charakterstark sein. Und dann wird er auch nicht suchtkrank.‘ Und dann hört man halt auf zu trinken. Und das ist falsch.”

Abstinenz: auch eine Frage des Willens

Auch Nico hat sich lange gewünscht, dass seine Sucht nach Alkohol ernst genommen wird – und hat zugleich festgestellt, dass er diese nur aus eigenem Antrieb bekämpfen kann. Nach seinem Klinikaufenthalt will er deshalb seinen Job als Koch aufgeben und sich einen Beruf suchen in einer Branche, in der Alkohol nicht dauerpräsent ist. Nach fast drei Monaten verlässt er die Klinik.

“Ich hab hier viele gute Gedanken und Überzeugungen festgemacht. Ob die dem Leben standhalten können, werden wir sehen.”

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