Caroline Wenzel: "Vom Traum zum Trauma"

Die Zerstörungskraft psychischer Gewalt in Partnerschaften

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Illustration von Händen, die über viele verworrene Strippen die Silhouette eines Mannes kontrollieren.
Seelische Attacken in Beziehungen äußern sich oft in Angriffen auf den Selbstwert des oder der anderen. Nicht selten folgt irgendwann körperliche Gewalt. © Getty Images / iStockphoto / tatianazaets
Moderation: Andrea Gerk |
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Häusliche Gewalt war in der Pandemie großes Thema. Doch dass Misshandlungen in Beziehungen oft auch gegen die Seele gerichtet sind, ist kaum bekannt. Autorin Caroline Wenzel zeigt in ihrem Buch „Vom Traum zum Trauma“, wie gefährlich das Phänomen ist.
Überfüllte Frauenhäuser und misshandelte Kinder: Die häusliche Gewalt ist in der Coronapandemie noch mal stark angestiegen. Darüber wurde auch viel berichtet. Was in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen wird, ist, wenn sich die Gewalt nicht gegen den Körper richtet, sondern gegen die Seele. Dabei ist psychische Gewalt in Beziehungen ein schwerwiegendes Problem. Häufig ist in Verbindung damit auch die Rede von toxischen, dysfuntkionalen und destruktiven Beziehungen.
Die Journalistin und Autorin Caroline Wenzel hat sich mit dem Phänomen beschäftigt. „Vom Traum zum Trauma - Psychische Gewalt in Partnerschaften“ heißt ihr Buch. Es hat zwei Teile: Zuerst gibt es drei große Fallbeispiele, bei denen die Betroffenen selbst erzählt haben und Caroline Wenzel das schildert. Es sind zwei Frauen und ein Mann. Im zweiten Teil kommen Expertinnen und Experten zu Wort: eine Ärztin, eine Rechtsanwältin, ein Psychiater.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:

Wie äußert sich psychische Gewalt in Partnerschaften?

Psychische Gewalt sei sehr subtil, sagt Caroline Wenzel. Nach außen hin würden meistens nur kleine Versatzstücke sichtbar. Aber es gebe eine typische Dynamik: „Diese Beziehungen, die von psychischer Gewalt geprägt sind, fangen mit einem riesigen Honeymoon an – nicht nur die übliche Verliebtheit, sondern ein sogenanntes Love Bombing.“ Die Betroffenen sagten, der Partner oder die Partnerin habe sie derartig auf Händen getragen, wie sie es noch nie erlebt haben.
„Und dann, nach einem halben Jahr, nach einem Jahr, fängt es an zu kippen“, schildert Wenzel. „So mit kleinen Nadelstichen, immer mal wieder kleine Bemerkungen, es schleicht sich so eine latente Feindseligkeit ein, die auch die Betroffenen nicht greifen können.“ Das stürze diese dann in eine tiefe Verwirrung und gleichzeitig eine emotionale Abhängigkeit. „Und dann werden diese Angriffe auf den Selbstwert immer stärker und das destabilisiert die Betroffenen.“ Ein Merkmal: Es seien nicht einmalige Ausrutscher oder eine kleine fiese Bemerkung, sondern es gehe an den Kern der Persönlichkeit.
Es sei wirklich eine Abhängigkeit, wie eine Drogenabhängigkeit. So formulierten es auch zwei der Betroffenen in Caroline Wenzels Buch: „Ich fühlte mich wie eine Süchtige, der die Droge weggenommen worden war“, zitiert Wenzel eine der beiden. Und erklärt weiter: „Die Betroffenen hungern immer nach diesem großen Rosarot, nach diesem Honeymoon, der Anfangszeit. Und zwischendurch ist es dann auch immer kurz, mal wieder sehr, sehr nett. Und dann kommt wieder so einen Seitenhieb.“ Die Betroffenen seien abhängig von diesen schönen Momenten. Sie schafften es nicht, sich zu lösen. Es sei auffällig, dass Betroffene 10, 15 Jahre in solchen Beziehungen hängen. Der Mann, eines der Beispiele in ihrem Buch, sogar 18 Jahre.

Hat psychische Gewalt etwas mit körperlicher Gewalt zu tun?

Psychische Gewalt sei ein Indikator für später folgende körperliche Gewalt, erklärt Autorin Caroline Wenzel. „In allen Fällen, wo körperliche häusliche Gewalt passiert, gibt es eine lange Vorgeschichte psychischer Gewalt, oft viele Jahre.“

Und viele Betroffene, die beides erlebt haben, sagten: „Die psychische Gewalt war schlimmer als die Schläge“, berichtet Wenzel.

Wer ist von psychischer Gewalt am meisten betroffen?

