Puccini mit Glamourpaar

Von Bernd Doppler |
Der junge italienische Regisseur Damiano Michilietto erzählt "La Bohème" in Salzburg als fast zynische Beschreibung von Alltag. Anna Netrebko ist mit ihrer stimmlichen Präsenz für die Hauptrolle der Näherin Mimi, die in die Künstlerwelt gerät, eine ideale Besetzung.
Es scheint das Festspiel-Event schlechthin! Puccinis "La Bohème" im Großen Festspielhaus mit Starbesetzung und den Wiener Philharmonikern, eine Messe der Hochkultur, in der der Tod der bettelarmen Näherin Lucia - "Man nennt mich aber Mimi, warum weiß ich nicht", sagt sie - zelebriert wird. Die Karten seien "dreifach überbucht", verlauten, was immer das heißen mag, die Festspiele.

Doch auch wenn jeder Platz nur einfach besetzt war, viele Hunderte nutzten auch die Gelegenheit im Public Viewing nicht zu sündteuren Karten, sondern kostenlos in Volksfeststimmung unter freiem Himmel in der Altstadt die Premiere zu genießen.

Und natürlich gehört auch die Aura des Sängerpaars zum Festspielglanz! Anna Netrebko, die zunächst in einer kleinen Nebenrolle mit der St. Petersburger Oper hier gastierte, dann als Donna Anna hier ihre Weltkarriere begann und Mimi schon mehrfach, unter anderem auch in einem Film, gesungen hat, dort mit dem "Traumpartner" Roberto Villazon. Pjotor Bezala nimmt nun schon länger Villazons Stelle in einigen Produktionen ein, auch dieses Paar nicht nur als Sänger, sondern auch in ihrer darstellerischen Präsenz mit Recht beeindruckend.

Und doch, man glaubt es kaum: "La Bohème" ist in der 91-jährigen Geschichte der Salzburger Festspiele noch nie gezeigt worden! Der neue Salzburger Intendant Alexander Pereira wollte den Puccini-Bann, der auf Salzburg lastet (in den 91 Jahren ist bisher nur "Tosca" und "Turandot" aufgeführt worden) endlich brechen.

Und tatsächlich - die Salzburger Aufführung zeigt es - Puccinis Meisterwerk ist kein sentimentales Rührstück, kein veristisches Liebesdrama, sondern eine sehr genau, immer wieder schnell, oft abrupt wechselnden Affekten arbeitende, fast zynische Beschreibung von Alltag. Das wird in Salzburg vor allem durch das Dirigat von Daniele Gatti deutlich, vielleicht manchmal etwas zu verzögert, aber immer wieder überraschende Nuancen zu Tage fördernd: zarte Einzeltöne, schroffes Auffahren.

Der junge Regisseur Damiano Michilietto ist wohl im italienischen, weniger aber im deutschen Opernbetrieb bekannt - und hatte wohl auch keinen leichten Einstand. Im Gegensatz zu seinen Inszenierungen kaum gespielter Rossini-Opern ist seine Salzburger "Bohème" kein großer Wurf. Auch ist die surreale Ausstattung von Paolo Fantin Geschmacksache. Am meisten stört, wenn ein kritischer Zeigefinger durchdringt, etwa wenn weihnachtlicher Einkaufstrubel und Konsumrausch im modernen Kaufhaus "Lafayette" das Weihnachtsbild bestimmt. Die von Puccini scharf kontrastierten Szenen, Puccini selbst bezeichnet sein Werk als eine "Oper in Bildern" wechseln die Dimensionen. Während für die enge Mansarde im ersten Bild überdimensioniert nur ein Teil eines Fensters, an dem Regen tropft, die breite Festspielbühne bestimmt, ist es dann, wenn sich das Fenster für die Szenen in der Stadt öffnet, umgekehrt: ein Stadtplan ist der Hintergrund, und auf erleuchteten hohen Häusern des Quartiers Latin in Miniaturformat sitzen die Figuren im Café Momus.

Mit den "Szenen aus dem Leben der Bohème" wollte Henri Murger eine Lebensphase junger Menschen zwischen 20 und 30 beschreiben, die in dieser Zeit das Leben als Kunst sehen, ehe sie dann später brave Bürger werden, ein künstlerisch qualitätvolles Werk bringen diese Bohemiens nicht zustande, sie probieren nur und machen mäßig lustige Witze. Auch die Liebe nehmen sie - programmatisch - nicht allzu ernst.

An Puccinis Oper beeindruckt ja vor allem, wie interessant er an und für sich uninteressante, als Künstler mäßig begabte junge Menschen gestaltet. In diese Welt tritt die Näherin Lucia, unscheinbar, sich immer wieder entschuldigend, und deshalb wohl auch von allen ausgenützt. Aber sie ist keine fragile Person, sondern von großer Festigkeit. Anna Netrebko hat selbst erklärt, dass sie nun mit 40 Jahren keine jugendliche Draufgängerin mehr sei, aber für Mimi ist sie eine ideale Besetzung, nicht nur stimmlich von immer wieder durchdringender oft harter Präsenz. Mit Piotr Bezala (Rudolfo) füllt sie mühelos das große Festspielhaus, auch wenn sich die Wiener Philharmoniker unter Daniele Gatti noch so aufbäumen. Rudolfo, ein attraktiver Intellektueller, der schnell seine großen Liebschaften wieder los werden will. Den Tod von Mimi bekommt er zunächst gar nicht mit. Vermutlich wird er - wie ja in Henri Murgers Roman auch - später einmal, diese Episode aus seinem jugendlichen Bohème-Leben nur flüchtig erinnern.

Sicherlich keine Sternstunde wie "La Traviata" mit Netrebko und Villazon, aber doch - vermutlich noch mehr beim Public Viewing in der Sommerpremierennacht im Freien -
anregender Festspielalltag. Gemessen an den Erwartungen war der Beifall im Festspielhaus relativ dünn. Man buhte zwar kaum, aber die Ästhetik von Bühne und Regie gefiel nicht allgemein.

Salzburger Festspiele: "La Bohème"