Psychiater über echte und falsche Opfer im Netz

In der Opferrolle gewinnt man Autorität

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Anhänger der Republikanischen und Demokratischen Partei, die durch Megafone gegensätzliche Meinungen schreien PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xMitchxBluntx 12660105
Im Netz kommt es öfter zu schwierigen Opferkonkurrenzen. © imago stock&people
Jan Kalbitzer im Gespräch mit Dennis Kogel |
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Opfer zu werden, heißt ausgeliefert sein - keine erstrebenswerte Rolle. Dennoch generiert sie im Netz immer wieder Aufmerksamkeit. Der Psychiater Jan Kalbitzer sieht hinter ausgedachten Opfer-Inszenierungen auch den Wunsch nach Anerkennung und Immunität.
Eine populäre deutsche Bloggerin erfand eine komplette jüdische Familiengeschichte und schlug sich damit auf die Opferseite der Geschichte. Sie täuschte damit nicht nur Leserinnen und Leser, sondern auch Yad Vashem, die israelische Gedenkstätte an die Opfer des Holocausts. Doch woher kommt das Bedürfnis, sich als Opfer zu inszenieren?

Experte für die eigene Opferrolle

Für den Psychiater Jan Kalbitzer erlangt man dadurch zunächst gesellschaftliche Anerkennung, die über Zweifel erhaben ist:
"Eine Opferrolle gibt mir die Möglichkeit, einerseits Autorität einzunehmen, das heißt, ich kriege Autorität dadurch, dass sie sagen: 'Ich bin Opfer, ich bin betroffen'. Es ist auch schwer, mit jemandem, der diese Opferrolle so einnimmt, zu diskutieren und zu fragen, 'Bist du wirklich ein Opfer?', weil dann manchmal die Rückmeldung kommt, 'Du kannst das gar nicht einschätzen, wenn du selbst nicht betroffen bist.' Da wird in den Geisteswissenschaften von so einer Form der Immunität gesprochen."

Gibt es "falsche" und "richtige" Opfer?

Die Kehrseite: Vor allem im Netz stellen sich auch Menschen oder Gruppierungen als Opfer dar, obwohl sie keine sind. Für Kalbitzer spielt das allerdings nur eine untergeordnete Rolle:
"Wenn man sagt 'Ich bin ein alter, weißer Mann und ich fühle mich als Opfer in der Gesellschaft' finde ich das erst mal interessant, und würde denen das erstmal auch nicht absprechen. Ich würde nur sagen, welche Bedeutung hat es denn für euch, wenn ihr euch eine Opferrolle begebt als Menschen, die sehr viel Macht haben."

Solidarisierung gegen Rassismus und Diskriminierung

Andererseits zeigen Bewegungen wie #metoo, dass bestimmte Gruppen durch soziale Medien überhaupt Gehör finden und gesellschaftliche Debatten um Rassismus und Sexismus auslösen. Das sei einer der "wesentlichen positiven Effekte des Internets" so Kalbitzer, "dass Menschen die Opfer von Ungerechtigkeit Solidarität erfahren und andere Menschen finden, die sie unterstützen."
Er sieht allerdings langfristig auch eine Gefahr: "Weil es einfach ein Riesen-Aufmerksamkeits-Boost ist. Oft wird man auch abhängig von den sozialen Rückmeldungen. Soziales Feedback ist ja ein Verstärker für Verhalten."
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