Neues aus der Anstalt
Sieben Jahre lang saß Gustl Mollath wegen angeblicher Wahnvorstellungen in der geschlossenen Psychiatrie. Zu Unrecht, wie er beteuert. Am Freitag wird das Wiederaufnahmeverfahren in Regensburg fortgesetzt.
"Das war ein Ziel, was eigentlich in unendlicher Ferne lag. Es ist ein großes Glück, es jetzt schon erreicht zu haben und jetzt müssen wir weitersehen."
6. August 2013. Eine Menschentraube schart sich um einen grauhaarigen, schüchtern lächelnden Mann. Es werden Hände geschüttelt. Gustl Ferdinand Mollath steht ungläubig mit einem Palmenpflänzchen vor dem Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Frei. Nach sieben Jahren in der geschlossenen Psychiatrie.
"Das wichtigste für mich ist jetzt, wo krieg ich einen Ausweis her, damit ich mich ordentlich ausweisen kann, wenn es darauf ankommt."
Fast sieben Jahre ohne Ausweis, ohne eigene Kleidung, auf Freigängen im Hof der geschlossenen Abteilung mit Handschellen gefesselt. Alltag für den heute 57-jährigen Gustl Mollath von 2006 bis 2013. In regelmäßigen Abständen begutachtet von Psychiatern und als nicht zurechnungsfähig befunden. Mollath verweigert sich von Anfang an den Gutachtern und sieht sich als Opfer eines Komplotts. Immer wieder betont er, die Vorwürfe gegen ihn seien nicht rechtens, doch keiner hört hin. Er möchte Beweise vorlegen für seine Unschuld, doch keiner will sie lesen. Vor genau einem Jahr nahm dieser Alltag ein Ende. Mehrere Demonstrationen mit hunderten von Teilnehmern, ein Untersuchungsausschuss im bayerischen Landtag, das Eingreifen des auf Wiederaufnahmeverfahren spezialisierten Hamburger Rechtsanwalts Gerhard Strate und eine Demonstration von Strafverteidiger vor dem Regensburger Justizgebäude hatten mit dazu beigetragen.
In die Fernsehkameras vor dem Bezirkskrankenhaus von Bayreuth sagt Gustl Mollath am 6. August 2013:
"Ich werde alles dafür tun, dass wirklich die gesamte Wahrheit auf den Tisch kommt und alles beleuchtet wird. Was das Gericht dann ermöglichen und zulassen wird, das wird sich dann zeigen. Ich rechne da natürlich nicht mit allem Guten, ich hoffe aufs Gute und kann nur probieren, dementsprechende Zeugen zu benennen, die Ursachen sollten da schon beleuchtet werden und da wäre es schon wichtig, auch hochrangige Zeugen aus der Branche zu laden."
Ein Jahr später steht Gustl Mollath am 7. Juli 2014 in Regensburg im Gerichtsaal und verliest die Namen der hochrangigen Zeugen, die er schon vor einem Jahr geladen sehen wollte. Jetzt soll endlich Recht gesprochen werden, wie es Mollath versteht. Das Ziel: Die vollständige Rehabilitierung, nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch vor der Gesellschaft. Am Ende steht natürlich auch die Entschädigungsfrage.
"Ich möchte da jetzt nicht um Gnade bitten oder gar winseln. Ich bitte um ordentliche Rechtsstaatlichkeit, um Überprüfung dieses skandalösen Urteils."
Es geht um Gerechtigkeit - und eine Entschädigung
Ein dicker Aktenordner liegt vor ihm auf dem Tisch. Datum und Uhrzeit jedes Schreibens von vor über zehn Jahren. Vergilbte Blätter, handschriftliche Notizen, Schreibmaschinenpapier. Das Gericht lehnt den Wunsch Mollaths nach Ladung seiner Zeugenliste ab. Mit Recht müssen Beobachter feststellen, denn das Wiederaufnahmeverfahren, in dem der akkurat gekleidete 57-Jährige derzeit um seine Rehabilitierung kämpft, kann und soll vom 7. Juli bis 14. August 2014 nur zwei eher alltägliche Anklagepunkte beurteilen: schwere Körperverletzung mit Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung in 129 Fällen. Ein Zeitsprung in das Jahr 2006, ein Déja-vu für Zeugen von dem Gerichtsverfahren vor acht Jahren. Denn fast wortgleich lautet damals die Anklageschrift vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. Nun also noch einmal dieselben Vorwürfe, dieselbe Anklage, nur andere Richter, ein anderer Staatsanwalt, neue Verteidiger, ein anderes Gericht. Ein Verfahren auf Neuanfang, ein Neustart mit acht Jahren Verspätung. Die Verantwortlichen von 2006 sind längst in Pension oder für den Fall nicht mehr greifbar.
