Was wir gegen den Lagerkoller tun können
07:27 Minuten
Die Coronaquarantäne kann zu posttraumatischen Belastungsstörungen wie Verwirrung und Wut führen. Eine Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bietet ganz konkrete Tipps, unter anderem auch für Kinder und Jugendliche.
20. April 2020, früher Nachmittag. Es beginnt Woche fünf im Homeoffice – mit Teenagersohn im Nebenzimmer. Der auch seit fünf Wochen fast durchgehend zu Hause ist.
"Kannst du das bitte lassen. Es nervt. Ich arbeite hier. Es nervt so unglaublich, wenn dauernd ein Ball gegen die Wand prallt." – "Ich wohne auch hier!" – "Kannst du nicht zocken oder YouTube gucken? Du machst doch eh seit Jahren nichts anderes." – "Das stimmt doch gar nicht!" – "Außerdem hast du doch noch total viel für die Schule zu tun. – "Hast du mitgekriegt, was ich gestern gemacht hab, hast du es mitgekriegt?!"
Die psychologischen Folgen sind nicht zu unterschätzen
Ich weiß, ich habe es gut: Ich arbeite seit Jahren größtenteils und gern von zu Hause. Ich muss nicht zu bestimmten Zeiten zu Videomeetings am PC sitzen und mein Sohn ist in einem Alter, in dem er nicht mehr regelmäßig beschäftigt und bekocht werden muss. Trotzdem: Im Moment bin ich gemein zu ihm. Er ist genervt von mir – und umgekehrt. Was ist das? Haben wir gerade ein echtes Problem?
"Die Kollegen aus Wuhan, also in China, berichteten darüber, was so die psychologischen Folgen sind aufgrund von Corona und insbesondere aufgrund der Quarantäne, die da ja sehr strikt umgesetzt wurde – und dass in diesem Kontext deutlich wurde, dass es für viele Leute massive psychische Folgen gibt."
Mehrere jüngere Studien verweisen darauf, dass Quarantäne mit Ängsten, Stress und Depressionen in Verbindung stehen kann, sagt Silvia Schneider, Professorin für Kinder- und Jugendpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Forscher berichteten zudem von möglicherweise lang anhaltenden Symptomen posttraumatischer Belastungsstörungen wie Verwirrung und Wut.
Mehrere jüngere Studien verweisen darauf, dass Quarantäne mit Ängsten, Stress und Depressionen in Verbindung stehen kann, sagt Silvia Schneider, Professorin für Kinder- und Jugendpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Forscher berichteten zudem von möglicherweise lang anhaltenden Symptomen posttraumatischer Belastungsstörungen wie Verwirrung und Wut.
"Und das, alles zusammen, diese verschiedenen Berichte, da haben wir gesagt: Mensch, das geht jetzt hier auch los und wir sollten gucken, dass wir frühzeitig da was machen, um über eine Webseite und gegebenenfalls auch über eine Hotline ein Angebot für Menschen, die jetzt durch Corona sehr betroffen sind, auch wirklich zu haben. Eine Sorge war natürlich auch stark: Wie geht es Kindern, wie geht es Familien, insbesondere auch Familien, die vielleicht unter beengten Wohnverhältnissen leben, was ja durchaus Belastung und Stress auch ausmachen kann – aber nicht muss."
Tipps für Jugendliche und Kinder
Seit Beginn der Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des neuen Coronavirus ist eine ganze Reihe an Artikeln und Infoseiten erschienen, die psychologische Hilfe zur Krisenbewältigung anbieten. Kinder und Jugendliche werden dort jedoch meist nicht adressiert.
Dabei sind die Schulschließungen gerade für sie eine enorme Belastung. Und zwar nicht nur, weil dadurch die wichtigen sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen wegfallen: "Eltern stehen vor besonderen Herausforderungen, die müssen jetzt plötzlich ihre Kinder beschulen und wir wissen eigentlich aus dem klinischen Bereich ganz gut: ein Hauptkonfliktfeld zwischen Eltern und Kindern sind Hausaufgaben-Situationen. Und jetzt kommt das in den Alltag."
