Psychoaktive Drogen und Praktiken

"Die Suche nach Rausch scheint etwas Ur-Menschliches zu sein"

09:34 Minuten
LSD auf der Zunge eines Mannes.
Psychedelische Wirkstoffe wie LSD können zu spirituellen Erfahrungen führen und das Bewusstsein erweitern. © imago / CSP / Bialasiewicz
Lena Papasabbas im Gespräch mit Christopher Ricke |
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FDP und Grüne wollen Cannabis legalisieren. Auch Rauschzustände mittels Licht, Atemübungen oder Meditation liegen im Trend, beobachtet die Kulturanthropologin Lena Papasabbas. Sie verändern das Selbst und die Gesellschaft.
Christopher Ricke: In unser heutigen Gesellschaft ist der Rausch, in Europa ja meistens der Alkoholrausch, so alltäglich wie auch verpönt. Aber es gibt ja auch den spirituellen Rausch, das Aufgeben des Ichs, die Suche nach der Verbindung mit dem Universum, der großen Kraft, ja - mit Gott.

Selbstoptimierung oder Flucht vor dem Selbst?

Ich habe mit Lena Papasabbas vom Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main gesprochen. Die Kulturanthropologin hat sich in einem sogenannten Zukunftsreport mit Rausch beschäftigt. Frau Papasabbas, wie unterscheiden wir denn am besten zwischen sich einfach zudröhnen und zum anderen etwas für die Bewusstseinserweiterung tun?
Lena Papasabbas: Das ist eine sehr interessante Frage, weil die Sachen ja auch nahe beieinander liegen können. Rausch kann eben mehrere Funktionen haben. Es geht vor allen Dingen darum, was ich damit möchte: Möchte ich mich selbst optimieren, möchte ich das Bewusstsein erweitern – oder möchte ich mich einfach selbst vergessen?
Das ist natürlich an bestimmte Substanzen gebunden, aber man kann auch mit der gleichen Substanz verschiedene Funktionen erfüllen. Beispielsweise wird mikrodosiertes LSD eingesetzt, um sich zu optimieren, kreativer und leistungsfähiger zu machen, aber auch für diese andere Sache der Bewusstseinserweiterung: Damit kann man auch eine total spirituelle Erfahrung haben und sich selber weiterentwickeln.
Ricke: Wenn wir in die Menschheitsgeschichte schauen, da ging es ja nicht um Leistungssteigerung, sondern da geht es auch um Trance, da geht es um Ekstase. Der Rausch gehört ja zur Menschheitsgeschichte dazu.
Papasabbas: Ja, das finde ich auch total spannend. Inzwischen geht man davon aus, dass zu fast jeder Epoche Menschen diesen Rausch gesucht haben. Man findet zum Beispiel auf jedem Kontinent Höhlenmalereien, wo Symbole dargestellt sind, die sehr wahrscheinlich auf den Gebrauch von Psychedelika hinweisen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die haben statt einem Kopf so einen Pilz, und auf der Haut sind auch ganz viele kleine Pilze, die in alle Richtungen wachsen.

Urmenschliches Bedürfnis nach Rausch

Das scheint etwas ganz Ur-Menschliches zu sein, dass man über den Alltag, über das alltägliche Bewusstsein und Empfinden hinaus möchte. Das ist sehr oft verknüpft mit religiösen Erfahrungen, aber heute in der modernen Welt sind ja weniger Leute religiös, da geht es um Selbsterweiterung, um so eine Neo-Spiritualität auch. Das kann ganz unterschiedliche Formen annehmen.
Eine Cannabis Plantage bei Sonnenuntergang.
Eine Legalisierung von Cannabis hätte aus Lena Papasabbas' Sicht positive Effekte: Aufklärung und Risikobewusstsein würden voraussichtlich zunehmen.© unsplash / Matteo Paganelli
Ricke: Jetzt stehen wir in Deutschland wegen der wahrscheinlichen Regierungsbeteiligung von Grünen und FDP möglicherweise vor einer Entkriminalisierung von Cannabisprodukten. Wie schätzen Sie denn da die Auswirkungen auf die Gesellschaft ein?
Papasabbas: Bei Cannabis hat sich ja gezeigt, dass es gar nicht so relevant ist, ob es jetzt legal ist oder illegal. Die Leute konsumieren das so oder so. Ich denke, dass sich natürlich der Kreis von Menschen, die Cannabisprodukte konsumieren, erweitern wird durch die Legalisierung. Das haben wir in den USA erlebt, da gibt es ja Produkte in allen möglichen Formen, vom Mundspray bis zum Gummibärchen kann man da THC-haltige Produkte erwerben. Das führt schon dazu, dass da auch mal andere Leute sind, zum Beispiel eine 45-jährige Hausfrau, die damit sonst nicht so in Kontakt gekommen wäre.

