Keine Angst vor Gericht
Wenn Kinder Opfer von Straftaten werden und vor Gericht aussagen sollen, haben sie oft Angst. In Mecklenburg-Vorpommern haben sie Anspruch auf psychosoziale Hilfe. Wegen einer EU-Richtlinie zum Opferschutz soll das Modell bald in allen Bundesländern gelten.
Kurz vor 9 Uhr, Amtsgericht Ludwigslust. Richter, Schöffen, Anwälte sind da, aber auch Nadine Schomann vom Kinderschutzbund Schwerin - als "psychosoziale Prozessbegleiterin". Eine Funktion, die es bisher nur in Mecklenburg-Vorpommern gibt.
"In jedem Landgerichtsbezirk gibt es eine Prozessbegleiterin. Ich bin für den Landgerichtsbezirk Schwerin zuständig. Dazu gehört das Amtsgericht Ludwigslust und ich begleite heute eine Zeugin und die Mutter."
Es geht um sexuellen Missbrauch, und die Zeugin - das ist eine heute 16 Jahre alte Jugendliche. Sie ist 11 Jahre alt, als der Angeklagte begonnen haben soll, eine intime Beziehung zu ihr aufzubauen. Jahre später kommt es zur Anzeige bei der Polizei. Die und der Opferschutzverband "Der Weiße Ring" stellen einen Kontakt zu Nadine Schomann in Schwerin her. Das Mädchen erinnert sich:
"Ich kam von der Schule nach Hause und da waren die Anwältin und Frau Schomann. Beide kamen mir sehr sympathisch vor auf den ersten Blick und sie hat mir erzählt, dass sie mir vorher den Gerichtssaal zeigen möchte. Wie das denn so aussieht, den Richter vorstellen, und dass ich denn gefragt werde, wenn gegebenenfalls eine Zeugenaussage ansteht, dass ich dann einfach drauf antworten soll und mich nicht beeinflussen lassen soll und, ja, dass es dann schon irgendwie klappt."
"In jedem Landgerichtsbezirk gibt es eine Prozessbegleiterin. Ich bin für den Landgerichtsbezirk Schwerin zuständig. Dazu gehört das Amtsgericht Ludwigslust und ich begleite heute eine Zeugin und die Mutter."
Es geht um sexuellen Missbrauch, und die Zeugin - das ist eine heute 16 Jahre alte Jugendliche. Sie ist 11 Jahre alt, als der Angeklagte begonnen haben soll, eine intime Beziehung zu ihr aufzubauen. Jahre später kommt es zur Anzeige bei der Polizei. Die und der Opferschutzverband "Der Weiße Ring" stellen einen Kontakt zu Nadine Schomann in Schwerin her. Das Mädchen erinnert sich:
"Ich kam von der Schule nach Hause und da waren die Anwältin und Frau Schomann. Beide kamen mir sehr sympathisch vor auf den ersten Blick und sie hat mir erzählt, dass sie mir vorher den Gerichtssaal zeigen möchte. Wie das denn so aussieht, den Richter vorstellen, und dass ich denn gefragt werde, wenn gegebenenfalls eine Zeugenaussage ansteht, dass ich dann einfach drauf antworten soll und mich nicht beeinflussen lassen soll und, ja, dass es dann schon irgendwie klappt."
Anwälte sind dankbar für Prozessbegleitung
Am ersten Verhandlungstag hat der Mann die Vorwürfe abgestritten. Für heute kündigt er ein Geständnis an. Sollte er es sich anders überlegen, muss das Mädchen als Zeugin aussagen. Eine belastende Vorstellung, weiß die Opferanwältin Christina Habetha. Sie ist dankbar dafür, dass Kinder und jugendliche Opfer in Mecklenburg-Vorpommern einen gesetzlichen Anspruch auf eine kostenlose Prozessbegleitung haben. Denn Eltern und Kinder treiben ganz konkrete Fragen um:
"Wie sieht so ein Gericht aus? Was sind denn das alles für Leute? Ist das wie im Fernsehen, ist das wie bei Frau Salesch etwa? Reden da alle auf einmal? Reden da alle dazwischen? Und dafür ist die psychosoziale Prozessbegleitung da, einem Kind diese Welt außerhalb des eigentlichen Verfahrens zu erklären. Ein beruhigtes Kind als Zeuge dann vor Gericht zu hören, wenn es dann notwendig sein sollte, ist eine wirkliche Errungenschaft im Bereich der Opferpflege."