Die Coronahilfeseiten psychologische-coronahilfe.de der Deutschen Gesellschaft für Psychologie wenden sich daher direkt an Kinder, Jugendliche und Eltern, betont Hanna Christiansen, Psychologieprofessorin an der Philipps-Universität Marburg und eine der Initiatorinnen des Angebots. Es gibt Verhaltenstipps für konkrete Situationen, in kurzen Texten und Videos.
Die Coronahilfeseiten psychologische-coronahilfe.de der Deutschen Gesellschaft für Psychologie wenden sich daher direkt an Kinder, Jugendliche und Eltern, betont Hanna Christiansen, Psychologieprofessorin an der Philipps-Universität Marburg und eine der Initiatorinnen des Angebots. Es gibt Verhaltenstipps für konkrete Situationen, in kurzen Texten und Videos.
"Unser Anliegen ist, den Stand der Forschung so zu vermitteln, dass er gut verständlich ist und auch im Alltag und in der Praxis umgesetzt werden kann."
Allerdings passen viele Ratschläge eher auf Familien mit kleineren Kindern: gemeinsam Zeiten für Homeschooling festlegen. Oder: gemeinsam ein Spiel spielen. Das brauche ich meinem Teenagersohn gar nicht erst vorschlagen.
Allerdings passen viele Ratschläge eher auf Familien mit kleineren Kindern: gemeinsam Zeiten für Homeschooling festlegen. Oder: gemeinsam ein Spiel spielen. Das brauche ich meinem Teenagersohn gar nicht erst vorschlagen.
"Also die Entwicklungsaufgabe von Jugendlichen ist ja Abgrenzung von den Eltern, Autonomieentwicklung und Orientierung an den Peers. Und jetzt in dieser Situation ist das ja total schwer und das, was man ja als Jugendlicher macht, sich nämlich nicht an Regeln und Grenzen halten, ist im Moment ja schwer möglich, sodass Konflikte programmiert sind."
Konflikte sind vorprogrammiert
Das hilft mir zwar in meinem Alltag jetzt nicht so recht weiter – bedeutet aber zumindest wohl: Was gerade bei uns zu Hause passiert, ist ziemlich normal und nicht behandlungsbedürftig. Was dann doch wieder ganz beruhigend ist.
"Klar macht man sich als Elternteil Sorgen. Ihr Sohn, das klingt so ein bisschen nach versetztem Tag-Nacht-Rhythmus. Er schläft länger, macht dafür abends spät noch was, macht aber auch da etwas für die Schule. Ich glaube, in dem Alter gewinnt man fast mehr, wenn man den Jugendlichen wirklich vertraut, dass sie was tun."
Die wissenschaftlichen Grundlagen für die Tipps und Ratschläge auf der Webseite liefern spezialisierte Fachkollegen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie – von Kinder- und Jugendpsychologen und Pädagogen über Spezialisten für Ängste und Zwangsstörungen bis zu Paartherapeuten und Experten für Videotherapie.
Die wissenschaftlichen Grundlagen für die Tipps und Ratschläge auf der Webseite liefern spezialisierte Fachkollegen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie – von Kinder- und Jugendpsychologen und Pädagogen über Spezialisten für Ängste und Zwangsstörungen bis zu Paartherapeuten und Experten für Videotherapie.
Auch das, so Silvia Schneider, unterscheidet die Seite von anderen psychologischen Hilfsangeboten im Netz: "Dass sozusagen da auch eine maximale, wissenschaftliche Evidenzbasierung dahintersteht. Das ist der eine Punkt und der andere: dass wir das Ganze auch evaluieren wollen und gucken wollen, wie wird das auch angenommen. Und das vielleicht auch für weitere Krisen – oder wir wissen ja auch gar nicht, wie lange Corona anhalten wird – weiter noch anzupassen und – im Sinne eines Lernprozesses und damit auch die Hilfe zugänglicher machen."
"Guck einmal. Das hier kannst du dir aber wirklich mal ansehen: Tipps für Jugendliche: Steht rechtzeitig auf, zieh dich ordentlich an, wundere dich nicht, dass die Eltern jetzt öfter mal bei dir reingucken – sie machen sich nämlich Sorgen!" – "Ja. Und hast du die Überschrift gelesen?" – "Welche jetzt?" – "Leave me alone!"