Hören Sie auch das anschließende Gespräch mit Autorin Astrid Wulf zum Thema:
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"Oh Gott, er kann ja ohne mich nicht"
07:24 Minuten
Gewalt erleben Frauen vor allem in Beziehungen. Das hat allerdings nicht immer mit Schlägen oder sexuellen Übergriffen zu tun. Auch psychische Gewalt wirkt zerstörerisch. Begegnung mit einer Frau, die unter einer toxischen Beziehung litt.
Am 25. November ist der weltweite Aktionstag gegen Gewalt an Frauen. Dabei geht es nicht nur um körperliche Misshandlungen, sondern auch um psychische Gewalt. Astrid Wulf hat eine Frau getroffen, die von ihrem Partner psychisch missbraucht und emotional erpresst wurde. Auf ihren Wunsch hin haben wir ihren Namen geändert.
"Wenn du mich wirklich liebst, dann kannst du das auch aushalten. Du siehst doch, ich wachse doch, ich tu doch. Dann kannst du das auch aushalten. Ich bemühe mich doch ganz viel. Und ich dachte: Stimmt, der bemüht sich auch ganz viel."
Silke Weber, gestandene, selbstständige PR-Agentin, hat sich verliebt. In einen Mann, der mit seinen beiden kleinen Söhnen aus einer früheren Beziehung in einem Haus lebt. Er ist irgendwie schwierig, strahlt jedoch Stärke aus. In einer Phase, in der es ihr selbst nicht so gut geht, braucht sie das. Und sie braucht jemanden, der für sie da ist.
"Es gab die liebevollen Momente mit mir. Er hat mich auf Händen getragen", erinnert sie sich heute. "Aber er hat die Kinder ganz schlimm behandelt. War ganz wütend mit ihnen, hat ganz viel mit denen geschimpft, und wenn ich nicht da war, hatten die Angst."
Da sein, um die Kinder zu beschützen
Die Stimmung im Haus ist oft angespannt. Trotzdem zieht die heute 47-jährige Frau mit ihrer Tochter bei ihrem neuen Freund ein. "Für mich war immer das Thema: Ich muss da sein und die Kinder schützen. Und damit auch diese Atmosphäre aushalten."
Als sie ein Wochenende allein mit ihrer Tochter verreisen will, flippt er zum ersten Mal auch ihr gegenüber aus. Wirft ihr vor, ihn nicht zu lieben. Der Mann macht ihr immer mehr Vorwürfe – und ihre Freunde machen sich Sorgen:
"Ich habe einen sehr offenen Freundeskreis, die mich früh darauf angesprochen haben, die gesagt haben: Der ist doch gewalttätig, tut der dir eigentlich was? Und ich gesagt habe: Der tut mir doch nichts. Und ich war stolz. Ich hatte das im Griff. Ich wusste dann später, der hat seinen Ex-Frauen auch körperlich was angetan. Und das hätte er sich bei mir nicht getraut. Und ich hatte das Gefühl: Ich schaffe das. Ich sorge dafür, dass das gut geht. Ohne zu merken, dass ich schon am Ende war."
Silke Weber wird krank, liegt andauernd mit Grippe flach, bekommt eine Lungenentzündung. Als sie zur Ruhe kommt, begreift sie: Die Beziehung tut ihr nicht gut, sie muss etwas ändern. Als sie den Mann verlassen will, bricht er regelrecht zusammen.
"Es war ein großes Drama, er hat viel geweint. Das war generell bei unserem Streit, dass er immer geweint hat, dass ich ihm emotional immer so … Oh Gott, er kann ja ohne mich nicht, ich muss dann doch bleiben. Das war auch ein Thema dieser emotionalen Erpressung. Wenn einer so zusammensackt, so ein großer Mensch, der so viel Stärke ausstrahlt, dann habe ich immer das Gefühl, ich muss den beschützen."
"Was drückt er mir da auf?"
Silke Weber bleibt – zieht jedoch im Haus in ihr eigenes Zimmer.
"Dann sind ganz andere Sachen passiert. Dass meine Sachen durchwühlt wurden. Dass er mich heimlich gefilmt hat. Dass ich mich im Haus nicht mehr sicher fühlte, dass immer jemand ums Haus schlich, irgendwann merkte ich: Da guckt jemand mit so einem Handy durchs Fenster. Und ich bin in so eine Schockstarre. Da war es am Ende so, dass ich gemerkt habe, ich kann gar nicht mehr."
Eine Freundin nimmt die Situation in die Hand, packt ein paar ihrer Sachen zusammen und verfrachtet sie in eine Ferienwohnung. Der Mann lässt sie nicht in Ruhe, bombardiert sie unter anderem per WhatsApp mit Vorwürfen: "Du hast es versprochen, du musst für die Kinder da sein. Ich liebe dich, du musst zu mir zurückkommen. Wenn du nicht regelmäßig Kontakt zu den Kindern hast, dann bist du eine Verräterin: Du musst sie jedes zweite Wochenende nehmen, wie das getrennte Paare machen. Und ich dachte: Ich bin doch gar nicht die leibliche Mutter? Was drückt er mir auf?"
Gegen psychische Gewalt vorgehen
Sie wendet sich an eine Frauenberatungsstelle und schafft es mit Hilfe der Sozialpädagogin Martha Deegen, sich aus der Beziehung zu lösen. Martha Deegen glaubt, dass psychische Gewalt in vielen Beziehungen vorkommt. Die kann auch strafrechtlich relevant sein. Doch zur Anzeige kommen wohl die wenigsten Fälle.
"Körperliche Gewalt ist auf eine andere Art und Weise sichtbar und nachweisbar", sagt Deegen. "Mobbing, Stalkingbereich – auch da gibt es eine Gesetzgebung. Aber da ist es schwer, da braucht es Zeugenschaft. Das ist noch mal ein schwierigerer Weg."
Deegen sagt weiter: "Auch Beleidigungen im weiten Umfeld, dazu gehören Erniedrigungen, auch verbale Gewalt, emotionale Gewalt, sind ein Straftatbestand. Aber wer bringt das denn zur Anzeige tatsächlich, dass es polizeibekannt ist? Das sind doch eher Felder, die weniger genutzt werden."
Der Abstand zu dem Mann und dem Haus tut Silke Weber gut. Sie reagiert nicht mehr auf seine Nachrichten. Besonderes geholfen hat ihr die Erkenntnis: Sie wollte es immer allen recht machen und gebraucht werden.
"Ich wollte nicht die Böse sein. Um irgendwann, das war aber ein ganz langer Prozess, zu sagen: Okay, zur Not bin ich die Böse."
Die bundesweiten Frauenberatungsstellen helfen Betroffenen. Das Hilfetelefon ist rund um die Uhr unter der Nummer 08000 116 016 kostenlos, auf Wunsch anonym und über die Internetseite auch mit Gebärdendolmetschung erreichbar. Weitere Infos sind auf der Website www.frauen-gegen-gewalt.de zu finden.