Douwe Draaisma: "Wie wir träumen"
Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer
Galiani Verlag, Berlin 2015
320 Seiten, 22,99 Euro
Das wissen wir über Träume
Der Psychologiehistoriker Douwe Draaisma hat auf hohem Niveau alles über Inhalte und Symbolwelten von Träumen zusammengetragen. In "Wie wir träumen" gibt er einen Abriss über Geschichte und aktuelle Forschung zu allem von Alb- bis Sexträumen. Er erklärt sogar, warum Blinde ihre Träume in den gleichen Worten wie Sehende beschreiben.
Er habe um Bücher über Träume immer einen großen Bogen gemacht, erzählt der Psychologiehistoriker Douwe Draaisma im Vorwort seines neuen Buches "Wie wir träumen". Traumdeutungsbücher seien ihm zu esoterisch, während es in wissenschaftlichen Abhandlungen von Hormonspiegeln und elektrischen Strömen wimmele - das Eigentliche des Träumens aber, seine abgründigen und glückseligen Fantasiekonglomerate, kämen darin nicht vor.
Wie schön, dass Douwe Draaisma, der in den Niederlanden für sein schriftstellerisches Talent mit einer ganzen Reihe angesehener Literaturpreise ausgezeichnet wurde, seine Abneigung in die Entscheidung verwandelt hat, dem Traumbuch-Genre nun ein eigenes Werk hinzuzufügen. Darin wagt er etwas, das es seit Sigmund Freud in der Tat selten auf hohem Niveau gegeben hat: Er befasst sich ausschließlich mit den Inhalten und Symbolwelten des Träumens und trägt in zwölf wunderbaren Kapiteln zusammen, was die Forschung heute weiß über Albträume und Flugträume, Sexträume und Prüfungsträume, Träume vom Fliegen und Träume vom Nacktsein, Träume in Farbe oder Schwarzweiß, luzide Träume, bei denen sich der Träumer in einem seltsamen Bewusstseinsshift des eigenen Träumens gewahr wird, und prophetische Träume, die später auf erstaunliche Weise Realität zu werden scheinen.
Nächtliche Erektionen haben mit Erotik nichts zu tun
In jedem Kapitel durchstreift der Autor mit feinem Humor die Wissenschaftsgeschichte, erzählt von verrückten Experimenten und Theorien, bis er dann aktuelle Forschungsergebnisse präsentiert und dabei immer wieder interessante Überraschungen platziert: Die häufigen nächtlichen Erektionen der Männer, die man im lustfeindlichen 19. Jahrhundert mit Rasierklingen-bewehrten Horrorapparaturen zu unterbinden versucht hat, sind meistenteils eine rein physiologische Begleiterscheinung der Schlafphase, in der sie auftreten - mit erotischen Fantasien haben sie gar nichts zu tun, weiß der Autor.
In einem anderen Abschnitt erzählt er davon, wie Blinde ihr Träumen beschreiben - interessanterweise greifen sie dabei zu visuell aufgeladenen Vokabeln. Selbst ein Mensch, der in seinem Leben niemals eine optische Wahrnehmung erlebt hat, "beobachtet" nachts im Traum seine Ehefrau oder "sieht" den Eiffelturm. Wie kann das sein? Lange ließ sich die Forschung von solchen Traumberichten in die Irre führen und mutmaßte, dass Aktivitäten der Sehrinde im Gehirn zu solchen Eindrücken führen. Doch die Erklärung ist viel einfacher, erklärt der Autor: Die Sprache stellt für Blinde wenig Mittel bereit, ihr Erleben angemessen zu beschreiben. Träumende Blinde sehen, indem sie ertasten, und sie beobachten, indem sie den Stimmen anderer lauschen.
Noch lange nicht alle Träume gedeutet
Sind nun alle Geheimnisse um das Träumen gelüftet? Keineswegs, sagt Douwe Draaisma am Ende seines Buches und lässt Raum für Geheimnis, auch nach so viel Naturwissenschaft und moderner Psychologie. Das Untersuchungsmaterial der Traumforscher bestehe aus den verwirrenden und fragmentarischen Nachtresten anderer Menschen. Wann immer es Traumforschern gelingt, an eine Stelle mehr Licht scheinen zu lassen - die Schatten an anderen Stellen werden nur um so länger.