Cannabis: mehr Aufklärung dank Legalisierung

Ich glaube, dass die Legalisierung nicht so viel daran ändert, dass Leute die Droge konsumieren. Ein positiver Effekt, der sich aber einstellen kann, ist, dass mehr Aufklärung geleistet wird, dass Kinder schon in der Schule mehr verstehen: Was ist das eigentlich für eine Droge, was gibt es für Risiken, was macht die mit mir, ab wann ist ein Konsum bedenklich, wann muss ich mir Sorgen machen, wie gehe ich damit um? Ich sehe das eher als etwas, das positive Effekte auf die Gesellschaft haben wird.
Ricke: In der Leistungsgesellschaft, in der Arbeitswelt hat ein Rausch natürlich nichts verloren, dafür rutscht er dann ein bisschen an den Tagesrand oder ins Wochenende. Ich bin jetzt doch noch mal bei der großen Droge in Deutschland, beim Alkohol. Nach einem stressigen Tag sich selber mit ein, zwei Bier runterregulieren – das kennen wahrscheinlich viele. Wie schauen Sie denn auf dieses Verhalten als Kulturanthropologin?
Papasabbas: Der Alkohol ist da das Mittel der Wahl. Das liegt vor allen Dingen daran, weil es bei uns kulturell so stark verankert ist, angefangen von der Bibel bis hin zum Oktoberfest ist das ein ganz wichtiger Teil von vielen europäischen Kulturen. Und es wird ja auch nicht in irgendeiner Weise als verpönt angesehen.

Alkohol: Droge oder Genussmittel?

Wenn ich sagen würde, 'ach ja, am Wochenende kokse ich mir erst mal ein paar Lines, dann geht es mir erst richtig gut, dann komme ich erst runter' – das wäre ja total undenkbar in sehr vielen Kreisen. Alkohol wird eigentlich gar nicht so als Droge gesehen, sondern vielmehr als Genussmittel. Dadurch kommt es zustande, dass wir das als komplett normal empfinden – und natürlich dadurch, dass es legal ist.
"No Alcohol No Drugs" Schild an einer Strasse in Australien.
Unterschätzte Gefahr: Alkohol gilt als Genussmittel, doch die negativen Folgen der Droge für die Gesellschaft sind immens.© imago / fStop Images / Tobias Titz
Ob das jetzt gut oder schlecht ist, eine Substanz an sich ist ja nicht gut oder schlecht, das würde ich mit einigen Ausnahmen behaupten – es gibt schon Substanzen, die, glaube ich, sehr schädlich sind, aber an sich ist es nicht die Substanz, die das ausmacht.
Alkohol ist für unsere Gesellschaft sehr, sehr schädlich: Sehr viele Leute sterben daran, sehr viele Verbrechen werden begangen, Gewalt, Autounfälle, das ist Fakt. Wenn man es so sehen würde, wenn man sich die Zahlen anschaut, müsste man sagen: Das müsste illegal sein, diese Droge schadet uns ganz stark als Gesellschaft.
Aber auf der anderen Seite ist es ja auch so, dass ganz viele Leute davon profitieren. Das ist eine sehr schöne Partydroge, es hat schöne Effekte, es hat einen schönen Enthemmungsfaktor. Also, es ist wirklich die Frage: Wie geht man damit um als Gesellschaft und auch als Individuum?

