Die Sendung ist eine Wiederholung vom 4. Februar 2021.
Psychiaterin und Autorin Melitta Breznik
Kennt sich gut mit den kulturellen Eigenheiten der Schweizer aus: die Psychiaterin und Autorin Melitta Breznik. © picture alliance / dpa | Uwe Zucchi
Die heilende Kraft des Schreibens
33:40 Minuten
Tagsüber Patienten behandeln, abends schreiben – so lebt Melitta Breznik. Die österreichische Psychiaterin arbeitet in der Schweiz. Sechs Romane hat sie bisher veröffentlicht, zuletzt ein Buch über das Sterben ihrer Mutter.
Melitta Breznik hat es nicht von Anfang an vermocht, ihre beiden Arbeitswelten - Schriftstellerei und Medizin - miteinander zu vereinen. Denn einerseits wurde sie im Literaturbetrieb als "Ärztin, die auch schreibt" belächelt.
Andererseits hat sie es lange nicht gewagt, ihren Kollegen im Krankenhaus zu sagen, dass sie auch Erzählungen und Romane verfasst: "Ich habe mein Schreiben lange in der Klinik geheim gehalten", berichtet Breznik: "Ich habe befürchtet, dass die Patienten mir nicht mehr vertrauen, weil sie glauben, ich schreibe alles auf."
Die übermächtige Mutter
Dennoch hat Breznik nie ein Pseudonym gewählt, da sie zu allem stehen wollte, was sie schuf. Für besonderes Aufsehen hat das Buch gesorgt, in dem sie das Sterben ihrer Mutter verarbeitet. Als die Mutter pflegebedürftig wurde, erwartete sie, dass ihre Tochter zu ihr ziehen würde – was Melitta Breznik dann auch tat.
Doch plötzlich sah sie sich einem Berg unüberwindbar scheinender Schwierigkeiten gegenüber: "Vor allem, wenn die Mutter sagt: 'Wozu hast du Medizin studiert, ermögliche mir doch ein schnelles Aussteigen aus diesem Leiden.' Ich habe das als ziemliche Frechheit von meiner Mutter empfunden."
Die übermächtige Mutter spielt eine zwiespältige Rolle in Brezniks Leben: "Meine Mutter hat mich früh als Partnerersatz 'missbraucht', ich war zu Hause in der Rolle, für ein Gleichgewicht zu sorgen. Deshalb bin ich vielleicht in der Psychiatrie gelandet: Weil ich immer ein Ohr für alle Parteien habe."
Kulturelle Eigenheiten der Schweiz
Heute leitet sie die psychosomatische Abteilung einer Reha-Klinik im Schweizer Engadin. Sie würde sich dort nicht so wohl fühlen, hätte sie nicht früh akzeptiert, dass es in der Schweiz eine völlig eigene Alltagskultur gibt.
Vor allem Deutschen falle es schwer, die Unterschiede zu sehen und zu respektieren, weshalb viele nach Arbeitsaufenthalten in der Schweiz frustriert die Koffer packten und abreisten, berichtet sie: "Deutsche Kollegen sind oft sehr laut und setzen ihren Ellbogen ein, weil sie das aus Deutschland so kennen und es nicht gewohnt sind, geduldig zu sein und zu warten, bis ein Konsens gefunden ist."
Die Kluft der Kulturen, die sie beobachtet, gibt es auch zwischen Österreichern und Schweizern, beispielsweise auf dem weiten Feld des Humors, der offenkundig nicht immer kompatibel ist: "Meine Witze aus Österreich habe ich mir abgewöhnt. Es kommt in der Schweiz nicht gut an, wenn man sich selbst durch den Kakao zieht."
(AB)