Kritiker sagen, das sei eine Farce. Der bayerische Freistaat nutze das ihm vom Oberlandesgericht Nürnberg angeordnete Wiederaufnahmeverfahren, um seine Fehler wieder gutzumachen. Die Regierung wolle das Vertrauen in die bayerische Justiz wieder herstellen. Es ginge überhaupt nicht um die Hintergründe, die erst die jahrelange Unterbringung in der forensischen Psychiatrie, also der Abteilung für psychisch kranke Straftäter, verursachten. Für Gustl Mollath und seine Verteidiger aber ist es die Chance, auf die Missstände in bayerischen Psychiatriestationen hinzuweisen. Darum hat er gekämpft die lange Zeit in der Anstalt. Dass er Recht bekommt. Aber das ist 2014 noch genauso kompliziert wie 2006.
Gleich zu Beginn des Wiederaufnahmeverfahrens in Regensburg erklärt die vorsitzende Richterin: Die Exfrau von Gustl Mollath wird nicht aussagen. Nur ihr Anwalt sitzt als Nebenkläger im Saal. Damit ist die wichtigste Zeugin nicht anwesend, wegen der der Fall Mollath erst ins Rollen kam. Keine Aussage zu den Misshandlungen, die ihr Mann ihr zugefügt haben soll, keine Aussagen zu der von ihr angegebenen Freiheitsberaubung. Auch keine Aussagen zu den Schwarzgeldgeschäften, die sie in einer Filiale der Hypo-Vereinsbank Nürnberg getätigt haben soll, was Mollath der Bankzentrale in München mehrfach mitteilte. Einzig ein Attest von der behandelnden Ärztin liegt wie schon 2006 dem Gericht vor. Und genau dieses Attest ist falsch. Das Attest über die Verletzungen der damaligen Ehefrau hatte nicht die verantwortliche Ärztin, sondern deren Sohn erstellt, der noch keine Kassenzulassung hatte.
Mollaths Verteidiger Gerhard Strate:
"Gerechtigkeit besteht ja auch aus Optik und die besteht darin, das die Hauptperson, die verantwortlich ist für die siebeneinhalb Jahre Unterbringung Gustls Mollaths, dass die hier auch jetzt ihre Aussage macht. Es ist ja unglaublich, dass sie sich jetzt beruft auf das Zeugnisverweigerungsrecht als geschiedene Ehefrau, das ist ja das einzige Band was sie noch verbindet mit Gustl Mollath und das benutzt sie, um sich jetzt aus dem Prozess hinweg zu stehlen, man kann es nicht anders bezeichnen."
Prozessbeobachter aus der Bevölkerung sitzen ratlos im Gerichtssaal. Die meisten haben von Mollath aus den Medien erfahren, wollen ihn persönlich sehen, ihm Glück wünschen. Mollath hat viele Unterstützer. Die meisten erhoffen sich von ihm, dass er den Alltag an deutschen Psychiatrien verändert. Der Prozess selbst enttäuscht sie.
"Also ich fand es irgendwie frustrierend. Erstmal war es sehr leise im Gericht, man hat sehr wenig verstanden und zum zweiten finde ich es irgendwo - ja, ich verstehe die Argumentation von Herrn Mollath, dass er voreingenommen ist."
"Es ist für mich ein Unding. Ich bin Laie, ich habe nur Interesse dran, aber das sind halt die deutschen Gerichte. Es wird überall nur mit Wasser gekocht. Die Unterhaltungen, die da untereinander stattfinden, als Laie weiss man da nicht, was da alles gesprochen wird. Primitiv."