Trance durch Meditation, Licht oder Atemtechnik

Ricke: Schauen wir noch mal in den spirituellen Bereich: Wenn man sein Bewusstsein erweitern will, das Ego aufgeben, eins sein will, ganz im Jetzt sein will, wenigstens für kurze Zeit, das geht ja auch ohne Drogen – mit Meditation zum Beispiel, mit Kontemplation, im Gebet. Es ist natürlich einfacher, sich mit irgendwelchen Substanzen "meditieren zu lassen", als sich selber hinzusetzen und sich zu versenken. Sind solche Meditationszustände nach Ihrer Definition, solche Trancezustände, auch Rausch?
Papasabbas: Ja. Rausch ist ja total offen definiert, Rausch kann ja diese ganzen verschiedenen Zustände meinen. Und ja: Es gibt diese Möglichkeiten, einen nicht durch Substanzen induzierten Rausch herzustellen. Sie haben schon gesagt, Meditieren ist natürlich super langwierig, da muss man dranbleiben, das schafft auch nicht jeder, da ist die Abkürzung durch eine Pille oder eine Pappe natürlich sehr verlockend.
Lena Papasabbas, mit halblangem dunklem Haar, in einem dunkelblauen Hemd, hat die Finger beider Hände ineinander verschränkt und schaut freundlich in die Kamera.
Immer mehr meditieren, immer mehr nehmen Drogen: Lena Papasabbas beobachtet ein verstärktes Interesse an den unterschiedlichsten Rauschzuständen.© Wolfgang Schmidt
Aber es gibt auch andere Möglichkeiten wie durch bestimmtes Licht, da gibt es Lampen, die können LSD-artige Zustände erzeugen, oder durch bestimmte Atemtechniken, holotropes Atmen nennt man das, die auch totale Rauschwirkungen haben können. Das ist schon spannend.

Zunahme aller Formen von Rausch

Und spannend finde ich auch, dass eigentlich jede Form von Rausch zunimmt. Es ist nicht so, dass man sagen kann, wir sehen einen Zuwachs nur an Opiaten oder Cannabis oder aufputschenden Mitteln oder von nicht durch Drogen induzierten Räuschen, sondern alle diese Formen nehmen zu. Die Menschen sind insgesamt gerade sehr interessiert dabei, natürlich gibt es durch das Internet auch viel mehr Möglichkeiten, viel mehr Zugänge. Aber alle von Ihnen angesprochenen Arten von Rausch nehmen zu, werden populärer, interessanter für immer mehr Leute.
Ricke: Was hat denn die Arbeit am Thema Rausch mit Ihnen ganz persönlich gemacht? Konsumieren Sie jetzt bewusster, mehr denn je, weniger – oder geht es sogar in Richtung Askese?
Papasabbas: Es hat sehr viel auch mit mir gemacht: Erst mal die Erkenntnis, dass die Frage, ob eine Substanz legal ist, gar nichts damit zu tun hat, ob die Substanz für mich schädlich ist oder nicht. Das fand ich eine sehr interessante Erkenntnis, weil man ja irgendwie doch von einem Zusammenhang ausgeht, dass man irgendwie denkt: Okay, was verboten ist, ist schlecht, und was erlaubt ist, ist irgendwie weniger schädlich. Das würde ich jetzt so gar nicht mehr unterschreiben, das sind ganz andere, oft auch wirtschaftspolitische Hintergründe, die dazu führen.

Berauschende Blumen, psychoaktive Baumrinde

Ja, bewusster auf jeden Fall: Ich sehe zum Beispiel Alkohol jetzt auch mehr als eine Droge an, was interessant ist, das wirklich auch nochmal so zu betrachten. Insgesamt bin ich auch sehr neugierig geworden durch die Erkenntnis: Jede Kultur hat ihre Drogen, hat ihre Rauschmittel – mit verschiedenen Settings, verschiedenen Funktionen, Zeremonien, Substanzen. Das finde ich sehr, sehr spannend.
Wir in Europa kennen das gar nicht so. Man denkt, es gäbe irgendwie Cannabis, Koks, Alkohol und MDMA. Aber es gibt noch eine unglaubliche Vielzahl an verschiedenen Kräutern, Baumrinden, Blumen und was weiß ich, ganz viele Sachen, die auch total interessante Zustände herbeiführen und verschiedene Funktionen in Gesellschaften haben, sehr oft eben auch religiöse, spirituelle.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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