Der DJ mit der musikalischen Armprothese
10:08 Minuten
Bertolt Meyer erzeugt Musik durch seine Gedanken. Er fand einen Weg, seine Armprothese mit dem Synthesizer zu verbinden. Jetzt steuert er Klänge, Rhythmen und Effekte mit Impulsen seiner Muskeln.
Wenn Bertolt Meyer nicht gerade an der TU Chemnitz unterrichtet, wo er Professor für Psychologie ist, dann tritt er als DJ in Techno-Clubs auf und spielt tanzbare Live-Elektronik. Dabei hat ihn schon oft gestört, dass die Knöpfe und Regler des Synthesizers mit seiner linken Hand so schwer zu bedienen sind.
Sechs Motoren steuern seine Hand
Denn Bertolt Meyer wurde ohne linken Unterarm geboren und trägt eine Prothese, die von Muskelsignalen aus seinem Arm gesteuert wird. Seine von sechs Elektromotoren gesteuerte bionische Hand kann zwar viele Bewegungen präzise ausführen, aber beim hin und her Springen auf dem filigranen Schaltpult kommt die High-Tech-Prothese an ihre Grenzen.
"Ich bin häufig nicht so direkt und nicht so schnell wie meine Kolleginnen und Kollegen mit zwei Händen", sagt Meyer. Zusammen mit einem Berliner Entwickler für elektronische Instrumente hat er deshalb ein Gerät erfunden, das die Impulse seiner Muskeln für die Klangerzeugung nutzt:
"Ich kann ein Kabel direkt von meiner Prothese in meinen Synthesizer stecken, und dann steuern die Muskelströme, die normalerweise meine Hand steuern, den Synthesizer."
Zusammenspiel von Mensch und Maschine
Verschiedene Parameter wie Tonhöhe, Takt und Tempo oder der Einsatz von Effekten werden so beeinflusst. Auf diese Weise kann der DJ Melodie und Rhythmus der Live-Elektronik direkt gestalten, ohne dass er an Knöpfen drehen muss.
Wie seine Gedanken die Musik erzeugen, sei schwer zu beschreiben, sagt Meyer. Denn vieles davon geschehe unbewusst:
"Es ist im Grunde derselbe Gedanke, der meine Hand normalerweise öffnet, wenn ich die Prothesenhand anstelle dieses Konverters trage. Diese Art von Prothese trage ich jetzt seit zwanzig Jahren. Es ist mir so in Fleisch und Blut übergegangen, diese Muskelsignale zu erzeugen, dass ich da nicht darüber nachdenken muss. Ich mache das einfach."
Bis zum ersten Auftritt braucht es noch Übung
Der Prototyp, den Meyer selbst zusammengelötet hat, existiert erst seit zwei Wochen. "Ich bin selbst immer noch fasziniert, dass es funktioniert", sagt er. "Bis ich mich traue, mich damit auf die Bühne eines Clubs zu stellen, brauche ich noch eine Menge Übung. Aber es wird hoffentlich sehr bald passieren."
Im Augenblick sei all das noch Spielerei. Aber Meyer denkt schon weiter. "Für mich ist es erst ein Schritt in die Richtung, mein Handicap in ein Asset umzumünzen. Ich hoffe natürlich, dass ich, was die Unmittelbarkeit angeht, vielleicht sogar einen kleinen Vorteil rausholen kann."
Das Ziel: Eine Bauanleitung für Interessierte
Sobald der Prototyp getestet und weiterentwickelt ist, möchte Meyer seine Erfindung auch anderen zur Verfügung stellen:
"Das Ziel ist, daraus ein fertiges Produkt zu machen und das dann zu veröffentlichen als ein DIY-Projekt in einer Public Domain, so dass sich Leute, die es auch betrifft und die davon profitieren könnten, selber Bauteile besorgen können, um es nachzubauen."
(fka)