Psychogramm einer gnadenlosen Opportunistin
Coco Chanel, die Erfinderin des "Kleinen Schwarzen", ist vor allem als Vorkämpferin der weiblichen Emanzipation bekannt, doch Hal Vaughan entlarvt die Modeschöpferin als karrierebesessene Frau, die vor nichts zurückschreckte - auch nicht vor einer Zusammenarbeit mit den Nazis.
Der Plan mit dem Codenamen "Modellhut" klingt wie ein schlechter Scherz, doch der amerikanische Journalist und ehemalige Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes der USA, Hal Vaughan, kann ihn belegen. In akribischer Kleinarbeit hat er teilweise unveröffentlichtes Material aus Archiven zahlreicher Länder zusammen getragen, Protokolle und Fotografien ausgewertet, Interviews mit Zeitzeugen geführt.
Chanels Kollaboration beginnt 1940 im besetzten Frankreich, als ihr Neffe André Palasse als Kriegsgefangener verschleppt wird. Chanel knüpft Kontakte zum Vichy-Regime und beginnt eine Affäre mit dem deutschen "Meisterspion" Baron Hans Günther von Dincklage.
Mit Dincklages Vermittlung reist sie zweimal für die deutsche Abwehr nach Spanien – doch nicht ohne Gegenleistung. 1941 kommt André Palasse frei, 1943 wird ihre Freundin Vera Bate Lombardi aus einem Internierungslager entlassen. Chanel ist für die Nationalsozialisten wegen ihrer Verbindungen zum britischen Königshaus interessant: Als langjährige Geliebte des Herzogs von Westminster verbindet sie auch eine enge Freundschaft mit Winston Churchill.
Chanel nutzt die antisemitische Ideologie der Nazis aber auch zur persönlichen Bereicherung und versucht ihr Parfümgeschäft zu "arisieren", indem sie ihre jüdischen Geschäftspartner aus dem Vertrag drängt. Chanels Antisemitismus (sowie der Verdacht der Kollaboration) ist daher altbekannt: 1944 wurde Chanel vor Gericht geladen. Bei einem Verhör zwei Jahre später stritt sie jedoch alle Vorwürfe als "Hirngespinste" ab. Die Modemacherin wurde nie verurteilt. Es heißt, Chanel habe ihre Freiheit Churchill zu verdanken.
Vaughans Biographie zeichnet chronologisch Chanels Metamorphose vom mittellosen Waisenkind zur Stilikone des 20. Jahrhunderts nach. Packend erzählt er in der Tradition des "New Journalism" Chanels Aufstieg, der durch die Betten wichtiger Männer und Frauen führt - mit deren Hilfe sich Chanel systematisch Zugang zum britischen Hochadel, der Pariser Bohème und ranghohen Nazis verschaffte.
Nie zuvor hat ein Chanel-Biograph derart umfangreiche Recherchen über ihre Nazi-Vergangenheit angestellt; zahlreiche Fotos, Geheimprotokolle oder Abbildungen wie Chanels Karteikarte des deutschen Geheimdienstes sind eindrückliche Belege für Vaughans Enthüllungen.
Doch je mehr Fakten Vaughan über die Nazi-Agentin Chanel heranzieht, desto nebulöser wird ihr Fall. Ob Chanel eine überzeugte Nationalsozialistin war, kann auch Vaughans Skandal-Biografie nicht klären. Sein Buch liefert vielmehr das Psychogramm einer gnadenlosen Opportunistin, die für ihr Geschäft über Leichen ging. Spannend wie ein Krimi, unglaublich wie ein böses Märchen.
Rezensiert von Tabea Grzeszyk
Hal Vaughan: Coco Chanel. Der Schwarze Engel. Ein Leben als Nazi-Agentin
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Jendricke, Gerline Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß
Hoffmann und Campe, Hamburg 2011
415 Seiten, 22,99 Euro
Chanels Kollaboration beginnt 1940 im besetzten Frankreich, als ihr Neffe André Palasse als Kriegsgefangener verschleppt wird. Chanel knüpft Kontakte zum Vichy-Regime und beginnt eine Affäre mit dem deutschen "Meisterspion" Baron Hans Günther von Dincklage.
Mit Dincklages Vermittlung reist sie zweimal für die deutsche Abwehr nach Spanien – doch nicht ohne Gegenleistung. 1941 kommt André Palasse frei, 1943 wird ihre Freundin Vera Bate Lombardi aus einem Internierungslager entlassen. Chanel ist für die Nationalsozialisten wegen ihrer Verbindungen zum britischen Königshaus interessant: Als langjährige Geliebte des Herzogs von Westminster verbindet sie auch eine enge Freundschaft mit Winston Churchill.
Chanel nutzt die antisemitische Ideologie der Nazis aber auch zur persönlichen Bereicherung und versucht ihr Parfümgeschäft zu "arisieren", indem sie ihre jüdischen Geschäftspartner aus dem Vertrag drängt. Chanels Antisemitismus (sowie der Verdacht der Kollaboration) ist daher altbekannt: 1944 wurde Chanel vor Gericht geladen. Bei einem Verhör zwei Jahre später stritt sie jedoch alle Vorwürfe als "Hirngespinste" ab. Die Modemacherin wurde nie verurteilt. Es heißt, Chanel habe ihre Freiheit Churchill zu verdanken.
Vaughans Biographie zeichnet chronologisch Chanels Metamorphose vom mittellosen Waisenkind zur Stilikone des 20. Jahrhunderts nach. Packend erzählt er in der Tradition des "New Journalism" Chanels Aufstieg, der durch die Betten wichtiger Männer und Frauen führt - mit deren Hilfe sich Chanel systematisch Zugang zum britischen Hochadel, der Pariser Bohème und ranghohen Nazis verschaffte.
Nie zuvor hat ein Chanel-Biograph derart umfangreiche Recherchen über ihre Nazi-Vergangenheit angestellt; zahlreiche Fotos, Geheimprotokolle oder Abbildungen wie Chanels Karteikarte des deutschen Geheimdienstes sind eindrückliche Belege für Vaughans Enthüllungen.
Doch je mehr Fakten Vaughan über die Nazi-Agentin Chanel heranzieht, desto nebulöser wird ihr Fall. Ob Chanel eine überzeugte Nationalsozialistin war, kann auch Vaughans Skandal-Biografie nicht klären. Sein Buch liefert vielmehr das Psychogramm einer gnadenlosen Opportunistin, die für ihr Geschäft über Leichen ging. Spannend wie ein Krimi, unglaublich wie ein böses Märchen.
Rezensiert von Tabea Grzeszyk
Hal Vaughan: Coco Chanel. Der Schwarze Engel. Ein Leben als Nazi-Agentin
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Jendricke, Gerline Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß
Hoffmann und Campe, Hamburg 2011
415 Seiten, 22,99 Euro