Das Gericht ist machtlos. Ärztlich feststellen lassen sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nach 13 Jahren nicht mehr. Gustl Mollath bestreitet, jemals handgreiflich geworden zu sein. Juristisch eine Sackgasse.
Gustl Mollath kann aufbrausend sein. Das irritiert auch seine Unterstützer. Vor sieben Monaten, am Silvestertag 2013, soll er in Bad Pyrmont eine heftige verbale Auseinandersetzung mit einer Frau gehabt haben, so der Anwalt der Exfrau als Nebenkläger. Der Streit soll derart heftig gewesen sein, dass Passanten und ein Tankstellenbetreiber eingriffen. Daher sollen die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Hannover zu diesem Fall herbeigezogen werden. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung stimmten dem Antrag zu. Mollath selbst bestätigt den Vorfall. Es sei aber nicht zu Handgreiflichkeiten gekommen. Soviel steht fest: Gustl Ferdinand Mollath ist kein einfacher Mensch, sagt auch sein Verteidiger.
"Ach wissen Sie, zwischen Mollath und seinen Verteidiger geht kein dünnes Blatt Papier, wir sind schon eine Einheit. Aber dennoch ist es schon so, dass Mollath ein Franke ist. Das ist schon ein Menschenschlag, der sich nicht so leicht eintüten lässt von irgendeinem Verteidiger, der ihm sagt, da geht es lang. Solche Situationen wie vorhin habe ich erwartet und die wird es auch weiterhin geben. Wir werden aber weiterhin an einem Strang ziehen, davon können Sie ausgehen."
Mollath ein Querulant, ein Choleriker?
Mittlerweile sieht sein Verteidiger dies anders. Mollath verbreite Lügen, so Strate. Es heißt, der Angeklagte würde einem Freund vertrauen, der ihn schlecht berät. Er, der noch immer keinen festen Wohnsitz hat und nur bei Freunden schläft, bekommt finanzielle Unterstützung von verschiedenen Seiten. Deutschlands wichtigster Justizkritiker wurde in den vergangenen Monaten durch sämtliche Talkshows gereicht. Im Internet gibt es zahlreiche Webseiten von Unterstützern, die ihn als einen der ihren sehen und hoffen, dass er stark genug ist für die Gerichtsverhandlungen.
Freunde sagen von Mollath, er würde mit dem Hintern einreißen, was er vorne gerade aufgebaut hat. Mollath ein Querulant, ein Choleriker?
Hier kommen die Gutachter ins Spiel. Und hier wird der Fall Mollath generell. Längst geht es nicht mehr um die Frage, ob da ein Ehemann seine Frau geschlagen hat, sondern wie einfach es scheinbar in Deutschland ist, als unzurechnungsfähig in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen zu werden.
"Ich habe so eine Akte von Gefängnisinsassenunterschriften, die meinen, sie sind unschuldig und die sich melden. Und ich weiß, das das erst die Spitze des Eisberges ist."
Der pensionierte Arzt Gerhard Fleischner aus Schliersee beschäftigt sich seit seinem Ruhestand mit Missständen in der bayerischen Justiz. Zum Auftakt des Wiederaufnahmeverfahrens steht er vor dem Regensburger Gericht bei den Demonstranten. Andere Mitstreiter verteilen ihre eigenen Akten an die Journalisten und klagen an.
Zwar war es nach der Psychiatriereform von 1975 und der großen Strafrechtsreform 1973 zu einem Rückgang der Belegungen gekommen. Seit 1990 steigt die Zahl der Patienten in der Forensik aber unaufhörlich, vermerkt das Statistische Bundesamt. 2011 waren es knapp 10.000 Personen im deutschen Maßregelvollzug. Die Statistik zeigt auch: Die Unterbringung nach § 63 StGB dauert immer länger, und der aktuelle Trend geht bundesweit dahin, weniger Patienten wegen erfolgreicher Therapie zu entlassen. Im Bundesdurchschnitt haben Maßregelvollzugspatienten heute bereits fast sieben Jahre, in einzelnen Bundesländern im Durchschnitt bis zu zehn Jahre Behandlungsdauer hinter sich ohne dass eine Entlassung empfohlen würde. Auch am Bayreuther Bezirkskrankenhaus sei vieles im Argen, sagen Einheimische. Ein aktueller Bericht des Magazins "Der Spiegel" belegt das.
