Psychedelika-Therapie

Drogen statt Antidepressiva

Sogenannte Magic Mushrooms, die den Wirkstoff Psilobycin enthalten, im Labor, mit psychodelischen Farben überblendet.
Bei der Behandlung mit halluzinogenen Pilzen, MDMA, LSD oder Ketamin werden Nervenzellen neu verschaltet. Das kann schwer Depressiven helfen, wieder Hoffnung zu schöpfen. © Getty Images / 24K-Production
Menschen mit schweren Depressionen könnten von Drogen-gestützten Psychotherapien profitieren. Das gilt insbesondere für diejenigen, bei denen andere Behandlungsmethoden scheitern, sagen Befürworter der Psychedelika-Forschung.
Die Forschung zu Psychedelika als Medikament gegen Depression wird seit einigen Jahren deutlich verstärkt. Für Patienten, bei denen herkömmliche Antidepressiva keine Wirkung zeigen, könnte das die Rettung sein. Forschende erhoffen sich nach Jahren ohne Innovation in der Depressionsbehandlung endlich neue Lösungsansätze und Medikamente. Dabei setzen sie auf Wirkstoffe wie Psilocybin, das in psychoaktiven Pilzen vorkommt, LSD, Ketamin oder MDMA, dem Hauptbestandteil der Partydroge Ecstasy.
Auch in Deutschland hat die Psychedelika-Forschung an Fahrt aufgenommen. Anfang Juni 2024 wurden die Ergebnisse einer Studie zur Wirkung von Psilocybin bei psychischen Erkrankungen veröffentlicht, die das Bundesforschungsministerium mitfinanziert hat.
Je umfangreicher und professioneller die wissenschaftlichen Studien werden, und je vielversprechender deren Ergebnisse sind, desto größer wird auch die Hoffnung, dass Psychedelika eines Tages offiziell als Medikamente in der Psychotherapie zugelassen werden. In einigen Ländern und für einige Drogen ist das schon so.

Wie funktioniert die Drogen-gestützte Therapie?

Die Droge soll wie ein Katalysator für einen psychischen Transformationsprozess wirken. Die Vergabe der Substanzen ist dabei eingebettet in eine Psychotherapie. Damit sollen Depressionen, aber auch die Posttraumatische Belastungsstörung, auf neue Weise behandelt werden. Wie genau geht das vor sich?
Depressionen werden medikamentös in der Regel mit Antidepressiva behandelt. Diese müssen regelmäßig eingenommen werden, damit sie ihre Wirkung entfalten. Manche depressive Patienten nehmen diese Mittel teilweise über Jahrzehnte ein.
Psychedelika gelten im Gegensatz als disruptiv. Sie sorgen nicht dauerhaft und gleichbleibend für eine Veränderung der Hirnchemie wie Antidepressiva, sondern wirbeln quasi einmal alles durcheinander. Hirnareale, die sonst nicht miteinander in Kontakt stehen, kommunizieren jetzt. Das kann nach nur wenigen Sitzungen zu neuen Erkenntnissen und Sichtweisen führen.
Die Art und Weise, wie sich das Bewusstsein durch eine Ketamin-Sitzung verändern kann, ist je nach Patientin oder Patient höchst individuell, weiß die Anästhesistin Andrea Jungaberle. Sie führt in ihrer Ovid-Clinic, der ersten psychedelischen Klinik Deutschlands, Ketamin-gestützte Psychotherapien für Menschen mit Depressionen durch. Ketamin ist in Deutschland als Schmerz- und Narkosemittel zugelassen. Als Antidepressivum darf es als Nasenspray verabreicht werden. In der Praxis von Andrea Jungaberle findet eine sogenannte Off-Label-Behandlung statt.
Ungefähr eine Stunde dauert das veränderte Bewusstsein an. Menschen empfänden zum ersten Mal nach zehn Jahren der Fühllosigkeit oder Depression wieder tiefe Gefühle, seien glücklich, lachten oder verstünden plötzlich, was die Mechanismen sind, die ihre Depression aufrechterhalten, sagt Jungaberle. Diese Erfahrungen werden in der Psychotherapie aufgegriffen und sollen auch langfristig zu einer neuen Perspektive auf das eigene Leben führen.

