Raser zeigen kein Schuldbewusstsein
Mit 160 km/h über rote Ampen: Junge Verkehrsrowdys liefern sich mitten in der Stadt illegale Autorennen und gefährden dabei das Leben Unbeteiligter. Zwei von ihnen stehen jetzt in Berlin vor Gericht. Der Verkehrspsychologe Heiko Ackermann fordert bessere Präventionsmaßnahmen.
Der Verkehrspsychologe Haiko Ackermann hält junge Männer, die das Leben unbeteiligter Menschen durch illegale Autorennen gefährden, für hochgefährlich und fordert bessere Präventionsmaßnahmen.
Wenn mit 160 Stundenkilometer durch die Innenstadt gefahren werde "ist das ja eine absolute Gefährdung", sagte Ackermann im Deutschlandradio Kultur. Bei den zumeist jungen Männern, die mit getunten Autos durch Innenstädte rasen und dabei in Kauf nehmen, unbeteiligte Menschen zu töten oder schwer zu verletzen handele es sich zwar um eine ganz kleine "aber hochproblematische Gruppe."
Ohne Schuldbewusstsein
Problematisch sei, dass diese "überhaupt nicht bereit sind, anzuerkennen, dass sie selber die Gefährder sind und die Täter. Das genau das Phänomen, dass die Schuld bei anderen gesucht wird", sagte der Verkehrspsychologe mit Blick auf den in Berlin verhandelten Falls, bei dem sich nach einem illegalen Autorennen mit einem Toten zwei Männer vor Gericht verantworten müssen. Dabei müssen sich die Angeklagten wegen Mordes und nicht wie sonst häufig lediglich wegen fahrlässiger Tötung verantworten.
Die Entwicklung müsse sehr genau beobachtet werden, "weil wir alle geschützt werden müssen vor solchen Menschen", forderte der Fachpsychologe und Gründer des Instituts für Verkehrspsychologie Plan B in Berlin. Neben stärkeren Sanktionen hält Ackermann vor allem präventive Maßnahmen für angebracht: Dazu zähle auffälligen Fahrern langfristig den Führerschein zu entziehen oder diese vermehrt zu medizinisch-psychologischen Begutachtungsstellen zu schicken. Denkbar sei auch eine PS-Begrenzung bei Pkw, ähnlich wie bei Motorrädern oder die generelle Einführung eines begleiteten Fahrens für junge Leute zwischen 18 und 19 Jahren.
Abschreckung durch mögliche Verurteilung wegen Mordes ?
An die abschreckende Signalwirkung einer möglichen Verurteilung wegen Mordes im aktuellen Berliner Fall, glaubt Ackermann dagegen nicht: "Letztendlich müssen wir berücksichtigen, dass die meisten davon ausgehen, ähnlich wie ein Bankräuber, nicht erwischt zu werden."
Das Interview im Wortlaut:
Julius Stucke: Männer und Autos, das ist eine Kombination, die einem nicht immer das Gefühl gibt, wir Menschen sind die Krone der Schöpfung. In Berlin wird seit einiger Zeit der Fall eines illegalen Autorennens verhandelt, der besonders traurig ist, weil ein unbeteiligter Mann dabei gestorben ist. Zwei junge Männer rasten vor etwa einem Jahr mitten durch die Innenstadt, mindestens 160 Stundenkilometer, vielleicht sogar mehr, etliche rote Ampeln, bis es dann zum Unfall kommt, bis ein Mann in seinem Auto stirbt, der bei Grün auf die Kreuzung kommt und einfach weggerast wird. Das ist ein Fall, der Schlagzeilen gemacht hat, auch weil die Staatsanwaltschaft hier ungewöhnlicherweise auf Mord plädiert hat, aber egal wie das Urteil ausfällt, ist die Frage, ändert das was am Verhalten von jungen rasenden Männern. Einer der Angeklagten hat schon etliche Verkehrsvergehen auf dem Konto, musste den Führerschein schon mehrfach abgeben. Es hat ihn aber offensichtlich nicht daran gehindert, weiterzurasen wie verrückt. Haiko Ackermann ist Fachpsychologe für Verkehrspsychologie. Schönen guten Morgen hier im "Studio 9", Herr Ackermann!
Haiko Ackermann: Ja, schönen guten Morgen!
