Psychotherapie ist auch keine Lösung
Um wen geht es in einem neuen Roman von Pop-Veteran Joachim Lottmann? Natürlich, um Joachim Lottmann. Er heißt zwar hier "Lohmann", aber das tut nichts zur Sache. "Unter Ärzten" – das heißt in diesem Fall: Lottmann unter Psychotherapeuten.
Und in der Tat, es gibt großen Therapiebedarf bei Lohmann/Lottmann. Er ist autistisch, neurotisch, angstzerfressen – und vom Selbstbewusstsein seiner Frau Daphne völlig überfordert.
Der Ich-Erzähler ist Autor, Journalist, Werber, war Textchef der Zeitschrift "Max", hat Leserbriefe von Prominenten gefälscht, unter anderem Helmut Kohl, flog deswegen raus – und nun ist er auf der Suche nach innerer Stabilisierung. Man bekommt als Leser schnell den Eindruck: Dieser Mann textet sich die Welt zurecht, er scheint am laufenden Band zu sprechen (vor allem zu sich selbst), seine Identität besteht aus Text. Ein Buch wie ein einziger Plapper-Strom. Wie ein Popsong, dem irgendwann nichts Neues mehr einfällt und dem man problemlos aus- und wieder einblenden kann.
Der Refrain dazu besteht aus einer Odyssee durch Therapeutenzimmer – er probiert fast alles aus: Psychoanalyse, Systemische Analyse, Familienaufstellung, alles, was der Werkzeugkasten der modernen Psychologie zu bieten hat. Aber er kommt nicht wirklich weiter, denn er ist mehr an den Persönlichkeiten der Therapeuten interessiert, vor allem der Frauen, als am Erfolg einer Therapie. Als erfahrener Patient hat er auch schon längst die Codes der Behandlung geknackt und kann sie bedienen. Sein halbherziger Selbsterfahrungstrip, der ihn sogar bis nach Indien führt, findet ein Ende, als ein Therapeut ein "dämonisches Neben-Ich" diagnostiziert und meint, Faust hätte er gern behandelt, "aber nicht Faust und Mephistopheles zusammen".
Doch unser Held, Jahrgang 59, träumt davon, wieder jung zu sein, unterschätzt seinen inneren und äußeren Alterungsprozess, zieht von Hamburg nach Berlin, weil man das in den 2000er-Jahren angeblich so macht, zieht wieder zurück und so weiter. Eine unstete Existenz, von der man sich das gesamte Buch über fragt: Was genau macht dieser Mann eigentlich, außer über sich selbst zu reflektieren? Schafft er etwas außerhalb seiner manischen Selbstbezogenheit?
Lottmann/Lohmann will den Zeitgeist festhalten, manchmal hält er aber auch kompletten Schwachsinn fest, wie etwa die Behauptung, dass Hitler seinen Gegenüber "durch endlose Fragen" ermüden konnte – das sei seine Strategie gewesen. Überhaupt, er bemüht zuweilen einen seltsam beiläufigen schwarzen Nazi-Humor, der aber nicht zündet, weil er nicht stark genug, viel zu wenig dramaturgisch gesetzt oder sprachlich gestaltet wäre, er wirft ihn halt so ein – mal gucken, was passiert.
Lottmann: Das sind neben kurzen genialen Momenten, Pointen und Anekdoten, etwa die Beobachtungen aus der neuen Medienwelt, verdammt viel Blödsinn, Langeweile und Selbstüberschätzung. Er wäre gern ein deutscher Houellebecq, oder wie er selbst gerne sagt, "ein Stachel im Fleisch der Subventionsliteratur – ein Aufklärer". Aber er ist vor allem: Lottmann. Was seine Verdienste der Vergangenheit nicht schmälern soll! Seine Romane "Deutsche Einheit" (1999) und "Mai, Juni, Juli" (1987) wurden viel gelobt, letzterer war die Vorlage für die Popliteratur der 90er.
Und – fast schon überflüssig zu erwähnen – natürlich veröffentlicht Joachim Lottmann nicht nur einen Roman in dieser Saison. Damit kann er sich einfach nicht zufrieden geben. Aber er ist bescheiden: es sind nur zwei – insgesamt. Der andere heißt "100 Tage Alkohol" und über wen schreibt Lottmann da? Richtig! Nur diesmal nicht in Berlin oder Hamburg, sondern in Wien, wohin der Romanheld (ein Journalist!) flieht, weil eine Frau ihn der sexuellen Belästigung bezichtigt.
Weitere 35 Romane sollen laut Aussage des Autors schon fertig geschrieben sein. Eine Drohkulisse. Andererseits: Was wäre der deutsche Literaturbetrieb ohne die Roman-Schrullen von Lottmann? Wir würden was vermissen. Allerdings nicht in erster Linie aus literarischen Gründen.
