"Eine Art Tschernobyl für das iranische Regime"
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Die Entschuldigung der iranischen Führung für den versehentlichen Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs kam überraschend. Das Unglück könnte sogar das Ende des Regimes in seiner bisherigen Form einleiten, sagt der Publizist Stefan Weidner.
Nach dem Bekenntnis des Iran zum versehentlichen Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs kam es in Teheran zu zahlreichen Protesten gegen die Regierung. Hunderte Menschen nahmen nach Angaben der Nachrichtenagenturen IRNA und ISNA am Abend an Kundgebungen vor den Universitäten Teheran, Amir Kabir und Scharif teil. Sie kritisierten sowohl den Abschuss als auch die tagelangen Dementis iranischer Behörden und Medien.
Anfang vom Ende des Systems
Der Islamwissenschaftler und Publizist Stefan Weidner war zuletzt im Dezember im Iran. Er erkennt in den Demonstrationen einen möglichen Anfang vom Ende des Systems, wie er sagt. Dadurch dass sich das iranische Regime ausgiebig und ausführlich entschuldigt habe, habe es gleichsam den "Deckel der Furcht" geöffnet.
Nun verlange die Bevölkerung dieselbe Rechenschaftspflicht der Regierung für ihre eigenen Anliegen, so Weidner. "Wenn sich das System, wenn sich die Führung nun entschuldigt für diesen Abschuss der ukrainischen Maschine, dann muss es sich doch bitte auch entschuldigen für das Niederschießen der Demonstrationen im November."
Damals seien ärmere Schichten auf die Straße gegangen, da sie besonders hart von der Erhöhung der Benzinpreise getroffen wurden. Jetzt demonstrierten vor allem Studierende. "Vor den Universitäten wurden Parolen lanciert wie ‚Khamenei‘ – also der Revolutionsführer – ‚ist ein Mörder!‘ Das ist eine ungeheuer starke Aussage, eine ungeheure mutige Aussage im Iran heute, das auf offener Straße in einer großen Demonstration zu äußern." Gegen die Demonstranten sei mit Tränengas und Wasserwerfern vorgegangen worden, sagt Weidner.
Vergleich zu Tschernobyl
Weidner sagt, der Abschuss des ukrainischen Flugzeugs sei "eine Art Tschernobyl für das iranische Regime", also "eine Art Super-GAU". Der Publizist erinnerte an die Ereignisse in der Sowjetunion: "Als das Atomkraftwerk in Tschernobyl 1986 in die Luft flog, hat sich die Sowjetunion auch ganz lange geweigert, das zuzugestehen. Man hat versucht, das Schweigen zu bewahren, bis nachher offensichtlich war: Da ist eine große, nuklear verseuchte Wolke im Anflug und da ist etwas passiert. Und genau dasselbe ist hier. Und ich glaube, das leitet vielleicht sogar das Ende dieses Regimes in der Form ein, wie wir es bis jetzt kennen."
Die Forderung nach der Verantwortung werde also stärker werden, so Weidner: "Die große Frage ist jetzt: Wie reagiert das Regime? Weicht es weiter zurück, was im Grunde zu hoffen wäre, oder wird es genauso hart reagieren wie im November?" Die nächsten Tage würden es zeigen.
(ckr)