Für den Unterstützer Mollats, Gerhard Fleischner, ist klar:
"Ja ich meine er wird freigesprochen, weil die Justiz sich gar nichts anderes leisten kann. Es geht nur noch darum, wie sich die Justiz rauszieht. Aber ich denke, dass der Mollath da nicht mehr nachtritt, denn ich halte ihn für einen integren Mann und wundere mich, wie er die sieben Jahre wegsteckt. Ehrlich, ich bin Arzt und bin erstaunt, wie er das macht."
Bürger lasst den Fußball sein, kommt herunter reiht Euch ein. Bravo!
"Natürlich passieren immer wieder Fehler, wenn es um den Freispruch eines Schuldigen geht oder die Verurteilung eines Unschuldigen, aber zu sagen es gäbe einen Komplott, der dazu geführt hat, dass Gustl Mollath in die Psychiatrie gebracht wurde, das weise ich sowohl für die Psychiatrie wie auch für die Richter massiv zurück..."
...sagt Axel Boetticher, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof.
"Ich rechne damit, dass ungefähr 50 Prozent meiner Gutachten falsch sind, aber nur Tausend zu eins zu Lasten der Allgemeinheit. Wir können das nicht besser, das muss man einfach sagen. Ich kann sagen, ich habe Zweifel, aber die Zweifel rechtfertigen die Entlassung nicht. Und diese Zweifel sind die 50 Prozent..."
...sagt Norbert Nedopil vor einigen Monaten in der ARD, ehemaliger Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig Maximilians Universität München und Gutachter Mollaths im Wiederaufnahmeprozess.
"Also da würde ich sagen, da könnte man auch eine Münze werfen, das wäre für die Allgemeinheit billiger."
"Ich rechne damit, dass 50 Prozent meiner Gutachten falsch sind"
Auf Norbert Nedopil ist Gustl Mollath gar nicht gut zu sprechen. Jemand, der gerade einmal die Hälfte seiner Gutachten als richtig einschätzt, dem könne er nicht vertrauen. Schon gar nicht könne er sich in dem Wiederaufnahmeverfahren äußern, wenn Nedopil dabei sitzt und sich Notizen macht. Seine Forderung nach einem Verfahren ohne Gutachter lehnt das Gericht ab. Während seiner Unterbringung hatte Mollath immer wieder gefordert, dass die Gespräche, wenn er denn welche führen sollte mit den Psychiatern, aufgezeichnet werden, also nachvollziehbar für Zweitgutachter. Ein bislang nicht üblicher Vorgang sagt Nedopil und sieht die Politik in der Pflicht:
"Das Problem ist dann, dass es sehr viel zeitaufwändiger wird, also wenn sie denken, dass ich im Jahr ungefähr 40 Gutachten mache, dass der Zeitaufwand sich dann verdoppelt, dann werden es halt nur noch 20."
Mollaths Verteidiger Gerhard Strate versteht, dass Gutachter in dem Verfahren anwesend sein müssen.
"Ich habe eben nur die Erfahrung gemacht, dass Gutachten und Fernprognosen zu vorschnell getroffen werden und auf zu unsolider Basis. Entscheidend ist wirklich, dass das Gericht das was der Gutachter vorträgt, auch selbständig überprüft, das heißt, sich selbst eine Überzeugung davon verschafft, dass wir auf diesen Gutachter uns verlassen können."
"§ 63 Strafgesetzbuch: Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist."
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist."
So lautet der Paragraf, mit dem als unzurechnungsfähig verurteilte Straftäter unbegrenzt in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht werden können. Es basiert auf einem Gesetz von 1933.