Das Modell "psychosoziale Prozessbegleitung" soll nun auf alle Bundesländer ausgeweitet werden. Deutschland muss eine EU-Richtlinie zum Schutz von Opferrechten in Strafverfahren umsetzen. Zweifler fürchten, dass sich die Prozessbegleiter in juristische Dinge einmischen und womöglich die Aussage eines Kindes beeinflussen. Aber die psychosozialen Prozessbegleiter sollen sich nicht um den Fall an sich, sondern ausschließlich um die Angst vor dem Gericht kümmern. Anwältin Christina Habetha erklärt:
"Wie sieht so ein Gericht aus? Was sind denn das alles für Leute? Ist das wie im Fernsehen, ist das wie bei Frau Salesch etwa? Reden da alle auf einmal? Reden da alle dazwischen? Und dafür ist die psychosoziale Prozessbegleitung da, einem Kind diese Welt außerhalb des eigentlichen Verfahrens zu erklären. Ein beruhigtes Kind als Zeuge dann vor Gericht zu hören, wenn es dann notwendig sein sollte, ist eine wirkliche Errungenschaft im Bereich der Opferpflege."
Das Modell "psychosoziale Prozessbegleitung" soll nun auf alle Bundesländer ausgeweitet werden. Deutschland muss eine EU-Richtlinie zum Schutz von Opferrechten in Strafverfahren umsetzen. Zweifler fürchten, dass sich die Prozessbegleiter in juristische Dinge einmischen und womöglich die Aussage eines Kindes beeinflussen. Aber die psychosozialen Prozessbegleiter sollen sich nicht um den Fall an sich, sondern ausschließlich um die Angst vor dem Gericht kümmern. Anwältin Christina Habetha erklärt:
"Um die Sachen kümmere ich mich als Jurist. Und natürlich sage ich auch Frau Schomann: `Hier geht es um eine vollendete Vergewaltigung. Um schwere gesundheitliche Schäden. Hier ist der Vater der mutmaßliche Täter. `Diese Geschehnisse im Groben muss sie schon wissen, denn sie muss ja mit dem Kind, der Familie umgehen."
Missbrauchsopfern wird häufig nicht geglaubt
Im Amtsgericht Ludwigslust liegt plötzlich Spannung in der Luft; der Angeklagte und dessen Verteidiger gehen an der Familie vorbei in den gerade geöffneten Verhandlungssaal. Die Prozessbegleiterin nimmt das 16-jährige Mädchen in den Arm. Gut so, sagt Anwältin Habetha.
"Frau Schomann begleitet sie, begleitet aber auch die Mutter. Und Sie haben es gesehen: Sie fühlen sich ja sehr wohl in dieser Begleitung."
Nadine Schomann wird die Verhandlung von der Zuschauerbank aus verfolgen. Am Ende wird es der 99. Fall sein, den sie abgeschlossen hat. Auch diesmal stammt der Täter aus dem sogenannten Nahbereich des Opfers - ein Bekannter der Familie. Nadine Schomann ist fassungslos darüber, dass Studien zufolge sexuell missbrauchte Kinder durchschnittlich fünf bis sieben Erwachsene ansprechen müssen, ehe der Erste ihnen glaubt. Folglich sei es eine ihrer wichtigsten Aufgaben in der Prozessbegleitung, den betroffenen Kindern und Jugendlichen die Angst zu nehmen, dass auch Polizisten und Richter ihnen nicht glauben würden. Und auch manche Erwartungen muss sie dämpfen.