Diese Form der Gewalt sei „in allen Schichten gleichermaßen verteilt, sehr häufig auch in Akademikerkreisen“, so Buch-Autorin Caroline Wenzel. „Ich fand es sehr auffallend in meinem Buch: Das sind drei sehr selbst bewusste, beruflich sehr erfolgreiche Menschen, bei denen man eigentlich nicht denkt, dass sie sich die Butter vom Brot nehmen lassen.“ So sei es bei vielen, mit denen sie gesprochen habe.

Ist es bei Männern anders?

Die Beispiele in Caroline Wenzels Buch sind zwei Frauen und ein Mann. Bei dem Mann seien bestimmte Aspekte tatsächlich anders als bei den beiden Frauen. „Ich glaube, die Dunkelziffer ist bei Männern viel höher als bei Frauen, weil die Scham noch größer ist.“ Alle Betroffenen litten unter einer großen Scham und täten sich schwer, sich zu öffnen. „Bei Männern ist das wegen der vorherrschenden Rollenbilder noch einmal schwieriger. Die haben große Angst, als Weichei dazustehen, nicht ernst genommen zu werden, auch bei Behörden übrigens. Und deshalb schweigen sie lieber.“

Gibt es Studien zum Thema?

„Es gibt wenige Studien zu diesem Thema“, fasst Caroline Wenzel zusammen. Meistens werde es lediglich als Begleiterscheinung der körperlichen Gewalt wahrgenommen. „Obwohl die psychische Gewalt die häufigste Form der häuslichen Gewalt ist, wird sie selten getrennt von den anderen Gewaltformen untersucht.“ Es gebe eine große Studie des Robert-Koch-Instituts, allerdings bereits aus dem Jahr 2013. „Da hieß es, jeder Fünfte hat in den letzten zwölf Monaten psychische Gewalt erlebt. Das finde ich vielleicht ein bisschen hoch gegriffen.“ Sehr spannend habe sie aber noch eine andere Zahl gefunden, so Wenzel. „Jeder Zehnte hat zugegeben, in den letzten zwölf Monaten Gewalt ausgeübt zu haben, also psychische Gewalt.“ Doch leider werde zu wenig daran geforscht.
Der Grund dafür sei, dass diese Form der Gewalt nicht richtig wahrgenommen werde. „Und die Auswirkungen werden auch massiv unterschätzt, gerade von Institutionen und Behörden.“ Es könnte sein, dass dahinter die Angst vor Kosten stecke.

Was können Angehörige, Freunde und Betroffene tun?

Wenn man bei jemandem Anzeichen dafür mitbekommt, dass er oder sie unter psychischer Gewalt leiden könnte, sollte man das auf jeden Fall ansprechen und nicht wegschauen, rät Autorin Caroline Wenzel. Aber wichtig sei, dass man es gegenüber den Betroffenen vorsichtig anspricht. „Sie leiden unter großen Schuld- und Schamgefühlen. Sie denken, sie sind selbst schuld daran, dass diese Beziehung so in der Schieflage ist. Das wird ihnen auch immer wieder suggeriert von den Gewaltausübenden.“
Allerdings sei es solchen Beziehungen häufig schwierig, mit einer Person alleine sprechen zu können, weil immer der Partner mit dabei sei – Stichwort: Kontrolle, so Wenzel. Aber wenn es die Chance zu einem Gespräch unter vier Augen gebe: den eigenen Eindruck ansprechen. Man könne der Person auch ein Buch zum Thema in die Hand drücken oder eine ähnliche Geschichte erzählen. Und natürlich: auf Beratungsangebote hinweisen.
Es gibt zahlreiche Beratungsangebote, auch regionale und lokale. Bundesweit erreichbar sind zum Beispiel das Hilfetelefon Gewalt an Frauen und das Hilfetelefon Gewalt an Männern.

Was müsste gesellschaftlich verbessert werden?

„Ich glaube, man müsste im großen Stil schulen“, sagt Caroline Wenzel. „Man müsste all die Behörden, Institutionen, die Menschen an den Gerichten, bei der Polizei, Hausärzte schulen über die typischen Mechanismen dieser Gewaltformen. Denn: „Wenn man genau hinschaut, kann man es erkennen. Aber dazu muss man diese Dynamiken kennen.“
Dazu wären Schulungen zum Beispiel von Familienrichtern sehr sinnvoll. Das werde auch immer wieder gefordert. Oder: „Wenn man die Hausärzte enger mit einbinden würde, könnte man diese Form der Gewalt früher erkennen.“ Das wäre sehr wichtig, da psychische Gewalt ein Indikator ist für später folgende körperliche Gewalt. „Wenn man da früher hinschauen würde, könnte man möglicherweise auch körperliche Gewalt in Partnerschaften oder sogar die Femizide, die jetzt viele Schlagzeilen machen, verhindern.“
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