Der Journalist und Jurist Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung sieht im Fall Gustl Mollath "die grausamen Schwächen des Paragrafen 63 des Strafgesetzbuches. Kaum ein anderer Paragraf habe so massive Auswirkungen wie dieser, aber kaum ein anderer Paragraf genieße so wenig Beachtung. Der '63er' sei der Paragraf, der einen Straftäter flugs in die Psychiatrie bringt, aus der er dann gar nicht mehr flugs herauskommt. Dieser § 63 ist ein dunkler Ort des deutschen Strafrechts".
"Es ist wichtig für die Justiz als solche zu spüren, hier ist ein großer Druck da, ein Leidensdruck von vielen Menschen. Ganz viele haben die Sympathie entwickelt weil sie sagen, wir sind auch solche Opfer, wir verstehen es auch nicht, wir haben in der Verwandtschaft, in der Bekanntschaft etliche Dinge erlebt. Darauf muss der Gesetzgeber und die Justiz reagieren. Man muss die Unterbringung viel besser erklären, man muss ein neues Recht für die Unterbringung schaffen. Die Justiz muss offener, transparenter werden, sie muss erklären können, was sie da macht. Sie muss das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Eine Justiz, die nicht das Vertrauen der Bevölkerung hat, kann einpacken."
Bayerns neuer Justizminister, der aus Unterfranken stammende CSU-Politiker und Hochschullehrer Winfried Bausback, hat den Fall Mollath von seiner Vorgängerin Beate Merk geerbt. Von jener Justizministerin, die nachweislich gelogen hat und bis fast zum Schluss von der Einweisung Mollats überzeugt war. Sie ist heute die bayerische Europaministerin. Ihr Nachfolger Bausback legte bereits Anfang des Jahres Vorschläge auf den Tisch, wie die Justiz in Bayern zu reformieren ist, vor allem der Paragraf 63:
"Bei rechtspolitischen Diskussionen und bei Gesetzgebungsvorhaben geht es um grundsätzliche gesetzgeberische Anliegen und strukturelle Fragestellungen und die sind beim Paragrafen 63 schon seit den 80er-Jahren letztlich auf dem Tisch und wir haben im Koalitionsvertrag auf der Bundeseben auch auf maßgebliche Mitwirkung von mir das auf die Agenda gesetzt."
"Ich bin beinahe sicher, dass das Ganze schon ein Gesetz Mollath ist, das das der Auslöser ist. Wir hatten im Landtag ja einen Untersuchungsausschuss, da sind die Forderungen gerade auch in diese Richtung sehr, sehr laut geworden und es ist typisch, dass die Staatsregierung dann nach Abschluss eines solchen Untersuchungsausschusses Zeit verstreichen lässt, das halte ich schon für bedauerlich."
Michael Piazolo, Generalsekretär der Freien Wähler in Bayern.
Kein Psychiatrie-Straftäter solle mehr das Gefühl haben, lebendig begraben zu sein, sagt Bayerns Justizminister. Mit umfangreichen Reformen will Bayerns Justizminister Winfried Bausback einen zweiten Fall Mollath verhindern. Künftig sollen mehr Gutachter einen Fall öfter und auch gründlicher prüfen. Der Gesetzentwurf des bayerischen Finanzministers sieht vor, die Gesellschaft einerseits auch in Zukunft vor schuldunfähigen Personen zu schützen, auf der anderen Seite aber eine Entscheidung über eine erstmalige Unterbringung zu verschärfen. Die neuen Bestimmungen würden für Taten gelten:
"Die eine erhebliche körperliche oder seelische Schädigung eines potentiellen Opfers oder einen schweren wirtschaftlichen Schaden zur Folge habe und was die Fortdauer betrifft haben wir eine zusätzliche Hürde eingebaut: Wenn eine Unterbringungszeit von sechs Jahren überschritten wird, dann reicht auch die schwere wirtschaftliche Schädigung nicht mehr aus, dann brauchen wir Taten schwerer Kriminalität."
Bayerns Justizminister will einen zweiten Fall Mollath verhindern
Er könne sich vorstellen, dass länger als drei Jahre künftig kein Mensch in der psychiatrischen Anstalt sitzen sollte, ohne dass ein externer Gutachter, also ein Gutachter, der nicht zur Anstalt gehört, die medizinischen Voraussetzungen der Unterbringung neu überprüft, sagt Bausback. Es soll auch eine Vollzugsordnung geben, welche die Rechte der Menschen in der forensischen Psychiatrie regelt.
