Psychosoziale Folgen der Pandemie

"Es ist okay zu sagen: Ich kann nicht mehr"

08:29 Minuten
Eine Frau sitzt völlig allein im Wartebereich eines Impfzentrums, sie wirkt einsam.
Isolation und Einsamkeit erleben derzeit sehr viele Menschen in Deutschland. © picture alliance / dpa / Fabian Strauch
Bertolt Meyer im Gespräch mit Anke Schaefer |
Audio herunterladen
Seit über einem Jahr kämpfen wir mit dem Virus, ein Ende ist nicht in Sicht. Die psychischen Folgen sind gravierend: "Wir fahren auf der Felge, das kann nicht mehr lange so weitergehen", sagt der Wirtschaftspsychologe Bertolt Meyer.
Die Pandemie hat das Leben in Deutschland noch immer im Griff und es sieht noch nicht so aus, als würde sich das in den nächsten zwei oder drei Monaten grundlegend ändern. Bei der Bewältigung des Alltags wird schnell verdrängt, wie es uns eigentlich damit geht. Der Wirtschaftspsychologe Bertolt Meyer erhebt dazu seit rund einem Jahr Daten. Die neuesten seien dramatisch, sagt er.

"Jetzt ist der Tank wirklich leer"

Psychische Ressourcen seien wie ein Wassertank, erläutert Meyer - und auf der einen Seite laufe derzeit viel schneller Wasser raus, als auf der anderen nachfließen könne. Schon während des ersten Lockdowns sei viel Wasser verloren gegangen und das Reservoir nicht wieder vollständig aufgefüllt worden. "Jetzt ist der Tank wirklich leer, die Nadel steht bei ganz vielen Menschen in Deutschland im roten Bereich."
Knapp die Hälfte der Befragten gebe inzwischen an, psychisch stark belastet zu sein, und für Menschen, die im Homeoffice arbeiteten oder zu Hause Kinder betreuten, sei es noch schlimmer. Die Menschen hätten inzwischen auch viel mehr Angst als noch im ersten Lockdown, dass sich Familienangehörige oder Freunde mit Corona infizieren könnten.

"Den meisten von uns geht es nicht gut"

"Wir fahren auf der Felge. Das kann auf Dauer nicht so weitergehen. Wir müssen was tun", sagt Meyer. Die psychische Belastung müsse mehr thematisiert werden. Er habe in seinem persönlichen Umfeld schon erwachsene Männer Rotz und Wasser heulen sehen, weil sie am Ende gewesen seien. Zugleich hätten diese unter Tränen gesagt: "Mir geht es doch eigentlich gut. Ich darf mich doch eigentlich gar nicht beschweren." Es sei aber okay, in diesen Zeiten zu sagen: "Ich kann nicht mehr", betont der Psychologe. "Den meisten von uns geht es nicht gut, und das ist normal."
Eine einsam wirkende Frau sitzt mit Maske in der Fußgängerzone vor einer Anzeigetafel, die auf die Maskenpflicht hinweist.
Masken und kaum öffentliches Leben: Die Pandemie hat uns müde gemacht.© picture alliance / dpa / Oliver Berg
Zu Beginn der Pandemie habe er noch das Gefühl gehabt, es gehe eine Welle der Solidarität durchs Land, sagt Meyer. "Das hatte aber auch viel damit zu tun, dass die Leute gedacht haben, im Sommer ist es wieder vorbei." Jetzt komme alles noch mal und bringe "alle an einen Punkt der Hilflosigkeit". Und erlebte Hilflosigkeit sei einer der ungesündesten psychischen Zustände, die es gebe, warnt Meyer.
(ahe)
Mehr zum Thema