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Nicht nur bei Depressionen, auch bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) kann eine Drogen-gestützte Psychotherapie offenbar helfen. MDMA, das in der Partydroge Ecstasy enthalten ist, wurde in zwei Studien als wirksam zur Behandlung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) bewertet. Eine solche Störung kann nach einschneidenden oder sehr belastenden Ereignissen auftreten. Etwa zwei bis drei Prozent der Menschen in Deutschland entwickeln nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums mindestens einmal im Leben PTBS.
Mit der MDMA-gestützten Psychotherapie ließen sich Menschen erreichen, die auf eine traumafokussierte Psychotherapie - bislang die vorgeschriebene Behandlungsmethode - nicht ansprächen oder diese abbrechen, sagt der Psychiater und Trauma-Experte Ingo Schäfer vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Nach nur drei Sitzungen erfüllten laut zwei US-amerikanischen Studien etwa zwei Drittel der Probanden am Ende der Studien nicht mehr die Diagnose-Kriterien für die Posttraumatische Belastungsstörung.

Welche Gefahren gehen mit Psychedelika einher?

Die Nebenwirkungen, die mit der Einnahme psychodelischer Substanzen einhergehen, sind nicht unerheblich. Bei Psilocybin und MDMA kann es zu Flashbacks durch die halluzinogene Wirkung kommen. MDMA ist zudem ein Aufputschmittel und hat damit Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System.
Ketamin ist zwar streng genommen kein Psychedelika, sondern ein Betäubungs- und Schmerzmittel – kann aber ebenso Halluzinationen hervorrufen und es kann süchtig machen. Diese Gefahr besteht bei Psychedelika offenbar nicht.

Welche Zulassungsverfahren für illegale Drogen gibt es?

Damit Psychedelika offiziell als Medikamente in der Psychotherapie eingesetzt werden dürfen, müssen die Substanzen zunächst ein Zulassungsverfahren durchlaufen. In den USA wird das von der Food and Drug Administration (FDA) geregelt. In Europa ist die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) zuständig. Erst wenn das Risiko-Nutzen-Verhältnis positiv ist und die Wirksamkeit durch wissenschaftliche Studien eindeutig belegt werden kann, besteht die Chance für die Zulassung.
Als bislang einziges Land der Welt hat Australien MDMA ebenso wie den Pilzwirkstoff Psilocybin als Medikamente in der Psychotherapie zugelassen. In den USA dagegen wurde kürzlich ein Antrag um Zulassung für eine MDMA-gestützte Psychotherapie von der FDA abgelehnt.
Ein Grund für die Ablehnung könnte sein, dass Lykos Therapeutics, die Firma, die die Zulassung beantragt hat, kein klassischer Pharmakonzern ist. Aus Sicht von Kritikern weist das Studiendesign zudem gravierende Mängel auf. Experten wie der Schweizer Pharmakologe Matthias Liechti halten die Studien, die Lykos Therapeutics im Mai 2021 und September 2023 im renommierten Fachmagazin „Nature Medicine“ veröffentlicht hat, dennoch für überzeugend.
Auch das Expertengremium in Holland bewertete die Ergebnisse positiv – und hat dem holländischen Gesundheitsministerium empfohlen, MDMA zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen im Rahmen einer groß angelegten Untersuchung freizugeben.
Andere Psychedelika sind in den USA teilweise legal. Psilocybin, der Stoff, der in Magic Mushrooms vorkommt, ist in den Bundesstaaten Oregon und Colorado legalisiert. 2018 wurde die Substanz als „bahnbrechende Therapie“ von der FDA eingestuft, ein Label, das die Zulassung möglich macht.

Was sind die Ergebnisse der deutschen Psilocybin-Studie?

Die Studie aus Deutschland ist die bislang weltweit größte Psilocybin-Studie. 144 Personen mit therapieresistenter Depression und einem geringen Risiko für Psychosen nahmen daran teil. Ziel der Studie war es, die Depressionssymptome in einem standardisierten Test nach sechs Wochen um 50 Prozent zu senken. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Zwar konnte eine statistisch signifikante Verbesserung eine Woche nach der ersten hohen Dosis Psilocybin nachgewiesen werden, doch sechs Wochen später war die Verbesserung nicht mehr statistisch signifikant.
Allerdings profitierten einzelne Patientinnen sehr stark von der hohen Dosis, auch noch nach Ablauf von sechs Wochen, erläutert die klinische Psychologin Lea Mertens, die maßgeblich an der Studie mitgearbeitet hat. Was den Unterschied bedingt, und wie viele Substanzsitzungen insgesamt notwendig sind, bleibt vorerst offen. Diesen Fragen will Studienleiter Gerhard Gründer in einer neuen, breit angelegten Studie nachgehen.

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