Der bayerischen Opposition geht die Reform viel zu schleppend. Die SPD-Politikerin Inge Aures, vor einem Jahr Mitglied im Mollath-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags sieht noch viel Handlungsbedarf:
"Das reicht mir noch nicht. Man muss mal bedenken, das jährt sich jetzt, dass der Herr Mollath freigekommen ist und es sind keinerlei Konsequenzen erkennbar. Also er muss jetzt dringend sehen, dass sich da was tut, vor allem muss man sehen wie die Leute, die untergebracht sind in der forensischen Abteilung, da müssten die Zeiten der Begutachtung verkürzt werden, dass die Begutachtung kürzer wird und und und. Da gibt es einen ganzen Katalog von uns, den wir vorgelegt haben, aber da tut sich nichts, das geht alles so zäh. Man will irgendwie nicht so richtig."
Neun Punkte hatte der Untersuchungsausschuss im letzten Jahr vorgelegt. So soll die personelle Ausstattung in der Steuerfahndung, den Gerichte und Staatsanwaltschaften verbessert werden. Wie in anderen Bundesländern auch, sollte in Bayern auf eine stärkere Trennung zwischen Richtern und Staatsanwälten geachtet werden. Die Abhängigkeit der Karrieren von Richterinnen, Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten von Entscheidungen der politischen Spitze der zuständigen Ministerien sollte durch eine selbstorganisierte Judikative geändert werden. Außerdem sollten Wiederaufnahmeverfahren nicht zu dem einmaligen Fall werden wie bei Gustl Mollath:
"Es kann nicht sein, dass einer wie im Fall Mollath verurteilt wird, wo der Richter noch nicht einmal merkt, dass die Unterlagen falsch sind, wo der Gutachter den Patienten gar nicht sieht und lauter solche Sachen, da gehört jetzt richtig Ordnung rein und dann denke wird das schon werden, aber wir haben ja nach außen hin unser Gesicht als bayerische Justiz komplett verloren. Ganz Deutschland hat über uns gelacht."
Für den 57-jährigen Gustl Ferdinand Mollath kommen die Reformen zu spät. 13 Jahre nach den ersten Misshandlungsvorwürfen und sieben Jahre in der Forensik. Im Prinzip könnte im Wiederaufnahmeverfahren wieder eine Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt verfügt werden. Das weiß auch Mollath:
"Mehrfach töten kann man einfach nicht, mehrfach einen Menschen regelrecht vernichten ist auch schwer möglich."
Gustl Mollath hat mittlerweile einen neuen Personalausweis, doch er ist nirgendwo gemeldet. Freunde geben ihm Obdach. Er ist dankbar für die Spendengelder aus der Bevölkerung. Dauerhaft möchte er wieder in Nürnberg leben, in einer Kfz-Werkstatt arbeiten oder im Flugzeugbau, es gibt Angebote. Er war in der Zwischenzeit bereits Instruktor auf der ADAC-Übungspiste im fränkischen Schlüsselfeld. Sein Ziel bleibt:
"Ich möchte alles dafür tun, einen Beitrag zu leisten, darauf hinzuweisen und zu beweisen, dass es Missstände gibt, nicht nur in meinem individuellen Fall, sondern generell im System der Psychiatrie, der Staatsanwaltschaften, teilweise der Gerichte und ich würde mir wünschen, dass eine Systemänderung zum Guten stattfindet."
Am 8. August geht das Wiederaufnahmeverfahren in Regensburg mit den Plädoyers weiter. Dann wird sich Gustl Mollath das erste Mal persönlich mit einer Erklärung zu Wort melden. Denn dann sitzt kein Gutachter mehr im Saal. Der vom Gericht als Gutachter bestellte Psychiater Professor Norbert Nedopil hat bereits erklärt, von Mollath gehe heute keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit aus. Eine erneute Zwangseinweisung sei nicht angemessen.
Der Urteilsspruch wird für den 14. August erwartet.