Besprochen von Vladimir Balzer
Joachim Lottmann: Unter Ärzten
Kiepenheuer & Witsch, 8,99 Euro
Joachim Lottmann: 100 Tage Alkohol
Czernin Verlag, 19,80 Euro
Der Ich-Erzähler ist Autor, Journalist, Werber, war Textchef der Zeitschrift "Max", hat Leserbriefe von Prominenten gefälscht, unter anderem Helmut Kohl, flog deswegen raus – und nun ist er auf der Suche nach innerer Stabilisierung. Man bekommt als Leser schnell den Eindruck: Dieser Mann textet sich die Welt zurecht, er scheint am laufenden Band zu sprechen (vor allem zu sich selbst), seine Identität besteht aus Text. Ein Buch wie ein einziger Plapper-Strom. Wie ein Popsong, dem irgendwann nichts Neues mehr einfällt und dem man problemlos aus- und wieder einblenden kann.
Der Refrain dazu besteht aus einer Odyssee durch Therapeutenzimmer – er probiert fast alles aus: Psychoanalyse, Systemische Analyse, Familienaufstellung, alles, was der Werkzeugkasten der modernen Psychologie zu bieten hat. Aber er kommt nicht wirklich weiter, denn er ist mehr an den Persönlichkeiten der Therapeuten interessiert, vor allem der Frauen, als am Erfolg einer Therapie. Als erfahrener Patient hat er auch schon längst die Codes der Behandlung geknackt und kann sie bedienen. Sein halbherziger Selbsterfahrungstrip, der ihn sogar bis nach Indien führt, findet ein Ende, als ein Therapeut ein "dämonisches Neben-Ich" diagnostiziert und meint, Faust hätte er gern behandelt, "aber nicht Faust und Mephistopheles zusammen".
Doch unser Held, Jahrgang 59, träumt davon, wieder jung zu sein, unterschätzt seinen inneren und äußeren Alterungsprozess, zieht von Hamburg nach Berlin, weil man das in den 2000er-Jahren angeblich so macht, zieht wieder zurück und so weiter. Eine unstete Existenz, von der man sich das gesamte Buch über fragt: Was genau macht dieser Mann eigentlich, außer über sich selbst zu reflektieren? Schafft er etwas außerhalb seiner manischen Selbstbezogenheit?
Lottmann/Lohmann will den Zeitgeist festhalten, manchmal hält er aber auch kompletten Schwachsinn fest, wie etwa die Behauptung, dass Hitler seinen Gegenüber "durch endlose Fragen" ermüden konnte – das sei seine Strategie gewesen. Überhaupt, er bemüht zuweilen einen seltsam beiläufigen schwarzen Nazi-Humor, der aber nicht zündet, weil er nicht stark genug, viel zu wenig dramaturgisch gesetzt oder sprachlich gestaltet wäre, er wirft ihn halt so ein – mal gucken, was passiert.
Lottmann: Das sind neben kurzen genialen Momenten, Pointen und Anekdoten, etwa die Beobachtungen aus der neuen Medienwelt, verdammt viel Blödsinn, Langeweile und Selbstüberschätzung. Er wäre gern ein deutscher Houellebecq, oder wie er selbst gerne sagt, "ein Stachel im Fleisch der Subventionsliteratur – ein Aufklärer". Aber er ist vor allem: Lottmann. Was seine Verdienste der Vergangenheit nicht schmälern soll! Seine Romane "Deutsche Einheit" (1999) und "Mai, Juni, Juli" (1987) wurden viel gelobt, letzterer war die Vorlage für die Popliteratur der 90er.
Und – fast schon überflüssig zu erwähnen – natürlich veröffentlicht Joachim Lottmann nicht nur einen Roman in dieser Saison. Damit kann er sich einfach nicht zufrieden geben. Aber er ist bescheiden: es sind nur zwei – insgesamt. Der andere heißt "100 Tage Alkohol" und über wen schreibt Lottmann da? Richtig! Nur diesmal nicht in Berlin oder Hamburg, sondern in Wien, wohin der Romanheld (ein Journalist!) flieht, weil eine Frau ihn der sexuellen Belästigung bezichtigt.
Weitere 35 Romane sollen laut Aussage des Autors schon fertig geschrieben sein. Eine Drohkulisse. Andererseits: Was wäre der deutsche Literaturbetrieb ohne die Roman-Schrullen von Lottmann? Wir würden was vermissen. Allerdings nicht in erster Linie aus literarischen Gründen.
Besprochen von Vladimir Balzer
Joachim Lottmann: Unter Ärzten
Kiepenheuer & Witsch, 8,99 Euro
Joachim Lottmann: 100 Tage Alkohol
Czernin Verlag, 19,80 Euro