Stucke: Der notorische Raser und der Teilnehmer an so illegalen Rennen – welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Sind das oft ähnliche Typen?
Ackermann: Das sind junge Männer in aller Regel zwischen 18 und 25 bis 28, die in aller Regel beruflich nicht gefestigt sind, noch auf der Suche sind, sich ausprobieren, sich die sogenannten Hörner abstoßen und in diesen Straßenrennen ihre Erfüllung finden, weil der Thrill da ist und die Selbstbestätigung.
Stucke: Das heißt, da wird schon gezielt die Gefahr gesucht.
"Es wird der Thrill gesucht"
Ackermann: Es wird der Thrill gesucht, und das beinhaltet natürlich die Gefahr. Also andere Menschen machen Paragliding oder fahren Ski und suchen den Thrill, und diese jungen Leute tun das mit ihrem Fahrzeug.
Stucke: Gehört dazu denn auch der Moment, dass diesen Männern bewusst wird, sie können dabei nicht nur sich selbst, sondern auch andere verletzen oder sogar töten?
Ackermann: Also das ist sicher nicht vordergründig ein Motiv. Das ist sicherlich latent mit vorhanden diese Überlegung. Man muss aber berücksichtigen, dass diese jungen Leute so sehr von ihren Fahrkünsten und Fahrfähigkeiten überzeugt sind, dass ein Unfall oder die Gefährdung anderer Personen überhaupt nicht in Betracht gezogen wird, quasi ausgeblendet wird.
Stucke: Wenn es dann zu so einem Fall kommt wie jetzt dem, der in Berlin verhandelt wird, dann trifft man in diesem Fall auf ja eigentlich ein gänzliches Nichteingestehen oder Nichtanerkennen der Schuld. Ist das auch ein häufiges Muster, dass man dann, wenn es eben doch zu einem Unfall kommt trotz der großartigen Fahrkünste, dass man dann keine Schuld bei sich sieht?
Ackermann: Also zunächst ist es so, dass die im Prozess beteiligten Beschuldigten natürlich Schuld abstreiten, um der Strafe zu entgehen, aber generell ist das genau das Phänomen, dass die Schuld bei anderen gesucht wird, dass die selber überzeugt sind von ihren Künsten und überhaupt nicht bereit sind, anzuerkennen, dass sie selber die Gefährder sind und die Täter.
Stucke: Jetzt ist das ja deshalb – ich habe es vorhin gesagt – so ein besonderer Fall, weil die Staatsanwaltschaft da gesagt hat, wir wollen hier auch ein Zeichen setzen, wir sagen das war Mord, weil eben diese gefährliche Tatwaffe Auto bewusst eingesetzt wurde oder in Kauf genommen wurde, dass dabei jemand stirbt. Glauben Sie, so ein Urteil könnte etwas helfen, könnte abschreckende Wirkung haben oder müssen wir einfach aus der Vergangenheit sehen, es wird immer Menschen geben, die, wie Sie sagen, sich die Hörner abstoßen wollen und diese Rasereien betreiben?
"Strafe ist nicht das einzige Mittel"
Ackermann: Also das ist sicher doppelt zu sehen: Einerseits hat eine solche Verurteilung, wenn sie denn kommen sollte, natürlich schon Wirkung auf diese Szene, aber letztendlich müssen wir berücksichtigen, dass die meisten davon ausgehen, ähnlich wie ein Bankräuber, nicht erwischt zu werden, sonst würde ja diese Tat nicht begangen werden. Also ich fürchte, auf Dauer wird das vergessen werden und die Szene wird sich weiter ausbreiten. Also Strafe ist nicht das einzige Mittel.
Stucke: Sie kennen es als Verkehrspsychologe aber doch sicherlich, diese Fälle, wo sozusagen auch die bereits erfolgte Strafe und Verurteilung, Führerscheinentzug mal hier für einen Monat, mal da für ein halbes Jahr trotzdem nichts am Verhalten ändert, oder?
Ackermann: Ja, sowas gibt es, solche Fälle. Die müssen dann zur Verkehrstherapie. Ich sage aber ganz ehrlich, in der Regel wächst sich das raus irgendwann. Die jungen Leute werden älter, das sind ja keine Monster. Die gründen Familien, heiraten, kriegen Kinder und werden ruhiger und können sich dann auch besser in andere Menschen einfühlen. Es geht ja häufig darum, dass die Empathie, also das Einfühlen in andere Menschen nicht vorhanden ist und deswegen solche Taten realisiert werden.
