Psychotherapie für Muslime

Kaum angemessene Angebote

08:26 Minuten
In einer Therapiesitzung berät eine muslimische Ärztin ihre Patientin.
In herkömmlichen Therapie-Angeboten begegnen muslimische Menschen oft Unverständnis. Betroffene wünschen sich mehr muslimische Therapeuten. © Getty Images / FatCamera
Von Michael Hollenbach · 21.08.2022
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Mit Religion tut sich die Psychotherapie traditionell eher schwer. Und erst recht, wenn die Religion der Klienten der Islam ist. Religionssensible Therapie für Muslime ist immer noch schwer zu finden.
Fida ist 30 Jahre alt. Die Eltern stammen aus einem nordafrikanischen Land. Sie selbst ist in Deutschland geboren:
„Ich wusste einfach nicht, wohin ich gehöre, wer ich bin. Zumal wenn man dann nach Hause kommt und sich mit der Kultur der Eltern nicht identifizieren kann, umso schwieriger fällt es einem Kind, eine eigene Identität aufzubauen. Es war richtig schwierig, traurig, nicht zu wissen, wer man ist und wohin man gehört.“

Rassismuserfahrungen ernst nehmen

Fida hat schon als Kind Rassismus erfahren müssen, später, als sie mit 17 Jahren ein Kopftuch trug, kam noch Islamfeindlichkeit hinzu, erzählt sie: "Man fühlt sich nie angekommen, man fühlt sich nie anerkannt, man fühlt sich einfach nicht gewollt. Und wenn man sich selbst als Deutsche sieht - das irgendwie nicht von der Gesellschaft spüren zu dürfen, das hat einen als Kind verletzt. Und Kinder können es auch nicht verstehen. Das war nicht einfach."
Dass Fida mit Depressionen auf die Ausgrenzung reagierte, sei nicht ungewöhnlich, meint der Psychotherapeut Amin Loucif: „Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund haben eine viel höhere Wahrscheinlichkeit, an psychischen Erkrankungen zu erkranken; zum Beispiel Depressionen, Psychosen - alles, was mit Stress und Belastungen verbunden ist.“

Ausgrenzung verstärkt Depressionen

Viele Muslime sind auch im Erwachsenenalter besonderen Belastungen ausgesetzt, sagt Loucif: „Wenn eine Beamtin in der Finanzbehörde Angst hat, ein Kopftuch zu tragen, weil sie Angst hat, den Job zu verlieren oder ausgegrenzt zu werden, dann lebt sie in einem ständigen Konflikt: Eigentlich würde sie gern das leben, kann es aber nicht, unabhängig davon, ob es verboten ist oder nicht. Denn da ist allein die Angst schon, weil sie auch früher schon ausgegrenzt wurde. Und dann können sich Depressionen, Ängste verstärken.“
Die Psychotherapeutin Malika Laabdallaoui ergänzt: „Dieses Othering, dass man zum anderen gemacht wird, dass man nicht dazugehörig ist, hier sprechen wir auch vom antimuslimischen Rassismus, dann sind das schon Mikrotraumata oder Traumata, die die Menschen mitnehmen und das wird schon in der Therapie thematisiert.“
Laabdallaoui kam mit 12 Jahren mit ihren Eltern aus Marokko nach Deutschland. Nicht-muslimische Therapeutinnen und Therapeuten würden den kulturell-religiösen Kontext der Traumatisierung oft ausblenden oder falsch einordnen. Eine Erfahrung, die auch Fida gemacht hat, als sie zunächst zu einer nicht-muslimischen Therapeutin ging:
„Ich erzählte ihr ein paar Probleme, und dann kamen Zwischenfragen, die sich wieder auf meine Kultur und Religion bezogen haben. Und in dem Moment war das Vertrauen, das ich hätte aufbauen wollen, kaputt. Ich habe mich wieder in eine Schublade gesteckt gefühlt, wieder stigmatisiert, diskriminiert, und das braucht man einfach nicht, wenn es einem psychisch nicht gut geht.“

Religion zur Ursache der Probleme gemacht

Solche Erfahrungen hört Amin Loucif immer wieder von seinen Patienten und Patientinnen, die zuvor eine Therapie abgebrochen haben.
„Wenn ein Muslim oder eine Muslima in einer Therapie nur auf äußere Merkmale angesprochen wird wie das Kopftuch oder ein Bart, dann gibt es viele Fettnäpfchen. 'Warum tragen Sie ein Kopftuch, wenn Sie dadurch Probleme haben? Ziehen Sie es mal aus! Rasieren Sie sich den Bart ab. Dann geht es Ihnen besser.' Solche Sachen signalisieren: Die Schuld liegt beim Opfer von Rassismus: Quasi eine Täter-Opfer-Umkehr.“
„Und die Folge davon ist“, ergänzt seine Kollegin Malika Laabdallaoui, „dass die Patienten gar nicht über ihre Religion sprechen, obwohl das für sie ein Thema ist. Sie fühlen sich abgewertet oder als rückschrittlich bezeichnet.“

