Psychogramme aus Mexiko
Die Korruption, der Machismo, die Gewalt: Die sechzehn Erzählungen im Buch "Alle glücklichen Familien" sind klassische Carlos-Fuentes-Themen. Der berühmte alte Mann der mexikanischen Literatur versucht, die Realität im Land von innen aus Perspektive der Familien zu schildern. Doch die Texte klingen beinahe wie Imitate, als zitiere Fuentes sich selbst - den jüngeren, wütenderen und so viel kühneren Autor von vor 50 Jahren.
In sechzehn Erzählungen versucht Carlos Fuentes, der berühmte alte Mann der mexikanischen Literatur, mexikanische Realität von innen zu schildern, ihre Fehler, ihre Brüche, ihre Mängel sichtbar zu machen.
Es sind Familiengeschichten. Und Fuentes breitet sie aus, als wolle er belegen, dass die Familie wirklich und wahrhaftig die Keimzelle des Staates sei.
Die Themen sind die klassischen Fuentes-Themen: die Korruption, der Machismo, die Unterwerfung der Frauen, die Gewalt, die endemische Armut, der unrechtmäßig erworbene Reichtum. Dass dies alles der mexikanischen Realität entspricht, kann man auch in den Zeitungen lesen, nur dass es dort viel genauer steht: Der trockene und arme Norden des Landes, also das Grenzgebiet zu den USA, wird von Drogenkartellen kontrolliert und zerstört. Gesetzlosigkeit, Mord und Totschlag herrschen in einem Ausmaß, dass man nicht mehr von einem funktionierenden Staat sprechen kann.
Eine der wesentlichen Ursachen ist eine Regierung, die sich seit vielen Jahrzehnten auf ein quasi Einparteiensystem stützt und den Raubtierkapitalismus der Gegenwart für sich zu nutzen wusste. Der zweitreichste Mann der Welt ist Mexikaner und besitzt praktisch das gesamte nationale Telefonsystem.
Aber diese Ereignisse und Fakten kommen bei Fuentes nicht vor. Er spiegelt die gesellschaftliche Realität
ausschließlich im Familienleben, und da ist dann der Haustyrann eben auch der erfolgreiche, weil rücksichtslose Unternehmer. Ein Arbeitsloser ist der einzig Ehrliche in einem korrupten Betrieb gewesen, der Priester versucht seine nicht anerkannte Tochter zu missbrauchen und so weiter. Dazwischen, in chorischen Gesängen, die fast wie Parodien auf die Literatur der 1960er Jahre wirken, erheben Straßenkinder und Obdachlose ihre Stimmen.
Das Gesamtergebnis sind mit dem Holzhammer gravierte Psychogramme und Soziogramme, die vor allem eins beweisen: die guten linken Absichten des Autors. Diese Texte klingen beinahe wie Imitate, als zitiere der fast 80-jährige Carlos Fuentes sich selbst - den jüngeren, wütenden und literarisch so viel kühneren Autor, der einmal so funkelnde Bücher schrieb wie "Landschaft in klarem Licht". Das ist jetzt 50 Jahre her.
Rezensiert von Katharina Döbler
Carlos Fuentes: Alle glücklichen Familien
Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen,
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008,
416 Seiten, 22,90 Euro
Es sind Familiengeschichten. Und Fuentes breitet sie aus, als wolle er belegen, dass die Familie wirklich und wahrhaftig die Keimzelle des Staates sei.
Die Themen sind die klassischen Fuentes-Themen: die Korruption, der Machismo, die Unterwerfung der Frauen, die Gewalt, die endemische Armut, der unrechtmäßig erworbene Reichtum. Dass dies alles der mexikanischen Realität entspricht, kann man auch in den Zeitungen lesen, nur dass es dort viel genauer steht: Der trockene und arme Norden des Landes, also das Grenzgebiet zu den USA, wird von Drogenkartellen kontrolliert und zerstört. Gesetzlosigkeit, Mord und Totschlag herrschen in einem Ausmaß, dass man nicht mehr von einem funktionierenden Staat sprechen kann.
Eine der wesentlichen Ursachen ist eine Regierung, die sich seit vielen Jahrzehnten auf ein quasi Einparteiensystem stützt und den Raubtierkapitalismus der Gegenwart für sich zu nutzen wusste. Der zweitreichste Mann der Welt ist Mexikaner und besitzt praktisch das gesamte nationale Telefonsystem.
Aber diese Ereignisse und Fakten kommen bei Fuentes nicht vor. Er spiegelt die gesellschaftliche Realität
ausschließlich im Familienleben, und da ist dann der Haustyrann eben auch der erfolgreiche, weil rücksichtslose Unternehmer. Ein Arbeitsloser ist der einzig Ehrliche in einem korrupten Betrieb gewesen, der Priester versucht seine nicht anerkannte Tochter zu missbrauchen und so weiter. Dazwischen, in chorischen Gesängen, die fast wie Parodien auf die Literatur der 1960er Jahre wirken, erheben Straßenkinder und Obdachlose ihre Stimmen.
Das Gesamtergebnis sind mit dem Holzhammer gravierte Psychogramme und Soziogramme, die vor allem eins beweisen: die guten linken Absichten des Autors. Diese Texte klingen beinahe wie Imitate, als zitiere der fast 80-jährige Carlos Fuentes sich selbst - den jüngeren, wütenden und literarisch so viel kühneren Autor, der einmal so funkelnde Bücher schrieb wie "Landschaft in klarem Licht". Das ist jetzt 50 Jahre her.
Rezensiert von Katharina Döbler
Carlos Fuentes: Alle glücklichen Familien
Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen,
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008,
416 Seiten, 22,90 Euro