Publizistin Carolin Emcke

Nachdenkliche Notizen über die neue Wirklichkeit

36:23 Minuten
Carolin Emcke bei der re:publica 2017.
Blickt in ihrem neuen Buch zurück auf ein Jahr Pandemie: Carolin Emcke. "Es war auch ein Jahr der Freundschaft", sagt sie. © picture alliance / Britta Pedersen / dpa-Zentralbild / dpa / Britta Pedersen
Moderation: Britta Bürger |
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Bekannt wurde sie mit Reportagen aus Krisengebieten. Mittlerweile schreibt Carolin Emcke Kolumnen, Essays und Bücher über ein breites Themenspektrum. Auch Corona gehört dazu. Nun ist “Journal. Ein Tagebuch in Zeiten der Pandemie“ erschienen.
Sie ist Publizistin, Journalistin und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels. Carolin Emcke hat bewegende Auslandsreportagen und viel beachtete Bücher geschrieben, wie "Von den Kriegen", "Wie wir begehren" und "Gegen den Hass".
Auch die Corona-Zeit verarbeitet sie "schreibend": In einem Tagebuch, das sie "Journal" nennt, hat sie persönlich-politische Gedanken notiert, um mit den Schrecken der Pandemie fertig zu werden. Und um sich "diese unwahrscheinliche Erfahrung irgendwie anzueignen".

Zuhören und aufschreiben

Carolin Emcke war 15 Jahre lang unterwegs in Krisen- und Kriegsgebieten – als Auslandsreporterin für den "Spiegel" und die "Zeit". In ihren Berichten, sagt sie, sei es ihr vor allem um "Zeugenschaft" gegangen. Darum, Erfahrungen zu dokumentieren: "Und sie so zu beschreiben oder zu übersetzen, dass sie vorstellbar sind. Und auch Empathie und Interesse an diesen ganz anderen Leben und ganz anderen Situationen hervorzurufen."
Auf ihren Reisen habe sie gelernt, wie wichtig schon das bloße Zuhören sei, sagt Emcke. Das Gefühl, ein anderer Mensch erfährt, was geschieht: "Überall, wo ich war, haben Menschen, die Entrechtung erfahren haben, die vertrieben wurden, die eingesperrt wurden oder die mit einer Naturkatastrophe oder Hunger zu tun hatten, mich gebeten: Schreib das auf!"
In ihren preisgekrönten Büchern, Essays und Vorträgen beschäftigt sich Carolin Emcke mit den gesellschaftlichen und politischen Themen unserer Zeit: Sie schreibt über den Zerfall Europas, Rassismus, die Ökonomisierung des Lebens, Gewalt gegen Frauen und über Strategien gegen rechten Hass.

Die Verengung der Welt

Und über die Pandemie. Am 22. März 2020 treten in Deutschland die ersten Kontaktbeschränkungen in Kraft. Schon einen Tag darauf beginnt Emcke, die eigentlich keine leidenschaftliche Tagebuchschreiberin ist, Notizen über die neue Wirklichkeit zu machen.
"Journal. Tagebuch in Zeiten der Pandemie" nennt sie ihre Aufzeichnungen. Darin erzählt sie etwa von ihren Versuchen, mit den Freunden in aller Welt Kontakt zu halten. Auch, um vom Corona-Alltag in anderen Ländern zu erfahren.
Eine der großen Gefahren dieser Tage sei die Autofokussierung – "wenn wir uns alle nur noch auf uns selbst konzentrieren", sagt Emcke. Zu Beginn der Corona-Zeit habe es hingegen noch ein Gefühl von Zusammenhalt gegeben:
"Die Politik schien auf einmal eine Care-Ethik zu enthalten, die von Solidarität sprach, von Fürsorge. Das ganze Vokabular im politischen Diskurs war am Anfang so, wie man sich lange gewünscht hatte."
Doch mit der Dauer der Einschränkungen habe sich das verändert, hat Emcke beobachtet: "Die Sorge um das Gemeinwohl, um die ganze Gesellschaft natürlich auch um Europa insgesamt, die ist schon wieder sehr stark zerfallen. Es sind jetzt wieder nur Nationen, die die eigenen Impfdosen abzählen."

Geschichten vom Glück

Für Carolin Emcke ist wichtig, in Zeiten, die belastend sind, "unbedingt auch vom Glück zu erzählen". Von jenen Momenten, die "etwas aufbrechen und öffnen". In ihrem Tagebuch schildert sie etwa, wie ihr ein Freund jeden Tag ein neues Wort auf Türkisch schickt, zum Lernen.
Das Pandemie-Jahr sei ein brutaler Einschnitt gewesen, sagt Emcke. Doch sie sieht auch viel Positives: "Es war auch ein Jahr der Freundschaft. Man hat ja dauernd neue Formen entwickeln müssen, um sich zu sehen. Oder, wie man sich um andere kümmern kann. Und ich fand, es war auch sehr lustig und kreativ und ungewohnt."
(tif)

Carolin Emcke: "Journal. Tagebuch in Zeiten der Pandemie"
S. Fischer Verlag / Frankfurt am Main 2021
258 Seiten, 21 Euro

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