Religion kaum Thema in Therapie-Ausbildung

Ein Problem sei auch, so der Düsseldorfer Therapeut Amin Loucif, dass Religion oft kein Thema der Therapie sei – und wenn, dann eher negativ konnotiert: „Ich habe in meinem gesamten Studium und in der Therapeutenausbildung – das sind zusammen zehn Jahre – nichts über Religion gehabt. Das ist einfach ein Thema, das wird so ein bisschen totgeschwiegen."
Dazu der Psychiater Ibrahim Rüschoff: „Wichtig ist es, keine Angst zu haben, das Thema anzusprechen. Wir sehen immer wieder, dass viele Therapeuten Angst haben, das Thema anzusprechen.“
Ibrahim Rüschoff hat kürzlich einen Sammelband über „Islamintegrierte Psychotherapie und Beratung“ herausgegeben. Rüschoff, der zusammen mit seiner Ehefrau Malika Laabdallaoui eine Praxis in Rüsselsheim betreibt, will seinen Ansatz aber nicht als „islamische Therapie“ missverstanden sehen.  
„Man muss natürlich immer wissen, was man tut. Und wenn die Religion für den Patienten eine Ressource ist, dann muss man sich absichern, ob er überhaupt religiös ist und die Religion als hilfreich erlebt.“

Bittgebete können Teil der Therapie werden

Amin Loucif würde da einen Schritt weitergehen. Er fragt seine – meist muslimischen – Patientinnen und Patienten nach deren religiösen Hintergrund und setzt gegebenenfalls auch Bittgebete oder Koranstellen ein: "'Oh Allah, ich suche Zuflucht bei dir vor Kummer, Trauer, Geiz, Feigheit, der Lasten von Schulden und der Überwältigung durch andere Leute.' Und wenn man so was hat, habe ich das Gefühl, ich bin nicht allein mit diesen Schwierigkeiten; ein barmherziger Gott ist an meiner Seite und kann mich unterstützen."
Doch nicht alle muslimischen Patienten haben Gott als barmherzig erfahren, berichtet Ibrahim Rüschoff: „Die Religion kann eine Ressource sein, wenn sie sinnstiftend erlebt wird; sie kann genauso eine schwierige Sache sein, wenn man sie als Einengung erlebt. Und wir sehen immer wieder, dass die Gottesbilder der Patienten, also die Vorstellungen, die sie von Gott haben, dass die oft mit den Elternbildern sehr stark zu tun haben. Wie soll das anders sein? Die ersten Götter der Patienten sind die Eltern, die sie erleben als Kinder.“

Gottesbilder können Depressionen fördern

Bestimmte Gottesbilder können dann auch beispielsweise zu Depressionen führen, sagt Ibrahim Rüschoff, ausgehend von dem Denkmuster: „Ich bin nie gut genug. Gott wird nie mit mir zufrieden sein.“
Malika Loabdallaoui erklärt, dass sich aus der rituellen Waschung vor dem Gebet bei manchen Patienten eine Zwangsstörung entwickeln kann: „Es ist so, dass bestimmte Körperteile dreimal gewaschen werden, ein bis dreimal, und da kommen die Patienten wegen ihrer Zwänge nicht raus. Sie haben Angst, es nicht richtig zu machen, dass Gott sie bestraft, weil sie einen Fehler gemacht haben, dass Wasser einen Hautteil nicht erreicht hat oder dass sie nicht die richtige Anzahl an Waschungen vorgenommen haben. Oder das rituelle Gebet: Sie wiederholen sich immer und beten stundenlang und kriegen es nicht hin, dass es für sie richtig ist, weil sie an sich zweifeln.“

Muslimische Vorbehalte gegen Psychotherapie

Noch immer gibt es unter Musliminnen und Muslimen zum Teil große Vorbehalte gegen die Psychotherapie. Manchmal wird befürchtet, Psychologen könnten die Religion ‚wegtherapieren‘, sagt Amin Loucif:
„Als größte Gefahr sehe ich, dass keine psychologische Hilfe gesucht wird aus der falschen Meinung heraus, dass man nur genug glauben müsste oder dass psychische Störungen ein Zeichen schwachen Glaubens seien. Und ein weiteres Problem kann auch die Annahme sein, nur Gott darf man um Hilfe bitten. Auch die Annahmen, dass der Teufel oder Dschinn-Wesen oder der böse neidische Blick für Erkrankungen wie Epilepsie oder Schizophrenie ursächlich sind, sind natürlich potenzielle Therapieverhinderer.“
Manche würden erst zu ihm kommen, wenn religiöse Praktiken nicht geholfen hätten, sagt Amin Loucif. Die 30-jährige Fida ist jedenfalls froh, dass sie einen muslimischen Therapeuten gefunden hat: „So bin ich nicht in Erklärungsnot geraten. Ich konnte Energie und Zeit sparen, indem ich bestimmte Sachen, die Wertevorstellungen, gar nicht mehr erklären musste. Ich konnte mich frei äußern und dadurch auch Vertrauen aufbauen. Es war einfach besser und leichter.“

Zu wenig muslimische Therapie-Angebote

Das Problem: Noch gibt es in Deutschland viel zu wenig muslimische Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Fida hat deshalb einen Wunsch: „Dass es in Zukunft mehr muslimische Therapeuten gibt, dass sich auch Muslime eher trauen, zu Therapeuten zu gehen, damit die Hemmschwelle aufgebrochen wird, sich therapieren zu lassen, dass man sich nicht schämen muss, Hilfe in Anspruch zu nehmen, da würde damit viel geholfen sein.“

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