"Erstmal denken viele ganz zu Anfang, alles geht ganz schnell. Also: Wir machen die Strafanzeige und - ich sag mal übertrieben - in zwei Wochen ist die Gerichtsverhandlung. Dann sind ganz falsche Vorstellungen vom Strafmaß da. Oftmals gar nicht bei den Kindern, sondern bei den Familien. Also lebenslänglich und Todesstrafe wird gefordert. Das haben wir natürlich nicht. Und dann die Situation im Gerichtssaal. Kreuzverhör ist eine ganz große Angst. So was gibt es nicht. Kein Verteidiger nimmt ein Kind in ein Kreuzverhör."
"Frau Schomann begleitet sie, begleitet aber auch die Mutter. Und Sie haben es gesehen: Sie fühlen sich ja sehr wohl in dieser Begleitung."
Nadine Schomann wird die Verhandlung von der Zuschauerbank aus verfolgen. Am Ende wird es der 99. Fall sein, den sie abgeschlossen hat. Auch diesmal stammt der Täter aus dem sogenannten Nahbereich des Opfers - ein Bekannter der Familie. Nadine Schomann ist fassungslos darüber, dass Studien zufolge sexuell missbrauchte Kinder durchschnittlich fünf bis sieben Erwachsene ansprechen müssen, ehe der Erste ihnen glaubt. Folglich sei es eine ihrer wichtigsten Aufgaben in der Prozessbegleitung, den betroffenen Kindern und Jugendlichen die Angst zu nehmen, dass auch Polizisten und Richter ihnen nicht glauben würden. Und auch manche Erwartungen muss sie dämpfen.
"Erstmal denken viele ganz zu Anfang, alles geht ganz schnell. Also: Wir machen die Strafanzeige und - ich sag mal übertrieben - in zwei Wochen ist die Gerichtsverhandlung. Dann sind ganz falsche Vorstellungen vom Strafmaß da. Oftmals gar nicht bei den Kindern, sondern bei den Familien. Also lebenslänglich und Todesstrafe wird gefordert. Das haben wir natürlich nicht. Und dann die Situation im Gerichtssaal. Kreuzverhör ist eine ganz große Angst. So was gibt es nicht. Kein Verteidiger nimmt ein Kind in ein Kreuzverhör."
Gestärkt aus der Opferrolle hervorgehen
Nach zwei Stunden ist der Prozess zu Ende. Das Mädchen braucht nicht auszusagen, denn der Angeklagte hat gestanden und einen finanziellen Täter-Opfer-Ausgleich angeboten. Mildernde Umstände, die ihm gerade noch so den Gang ins Gefängnis erspart haben. In diesem Fall können die Tochter und die Mutter damit leben. Nadine Schomann ist froh, dass das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern nun Schule macht, und es bundesweit einen Anspruch auf eine psychosoziale Prozessbegleitung geben soll.
"Als Opfer ist man handlungsunfähig. Sobald sie aber diesen Bann gebrochen haben, sich getraut haben darüber zu sprechen und sich Hilfe geholt haben, etwa über die psychosoziale Begleitung, bekommen sie ja Stärke, Sicherheit, und gehen aus dieser Opferrolle raus. Sie werden wieder handlungsfähig, und das gibt vielen das Gefühl: Ich hab das jetzt angezeigt. Mit mir darfst du das nicht mehr machen. Ich zieh das jetzt durch."
"Als Opfer ist man handlungsunfähig. Sobald sie aber diesen Bann gebrochen haben, sich getraut haben darüber zu sprechen und sich Hilfe geholt haben, etwa über die psychosoziale Begleitung, bekommen sie ja Stärke, Sicherheit, und gehen aus dieser Opferrolle raus. Sie werden wieder handlungsfähig, und das gibt vielen das Gefühl: Ich hab das jetzt angezeigt. Mit mir darfst du das nicht mehr machen. Ich zieh das jetzt durch."