Stucke: Nun können wir natürlich trotzdem nicht sagen, gut, dann entspannen wir uns einfach, warten bis alle älter geworden sind, weil immer wieder Junge nachkommen. Was können wir tun?
"PS-Begrenzung"
Ackermann: Also die Frage ist völlig berechtigt. Es müssen Sanktionen, es müssen Bestrafungen her, die Gesellschaft muss sich abgrenzen gegenüber einem solchen Tun, und man muss überlegen, wie es in der Schweiz häufig der Fall ist, dass junge Fahrer, wenn sie häufiger auffallen, ja Führerscheinentzug bekommen oder sie zur MPU geschickt werden, was die Berliner Führerscheinstelle ganz häufig macht, als Inhaber der Fahrerlaubnis zur medizinisch-psychologischen Begutachtung, damit rausgefiltert werden kann, ob die sich mit ihrem Delikt auseinandergesetzt haben oder nicht, oder eine PS-Begrenzung bei PKWs ähnlich wie bei Motorrädern.
Stucke: Jetzt haben Sie gesagt, das sind auch Menschen, die keine Monster sind, die irgendwann älter werden, das wächst sich raus. Jetzt habe ich trotzdem ein bisschen den Eindruck, es ist vielleicht gerade im Straßenverkehr so ein generelles Verhaltens- und Regelproblem, dass man auch im völlig ungefährlichen Teil sagt, ja gut, wo ich jetzt parke, das ist jetzt auch nicht so schlimm, ob ich jetzt telefoniere beim Fahren, ob ich irgendwie die Ampel dann doch mal bei Rot nehme – haben wir im Straßenverkehr psychologisch gesehen generell einen falschen Umgang mit Regeln?
Ackermann: Also das würde ich nicht verallgemeinern. Natürlich ist das Führen eines Kraftfahrzeuges dazu geeignet, Regeln zu übertreten, sich auszuleben und sich selber zu erhöhen, das Selbstwertgefühl, aber es ist zu beobachten, auch in Flensburg, dass die Eintragungen zurückgehen und dass diejenigen, die mit mehreren Punkten belastet sind, wirklich die extreme Minderheit bilden. Nur solche spektakulären Fälle wie die im Februar letzten Jahres beeinflussen uns natürlich in der Wahrnehmung, aber es handelt sich um eine ganz kleine hochproblematische Gruppe von Menschen.
Stucke: Würden Sie sagen, eine ganz kleine hochproblematische Gruppe, die wir nicht ignorieren, aber wo wir sagen können, das wird vielleicht auch zu sehr hochgezogen?
"Eine absolute Gefährdung"
Ackermann: Nein, das wird nicht zu sehr hochgezogen. Es ist ja eine absolute Gefährdung, und wenn man liest, dass am Kudamm mit 160 gefahren wird, dann ist das ja … dann stellt man sich ja völlig abseits der Gesellschaft, und das muss sehr genau beobachtet werden, weil wir alle geschützt werden müssen vor diesen Menschen.
Stucke: Gibt es neben der Möglichkeit, stärkere Strafen durchzusetzen, auch die Möglichkeit, irgendwie vorab präventiv zu wirken auf diese Männer?
Ackermann: Also präventiv sicher, also in den Fahrschulen wird es schon getan, wobei solche Delikte ja nicht passieren, weil die Regeln nicht bekannt sind, sondern weil die Bereitschaft besteht, die Regeln zu übertreten. Da könnte man zum Beispiel generell ein begleitetes Fahren zwischen 18 und 19 Jahren installieren, dass Leute nur dann fahren können, wenn ein älterer erfahrener Fahrer neben ihm sitzt, der keine Punkte hat. Das ist ein gutes Instrument, was es heute ja schon gibt mit 17-einhalb, damit diese jungen Leute ganz normal auf ein defensives Fahren vorbereitet werden.
Stucke: Sagt der Psychologe für Verkehrspsychologie Haiko Ackermann. Vielen Dank für den Besuch hier im Studio!
Ackermann: Ja, danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.