Publizist Clemens Setz

Über die eindeutige Seele von Plansprachen

07:18 Minuten
Porträt des Schriftstellers Clemens J. Setz, gestikulierend im Gespräch, 2017.
Kam über ein Lied zum Interesse für Plansprachen: der österreichische Schriftsteller und Übersetzer Clemens Setz. © laif / Wolfgang Stahr
Clemens Setz im Gespräch mit Ute Welty |
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Clemens Setz hat sich in seinem neuen Buch auf die Suche nach Spracherfindungen gemacht. Eine seiner Erkenntnisse beim Studium ganz verschiedener Kunstsprachen ist, dass diese Konstrukte von ihren Erfindern in einer Art Sinnkrise erschaffen wurden.
Ute Welty: Es ist unter anderem die Mischung, die das Schaffen von Clemens Setz ausmacht: Sachbuch trifft Fiktion plus Persönliches. Für dieses Schaffen gibt es reichlich Preise: den der Leipziger Buchmesse, den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis, den Kleist-Preis und den Berliner Literaturpreis. Heute erscheint sein Buch "Die Bienen und das Unsichtbare". Es geht um Plansprachen, um Esperanto, Volapük, aber auch um Klingonisch und High Valyrian. Seit Jahren beschäftigt sich Setz mit Plansprachen. Was ist denn die erste Plansprache gewesen, die Ihnen begegnet ist oder der Sie begegnet sind?
Clemens Setz: Esperanto war das. Es war von einer CD der Rap-Gruppe Freundeskreis. Das war das Album "Esperanto". Da sind manchmal so Zeilen drin, so Wörter wie Amikaro, was Freundeskreis bedeutet. Dann dachte ich mir: Was soll sein? Da war ich 17 oder so.

Einprogrammierte Traumata

Welty: Ihr Augenmerk liegt vor allem auf Lyrik in der jeweiligen Plansprache. Dabei ist eine Plansprache per se schon eine Dichtung, weil ausgedacht. Inwieweit haben wir es bei einer Plansprache mit einem großen poetischen Werk zu tun?
Setz: Das wäre auch ein bisschen meine These, dass Plansprachen Autobiografien von den Erschaffern sind. Das fällt auch nicht immer auf den ersten Blick auf, weil man die Sprache genauso wie eine Fremdsprache lernt; sie sieht auch oft wie eine schon naturgewachsene Sprache aus. Aber dann, je näher man diese kennenlernt, sieht man eine eindeutige Seele dahinter oder einen Menschen mit Ansichten und auch mit Traumata. Das ist dann ganz tief einprogrammiert, was wieder den Schluss zulässt, dass vielleicht auch in unseren angeblich durch Kulturen gebauten Sprachen eigentlich auch ganz viel an so saftigem Leben einprogrammiert ist, das wir da nicht immer mitdenken.
Welty: Es gibt tatsächlich Menschen, die auch in einer Plansprache träumen. Sind diese Menschen tief verwurzelt in der Idee der Sprache oder grenzen sie sich ein und verkapseln sich?
Setz: Das hat nur damit zu tun, was für einen Stellenwert so eine erfundene Sprache oder entwickelte Sprache hat. Es gibt manche Kinder mit Zerebralparese, die ihre ersten Jahre nur durch eine Symbolsprache kommunizieren können, weil sie noch nicht das Alphabet beherrschen. Es dauert ein bisschen, bis man das lernen kann. Die brauchen das als eine Art Hilfsverkehrssprache, das nennt man Blissymbolics.
Es gibt auch noch andere Symbolsprachen für Kinder mit diesem Schicksal. Die träumen ein Leben lang in diesen Symbolen, weil das ihre erste Sprache ist. Ich habe einen Mann getroffen oder interviewt, er träumt in Blissymbolics und schreibt auch Gedichte darin. Ich hätte nicht gedacht, dass es das gibt. Es gibt natürlich auch Familien, in denen Esperanto die einzige Sprache oder die Intimsprache ist. Das sind dann auch Native Speaker. Das gibt es in allen möglichen Variationen.

Idee in einer krisenhaften Nacht

Welty: Etliche Plansprachen sind für Romane, Filme und Serien entwickelt worden: Klingonisch bei "Star Trek", High Valyrian bei "Game of Thrones" und das Königreich Talossa inklusive eigener Sprache, das gründet Robert Ben Madison aus Milwaukee mit 14 in seinem Jugendzimmer. Was treibt solche Erfindungen an?
Setz: Interessanterweise häufig eine Krise, in manchen Fällen ist es auch ein Auftrag, wie bei dem größten bei "Game of Thrones". Peterson heißt der Mensch, der High Valyrian erfunden hat. Häufig aber sind es Sinnkrisen. Auch bei Johann Martin Schleyer, dem Erfinder von Volapük, war es irgend so eine krisenhafte Nacht, in der er diese Idee hatte.
Auch Talossa, ein 14-jähriger Junge, der war einsam, seine Mutter war gestorben, dann verliert er sich in sein imaginäres Königreich mit einer eigenen Sprache. Das scheint ein bisschen verbunden zu sein. Warum Lebenskrisen und das Sprachenerfinden zusammengehören, habe ich versucht zu beantworten, bin aber nicht weit in dieses Mysterium vorgestoßen.
Welty: Wo Sie Volapük ansprechen: Johann Martin Schleyer hat versucht, das Beste der europäischen Sprache miteinander zu vereinen und auch der Welt eine Sprache zu geben. Ist das die Idee, die Sie fasziniert hat: eine Welt - eine Sprache?
Setz: Nicht so sehr. Mich hat bei Volapük fasziniert, dass sie auf den ersten Blick oder den ersten Hinhorcher sehr albern klingt. Sie ist eine nicht sehr hübsche Sprache.

Per Twitter für Nobelpreis vorgeschlagen

Welty: Klingt so ein bisschen wie rückwärts?
Setz: Ja: slipilops, slipi. Das klingt wie Parodiesprache. Aber es gibt Dichter in diesem Volapük, die daraus was machen, was genauso klingt, wie wenn man das erste Mal Rilke oder Tomas Tranströmer in den Originalsprachen liest. Man denkt sich, das ist ein herrlicher, wunderschöner Klang, was für eine Anmut. Das geht in dieser so hohen anmutigen Sprache auf den ersten Blick.
Ja, das hat mich fasziniert, wie kann man etwas, was so verwurrelt – auf Österreichisch gesagt –, so durcheinander und ungeordnet klingt, zu so einer Eleganz erheben.
Welty: Sie sagen sinngemäß: Ich habe nicht geahnt, welche Reichtümer es zu entdecken gibt? Wie wird sich das auf Ihr Schreiben in Zukunft auswirken?
Setz: Auswirken werden sich vielleicht am meisten die Übersetzungen, die ich gemacht habe. Ich habe das meiste, etwa die Gedichte, selber übersetzt. Das Buch ist auch ein bisschen eine verkleidete Anthologie, viele Beispieltexte, eben zum Nachsehen, wie das aussieht.
Ich würde auch gern mehr übersetzen, zum Beispiel die Romane von Spomenka Stimec, die ich jedes Jahr auf Twitter für den Literaturnobelpreis vorschlage. Die ist wirklich eine große europäische Autorin. Sie schreibt auf Esperanto und ist deswegen halb unsichtbar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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